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Angriff auf die Sprache

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Vor genau einem Jahr wurde Guido Westerwelle richtig böse. Im Deutschen Bundestag präsentierte er der schwer angeschlagenen rot-grünen Bundesregierung seine knallharte Abrechnung. Westerwelle sagte: „Da haben sich ein paar Gutmenschen ausgetobt.“ Und gleich danach definierte er dieses zusammengesetzte Wort auch noch: „Nichts ist schlimmer in Deutschland als Politik von Gutmenschen. Sie sind nämlich fein zu unterscheiden von den guten Menschen. Die guten Menschen geben ihr eigenes Geld, die Gutmenschen – wie sie da sitzen – verteilen das Geld anderer Leute.“ Sein damaliger Fraktionsvorsitzender Wolfgang Gerhardt rief Westerwelle zusätzlich noch zu: „Ich nenne das immer die ‚Achse des Guten‘.“ Derartige Verbalattacken soll es nach dem Willen des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in Zukunft möglichst nicht mehr geben. Der Gewerkschaftsverein unterstützt eine vom Duisburger Institut für Sozialforschung (DISS; siehe Seite 12) entwickelte „Sprachfibel gegen Rassismus“. Das hat der DJV-Vorsitzende Michael Konken auf der Leipziger Buchmesse angekündigt. Konken wörtlich: „Viele Wörter aus dem Nazi-Deutsch sind in unseren Wortschatz übergegangen. Wir müssen uns dessen bewußt werden und die Sprache von diesen Begriffen reinigen.“ Diese neuen „Erkenntnisse“ sind ein alter Hut. Schon in den achtziger Jahren wurden Begriffe wie „durch den Rost fallen“ als vermeintliches Nazi-Deutsch geächtet. Nun haben sie es auf die Bezeichnung für sich selbst abgesehen, obwohl nicht bewiesen ist, daß Nationalsozialisten den Begriff erdacht haben. Tatsache ist, daß die Bezeichnung „Gutmensch“ damals erstmals aufgetaucht ist. Sie hat sich jedoch erst in den letzten Jahren durchgesetzt und dient heute ebenso als politisches Schlagwort wie „Berufsdemonstrant“ oder „Betroffenheitskult“. Es gibt keine alleingültige Definition des „Gutmenschen“, auch die von Guido Westerwelle ist natürlich subjektiv. Aber trotzdem versteht jeder den Begriff, der eher von Rechten als von Linken verwandt wird: Ein Gutmensch ist keiner, der einfach Gutes tut, sondern jemand, der andere dazu zwingt oder zwingen möchte, Gutes zu tun (genauer gesagt: das, was er selbst dafür hält). Jeder versteht den Begriff „Gutmensch“, und selbst die linke taz hat längst erkannt: „Nein, das will niemand sein.“ Die Financial Times hat den SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck erst im Februar unter dem Titel „Genosse Gutmensch“ porträtiert. Warum also soll ein Wort wie „Gutmensch“ – und viele andere würden folgen, wenn sich Deutschlands Journalisten an die antirassistische DJV-Sprachfibel hielten – aus dem Sprachgebrauch getilgt werden? Linke Ideologen wollen Sprechverbote erteilen, weil sie mit der Sprache auch Macht über das Denken erhalten. So sprach die Diss-Vertreterin Margarete Jäger – ebenfalls auf der Buchmesse – über die Notwendigkeit der von ihr erarbeiteten „Fibel“: „Die Frage muß geklärt werden, ob die Darstellungsmittel klischeehafte rassistische oder antisemitische Stereotype enthalten.“ In der „Fibel“ heißt es zum Begriff Gutmensch: „Der Begriff ‚Gutmensch‘ wird für Personen verwendet, die humanistische, altruistische, auch religiös-mitmenschliche Lebensziele oder Argumente höher einschätzen als utilitaristische und ihr Handeln, ihre Politik, ihr Leben danach ausrichten. Der Begriff soll vor allem Geringschätzigkeit und Zynismus sowie rationale Überlegenheit des eigenen Standpunktes ausdrücken.“ (Hier drängt sich dem Verfasser folgender Nebensatz auf: „… so wie Gutmenschen auf die moralische Überlegenheit ihres Standpunktes pochen.“) Die Fibel-Herausgeber behaupten, der Begriff „Gutmensch“ gehe auf das Jiddische zurück („a gutt Mensch“). Das ist nicht eindeutig geklärt. Es könnte auch aus dem Französischen abgeleitet sein („bonhomme“ = gutmütiger Trottel). Entscheidend für die Fibel ist, daß Adolf Hitler Begriffe wie „gut“, „gutmeinend“ und „gutmütig“ abschätzig verwandt hat. Über den Begriff der Rasse heißt es in der Fibel: „Es bringt also nichts Positives, ‚Rasse‘ durch einen anderen Terminus zu ersetzen. So hat die Ersetzung des Wortes ‚Asylant‘ durch ‚Asylbewerber‘ nichts gebracht, weil ‚Asylbewerber‘ alsbald ebenso negativ besetzt wurde wie ‚Asylant‘.“ Hier stoßen die Großmeister des Sprachverbots also an ihre Grenzen: Weil die Wirklichkeit so ist, wie sie ist, nützen neue Begriffe rein gar nichts. Auch dem Bayer-Chef Werner Wenning hat es nicht genutzt, daß er im Zusammenhang mit der Fusion mit Schering kürzlich von einem „Synergiepotential“ von 6.000 Arbeitsplätzen sprach. Sofort wußte jeder, welche nachteiligen Auswirkungen Wenning meinte, als er den positiv besetzten Begriff „Synergieeffekt“ mit dem positiv besetzten Begriff „Potential“ verschmolzen hat: Er will die Leute entlassen. Deswegen, so die Fibel weiter, habe mit dem Begriff „Rasse“ folgendes zu geschehen: „Es geht also darum, den Begriff zu dekonstruieren, und das heißt nichts anderes, als die Deutung eines gesellschaftlichen Sachverhaltes grundsätzlich zu verändern. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, Rassismus einzudämmen.“ Die Macher der Fibel glauben offensichtlich tatsächlich, daß sie einen Begriff nur „dekonstruieren“ müssen (bemerkenswert, daß sich ausgerechnet die Befürworter von Sprechverboten neue Wörter ausdenken und sogleich definieren). Wenn nun also jemand einen Satz, ein Wort findet, das zu „dekonstruieren“ ist, dann soll er einen Denunziationsbogen (siehe Abbildung auf dieser Seite) ausfüllen und an eine ominöse Postfachadresse des DJV in Düsseldorf schicken. Darauf ist zu vermerken, auf welches „Stich-, Schlag- und Reizwort“ man gestoßen sei. Darunter ist auf drei Zeilen zu erläutern, aus welchen Gründen dies als diskriminierend empfunden werden könne. Schließlich kann der Denunziant auf zwei weiteren Zeilen Verbesserungsvorschläge machen. Für eine Auskunft, wie viele Personen schon Eingaben gemacht haben und was sie konkret bemängelt haben, stand der Geschäftsführer des DJV-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Kajo Döhring, bis Redaktionsschluß nicht zur Verfügung. Federführung für diese Sprech- und damit auch Denkverbot-Kampagne ist der Landesverband NRW des DJV. Die anderen Landesverbände sind offensichtlich bereits über die Kampagne informiert. Auf Nachfrage der JUNGE FREIHEIT hieß es aber zumeist, der jeweilig Landesvorstand müsse noch über eine Beteiligung an der Aktion entscheiden. So auch im Fall des DJV-Landesverbandes Bayern. Die Geschäftsführerin Frauke Ancker zeigte sich gegenüber der JF allerdings begeistert von dem Vorhaben. Hugo Müller-Vogg: „Orwell läßt grüßen“ Im Landesverband NRW hat ein früherer Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks namens Jürgen Hoppe die Aktion auf den Weg gebracht. Beistand erhalten die Sprach-Veränderer überraschenderweise sogar vom brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), von dem sie sich „möglicherweise auch finanzielle Unterstützung“ versprechen. Auf teilweise scharfe Kritik stößt das Vorhaben indes bei renommierten Journalisten, etwa bei Konrad Adam, Chefkorrespondent derWelt: „Der alte Schlachtruf aller Diktatoren: Wachsamkeit! Neu nur insoweit, als jetzt der Feind im Inneren gesucht werden soll, in einem selbst“, sagte Adam gegenüber der JF. „Nicht erst beim Schreiben, schon beim Denken soll einem der Griffel aus der Hand fallen. Wird er aber nicht.“ Der ehemalige Welt-Chefredakteur Herbert Kremp teilte mit: „Sollte es zutreffen, wie Sie mir schrieben, daß die Sprachfibel anrät, die Wörter ‚Gutmensch‘ und ‚Asylbewerber‘ nicht zu verwenden, ginge ein Stück Wirklichkeit und Anstand verloren. Ich dürfte es nicht mehr als gutmenschlich bezeichnen, eine solche Fibel zu verfassen, und müßte Asylbewerber streichen, obwohl es sie offensichtlich gibt. Das verbietet der Respekt.“ Und der ehemalige FAZ-Mitherausgeber Hugo Müller-Vogg äußerte auf Anfrage dieser Zeitung: „Aufgabe des DJV ist es, die Interessen der Journalisten zu vertreten, nicht ihnen solche Anweisungen an die Hand zu geben. Sprachregelungen für Journalisten lehne ich grundsätzlich ab. Angesichts dieses Vorhabens kann ich nur sagen: Orwells ‚1984‘ läßt grüßen!“ Daß ausgerechnet der DJV – ein Berufsverband also, der Menschen zu vertreten vorgibt, die ihr Geld mit der Sprache verdienen – jetzt an einer solchen Sprechverbot-Kampagne mitarbeitet, ist die größte anzunehmende Ironie. Eine Idee, auf die nur Gutmenschen kommen können. Foto: DJV-Vorsitzender Michael Konken: „Wörter aus dem Nazi-Deutsch“ Foto: DJV-Fragebogen: Meldung per Fax an die selbsternannten Zensoren

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