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Schöne Gesten aus Berlin

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Am 23. Dezember übernimmt Lech Kaczynski von seinem Vorgänger Aleksander Kwasniewski das Amt des polnischen Staatspräsidenten. Der Spitzenpolitiker der sozial-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte am 23. Oktober die Stichwahl gegen Donald Tusk gewonnen (JF 44/05).

Kaczynski hat dann den Oberbefehl über die Armee, kann das Parlament auflösen, bestimmt den Termin der Parlamentswahl und ernennt den Ministerpräsidenten. Er kann sogar Gesetzesinitiativen ergreifen und ein Veto einlegen. Auch bei der außenpolitischen Repräsentation kommt ihm eine herausgehobene Stellung zu.

Mit dem Ausscheiden des moderaten Postkommunisten Kwasniewski sind alle entscheidenden politischen Schaltstellen mit dezidiert national-polnischen Politikern besetzt, denn auch die Minderheitsregierung von Kazimierz Marcinkiewicz wird von der PiS geführt und von den noch nationalistischeren Parteien Samoobrona und LPR toleriert.

Doch trotz der vor allem im Wahlkampf zu hörenden selbstbewußt-provokativen Töne (vor allem Richtung Deutschland) befindet sich die polnische Außenpolitik in einer verzwickten Lage. Zur östlichen Großmacht Rußland lassen sich angesichts tiefverwurzelter Feindbilder keine engeren Beziehungen entwickeln. Die Kontakte zu Weißrußland sind auf einem Tiefpunkt.

Das Verhältnis zu Deutschland hat sich unter Kanzler Gerhard Schröder verschlechtert. Daß dessen Vertrauter Frank-Walter Steinmeier Außenminister wurde und so den pro-polnischen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel bremst, wurde mit Sorge registriert. Als enger Bündnispartner gelten daher allein die USA. Die sind jedoch weit weg und im Ernstfall möglicherweise nicht zur schnellen Hilfeleistung in der Lage oder willens.

Daher ist Warschau auf ein gutes Verhältnis zu den anderen Nachbarn angewiesen. Hinsichtlich der Ukraine gab es 2005 eine bemerkenswerte Geste: Am 24. Juni weihten die bei der "Orangenen Revolution" zusammengerückten Präsidenten Viktor Juschtschenko und Kwasniewski eine jahrelang umstrittene Gedenkstätte in Lemberg ein. Diese ehrt polnische Soldaten, die in den ukrainisch-polnischen Gefechten der Jahre 1918/19 und bei den Abwehrkämpfen gegen die Rote Armee 1920 fielen. 5.000 Polen waren zu dem historischen Ereignis in die von 1920 bis 1939 polnische Metropole der Westukraine gereist. Die Gedenkstätte wurde 1930 errichtet, später zerstört und dann mit Warschauer Geldern wiederaufgebaut.

Angesichts fortbestehender russischer Hegemonialansprüche und der autoritären Zustände in Weißrußland rücken Warschau und Kiew zusammen. Im Mai und Juli dieses Jahres wurden mehrere Diplomaten gegenseitig ausgewiesen. Der damalige Außenminister Adam Rotfeld sprach von einer anti-polnischen Kampagne aus Minsk.

Vorangegangen war ein heftiger Streit über die Führungsgremien der Union der Polen in Weißrußland im März 2005. Das Regime von Präsident Alexander Lukaschenko erkannte die neue Vorsitzende Andzelika Borys nicht an und setzte "Neuwahlen" durch, die eine willfährige Führung der mehrere Hunderttausende umfassenden Minderheit erbrachten. Doch nun weigerte sich Polen, Verbandschef Josef Lucsnik anzuerkennen; die Finanzhilfen für die Minderheitenvertretung wurden gestoppt. Das polnische Außenministerium kündigte an, allen weißrussischen Regierungsvertretern, die sich an den Manipulationen beteiligt hätten, künftig die Einreise nach Polen zu verweigern.

Aus Minsk verlautete zu dieser Zeit, Polen unterstütze finanziell separatistische Betätigung seiner Landsleute auf weißrussischem Territorium. Man kritisierte die Pläne, in Polen Radio- und Fernsehstationen zu genehmigen, die von dort aus Lukaschenko-kritischen Programme nach Weißrußland ausstrahlen wollen. In der Nacht zum 27. Juli kam es sogar zu einer militärischen Besetzung des Gebäudes der Union der Polen in Grodno. Anfang November verbannte ein weißrussischer Kabelanbieter in der Polenhochburg Grodno auf Weisung des Informationsministeriums das polnische Fernsehens aus dem Kabelnetz. Der Etat des Minsker Verteidigungsministeriums für 2006 wurde angesichts äußerer wie innerer Konflikte um satte 26 Prozent angehoben.

Auch die geplante russisch-deutsche Ostsee-Pipeline, deren Bau am 9. Dezember im einst finnischen Viipuri (Wyborg/Wiburg) feierlich begonnen wurde, weckt in Polen alte Einkreisungsängste (JF 38/05). Warschau beklagt nicht nur entgangene Transitgebühren sondern fürchtet, daß man nach der für 2010 geplanten Fertigstellung verstärkten Erpressungsversuchen durch Moskau ausgesetzt sein könnte. Rußland könnte Energielieferungen an Polen reduzieren, ohne zugleich Deutschland zu brüskieren. Auch die derzeitigen Milliarden-Zahlungen für bestehende Pipelines durch Polen würden durch die Ostsee-Konkurrenz zurückgehen.

Angesichts derartiger Szenarien gibt es auch für die nun regierenden PiS-Politiker keine Alternative zu besseren Beziehungen mit dem westlichen Nachbarn Deutschland. Trotz der antideutschen Polemik im Wahlkampf bemüht sich der neue polnische Außenminister Stefan Meller daher um Schadensbegrenzung. Selbst symbolträchtige Zugeständnisse in bezug auf ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin scheinen möglich, wenn sie denn von Berlin aus mit dem nötigen Nachdruck eingefordert würden.

Meller regte die Wiederbelebung des "Weimarer Dreiecks" zwischen Polen, Deutschland und Frankreich an – als Alternative zur im Irak-Krieg entstandenen "Achse Moskau-Berlin-Paris". Dies könnte das Abdriften der ostmitteleuropäischen Staaten in die "schutzbietenden" Arme der Supermacht USA korrigieren helfen. Die pro-polnische Haltung der neuen Kanzlerin könnte einen solchen Schwenk erleichtern. Ebenso die außenpolitischen Vorstellungen des "Atlantikers" Nicolas Sarkozy, der einer der aussichtsreichten Kandidaten für die Nachfolge des französischen Präsidenten Jacques Chirac ist.

Erste Zeichen wurden von Merkel am 2. Dezember in Warschau gesetzt: Die CDU-Chefin stellte Regierungschef Marcinkiewicz eine Anbindung an die Ostsee-Pipeline in Aussicht. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll sich nun um die Einzelheiten kümmern. Und beim jüngsten EU-Gipfel machte Merkel Polen sogar ein "Weihnachtsgeschenk": In der Schlußphase der Brüsseler Finanzverhandlungen verzichtete Deutschland zugunsten Polens auf 100 Millionen Euro an EU-Geldern – die zunächst vereinbarten Zuschläge für die neuen Bundesländer und Bayern fallen deshalb entsprechend niedriger aus.

Ansonsten hätte Polen den EU-Etat für 2007 bis 2013 eventuell blockiert. "Ich glaube, das ist eine gute Investition zwischen zwei Nachbarstaaten," meinte die Kanzlerin. Marcinkiewicz sprach von Solidarität der Deutschen und einer "wunderschönen Geste, die man mit Euro nicht messen kann".

Fotos: Merkel, Marcinkiewicz: 100 Millionen Euro an EU-Geldern

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