Nach langjährigem Studium der Anatomie, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten wollen Ärz-te ihr Wissen und Können in den Dienst des Menschen stellen – ideenreich, mit hohem ethischen Anspruch an sich selbst. „Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein“, heißt es in der Genfer Deklaration des Weltärztebundes, die für die Bundesärztekammer die zeitgemäße Version des hippokratischen Eides darstellt. Das Berufsleben belehrt die Ärzte jedoch schnell eines besseren: Ideale sind unbezahlbar, das einst voll Zuversicht abgelegte Gelöbnis müssen sie bald vergessen, wenn sie im harten Verdrängungswettbewerb nicht untergehen wollen. Heute regiert eine Gesundheitspolitik, welche den Menschen zum bloßen Kostenfaktor herabwürdigt. Es herrscht ein Machtkartell aus Politik und Pharma-Lobby. Der Einzelne und in seiner Gesamtheit das Volkswohl verkommt im undurchsichtigen Filz der Politiker und Interessenverbände. Die medizinische Grundversorgung des Volkes wird nicht mehr gewährleistet. Gemeinnutz vor Eigennutz, das gesunde Empfinden, im Dienste der Gesellschaft auch seine eigene Situation zu verbessern, gehört dank Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und ihrer Helfershelfer der Vergangenheit an. Kranke können nicht zum Billigdoktor nach Indien So drängt sich folgende Frage auf: Verläuft die medizinische Ausbildung auf nicht praktikablen Wegen oder ist inzwischen ein Gesundheitsmarkt entstanden, der aus dem Topf des Gemeinwohls eine Aufschwungfinanzierung erhalten soll, damit der gegenwärtige Verbaloptimismus mit Taten gefüttert werden kann? In der Hochzeit der Globalisierung existiert hier eine Nische der Unflexiblen, der Bleibewilligen. Kranke können nur schwerlich zum Billigdoktor nach Polen oder Indien reisen, um eine erschwingliche Behandlung zu bekommen, und sie sollen es auch nicht. Über Jahrzehnte hinweg hat sich in Deutschland ein in der ganzen Welt geachteter hoher medizinischer Standard entwickelt, der auch jedem Bürger zur Verfügung stehen muß. Der Trend geht allerdings in die andere Richtung. Ausländer, die es sich leisten können, lassen sich nach Deutschland einfliegen, um hier gegen Barzahlung eine exzellente Versorgung zu erfahren, die in ihrem Land nicht gewährleistet ist. Der deutsche Patient hingegen fühlt sich gerade beim Zahnersatz genötigt, sein Land Richtung Osten zu verlassen, um die Behandlung überhaupt finanzieren zu können. Ein zwingender Grund also für Arzt und Patient, ein Bündnis zu manifestieren! Mit dieser Erkenntnis würde das über zehn Jahre währende, von der Politik geschürte Zerwürfnisspiel zwischen Arzt und Patient enden. Schließlich hatte man der Öffentlichkeit eingeredet, der Arzt sei gierig und gönne dem Patienten seine Medikamente nicht, weshalb der Patient verständlicherweise über die Maßen hinaus Forderungen an den Arzt stellte. Unser Gesundheitssystem ändert sich, und häufig gehen die Wünsche, wenn es um die eigene Gesundheit geht, über das Ausreichende, Zweckmäßige, Wirtschaftliche hinaus. Patienten, die in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind, hören solcherlei Einwände immer öfter. Auch Privatpatienten bangen um die Zusatzleistungen ihrer Versicherungen. Ärzte agieren, investieren, begründen fachübergreifende Netzwerke, ringen um das Vertrauen zu ihren Patienten. Das Eis, auf dem sie sich bewegen, ist glatt – geschliffen durch immer neue bürokratische Einfälle unserer Volksvertreter, spontane Verordnungen und realitätsfremde Richtlinien. Haben in diesem Wirrwarr Ärzte und Patienten überhaupt noch Zeit, einander zu begegnen, zuzuhören, sich ruhig und besonnen einem Leiden zuzuwenden? Doch es gibt klare Vorstellungen zur Verbesserung. Die Ärztekammer Nordrhein hat formuliert, was es zu tun gilt: l Dazu gehört unter anderem die Bewahrung der freien Arztwahl, einschließlich des Status der Freiberuflichkeit für Ärzte. Einschränkungen in diesem Punkt würden zum Präzedenzfall für ähnlich organisierte Berufsgruppen. l Notwendig ist die Abschaffung überflüssiger Bürokratie, die unter dem Deckmantel von Qualitätssicherung und Effizienzsteigerung wuchert. l Ebenso dringlich ist die Zerschlagung allein profitorientierter Lobbyistenverbände. l Die Aufgabe der Gesundheitspolitik besteht darin, eine ambulante hausärztliche und fachärztliche Versorgung zu ermöglichen, nicht, sie zu rationieren und durch eine staatlich diktierte Listenmedizin nach staatlich diktierten Niedrigpreisen zu ersetzen. l Dringlich ist auch ein Ende der Budgetierung für niedergelassene Ärzte in der GKV: Pro Kalenderjahr darf nur eine bestimmte Geldmenge ausgegeben werden, die derjenigen des Vorjahres entspricht und lediglich um den Prozentsatz der Grundlohnsummensteigerung angehoben wurde. Den Kassenärzten ist aber gleichzeitig eine Versorgungspflicht für alle Patienten auferlegt – doch etwa 30 Prozent kostenintensiver Leistungen ohne Bezahlung zu erbringen, kann sich keiner leisten. Keine andere Berufsgruppe würde es hinnehmen, Mehrarbeit und so entstehende höhere Personal- und Betriebskosten aus eigener Tasche zu finanzieren. Keine habgierigen Halbgötter in Weiß Jetzt ist die Schmerzgrenze aber erreicht. Die Proteste der Ärzte verhallen nach Jahren des Duldens nicht länger ungehört. Die in diesem Jahr aufgekommene Streikwelle entspringt nicht einer von Standesdünkel geprägten Habgier der Halbgötter in Weiß, sondern vielmehr einer berufsethischen Verantwortung gegenüber den Patienten. Die Ausbeutung der Ärzte durch das Gesundheitssystem bekommt letztendlich immer der Patient zu spüren. Wir brauchen keinen gläsernen Patienten und keinen gläsernen Arzt mit Hilfe einer teuren elektronischen Gesundheitskarte. Wir sind bereit, ein EU-konformes Kostenerstattungssystem im deutschen Gesundheitswesen zu akzeptieren. Von halbherzigen Versuchen und bewußt in Kauf genommenen Irrungen haben wir endgültig genug. Wir setzen uns für ein gesundes Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein! Dem sollte, dem muß sich auch die Politik verpflichtet fühlen. Dr. Michael Lachhein ist niedergelassener Radiologe und praktiziert in Essen/Ruhr.
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