Wenn angesichts der terroristischen Bedrohung in zehn Jahren in Europa „bosnische Verhältnisse“ herrschten, werde dies darauf zurückzuführen sein, daß die Politik der Entscheidung um den gangbaren Weg der Terrorbekämpfung ausgewichen sei. Mit einer provokanten Lageanalyse trat Martin van Creveld in einem Vortrag „Über die Terrorismusbekämpfung“ kurz vor Weihnachten auf dem 8. Berliner Kolleg des Instituts für Staatspolitik (IfS) zum Thema Sicherheitspolitik hervor. Der israelische Militärhistoriker und Sicherheitsberater von der Universität Jerusalem thematisierte vor rund 350 Zuhörern in der Katholischen Akademie in Berlin das Scheitern der meisten Antiterrorkampagnen – vom erfolgreichen Kampf der jüdischen Untergrundbewegung gegen die Briten in Palästina über die Niederlagen der Franzosen in Algerien und der Amerikaner in Vietnam bis zu den Auseinandersetzungen im Irak und in Afghanistan. Unter Terror versteht Creveld auch sämtliche Formen des Guerillakrieges, die sich in die Konzeption des „Low Intensity War“ als Grundform der „neuen Kriege“ einfügen. Wie er ausführte, kam es trotz des Einsatzes drastischer Mittel zu diesen Niederlagen. Mittlerweile stelle sich die Frage um so dringlicher, wie diese Art Krieg zu gewinnen sei. Es gebe nur wenige Beispiele für siegreiche Antiterrorfeldzüge, an denen man studieren könne, welche konkreten Strategien zum Erfolg führten. Als Beispiel für den ersten der beiden von ihm für möglich gehaltenen Wege führte er den Antiterrorkampf in Nordirland an. Nach Beginn der Terroristenoffensive im Jahre 1969 kam es dort zur Eskalation, gipfelnd 1972 – dem Jahr des „Bloody Sunday“ – mit rund tausend Anschlägen. Danach dachten die Briten um. Der Kampf wurde von nun an strikt innerhalb des Gesetzes geführt. Man beschränkte sich auf den Schutz der Bevölkerung, verzichtete auf Repressalien und den Einsatz schwerer Waffen. Letztlich war diese Strategie von Erfolg gekrönt, auch wenn der Preis hoch war. Während sonst im Terrorkampf weit mehr Terroristen getötet werden als Angehörige der regulären Kräfte, war es in diesem Fall genau umgekehrt. Die Verluste der Briten waren mit mehr als tausend Mann höher als die der Terroristen, von denen fast vierhundert getötet wurden. Es gelang mit der Deeskalationsstrategie, den Terrorismus auszutrocknen, dem allmählich der Nachwuchs fehlte. Wie van Creveld schilderte, ließ sich die britische Armee nicht zu Verbrechen provozieren. Diese Strategie erfordere allerdings eine zu eiserner Disziplin fähige Truppe. Den zweiten – offenkundig skrupellosen – Weg der effektiven Terrorbekämpfung veranschaulichte van Creveld am Beispiel des Vorgehens des syrischen Diktators Assad gegen einen Aufstand der radikal-islamischen Muslimbruderschaft im Jahre 1982. Ohne vorzügliche Truppen und funktionierende Nachrichtendienste ausgestattet, ließ er die Stadt Hama als Zentrum des Aufstands von einer Division umstellen und angreifen, wobei bis zu 30.000 Menschen niedergemetzelt wurden. Bei dieser Strategie gelte es so hart zuzuschlagen, daß nicht ein zweites Mal zugeschlagen werden müsse. Entschuldigungen seien fehl am Platz, vielmehr müsse die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen gerechtfertigt werden. Die Ausführung sollte anderen zu überlassen werden, da dies im Falle des Scheiterns noch die Möglichkeit zur Distanzierung offenlasse. Assads Ansehen habe durch sein Vorgehen nicht gelitten – so van Creveld. Der Referent zog das Fazit, daß ein Scheitern im Kampf gegen den Terror immer die Folge mangelnden Mutes sei, die eine oder die andere dieser beiden Strategien konsequent „durchzuziehen“. Dies zeige sich aktuell wieder im Irak, wo er den Amerikanern Unentschiedenheit vorwarf. Van Crevelds provozierender Vortrag forderte eine Erwiderung heraus – noch dazu, nachdem er die Antiterroroptionen nicht moralisch bewertet hatte und es offensichtlich war, daß das Massaker Assads für westliche Regierungen moralisch indiskutabel sein mußte. Hier stieß das starre Konzept der IfS-Tagung an seine Grenzen, als man sich jede Diskussion verbat. Der FAZ-Redakteur Karl Feldmeyer, der als nächster Referent zum Thema „Bundeswehr und Neuer Krieg“ sprechen sollte, verließ nach Crevelds Vortrag unter Protest die Veranstaltung. Die von Creveld vorgestellte Antiterror-Option verletze den Artikel 1 des Grundgesetzes, so Feldmeyer. Für das IfS wies anschließend Karlheinz Weißmann darauf hin, daß van Creveld tags zuvor auf einer von Innenminister Otto Schily eröffneten internationalen Konferenz neben Berlins Innensenator Ehrhart Körting und dem Chef des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, den gleichen Vortrag gehalten hatte. Creveld hob aufgrund des Eklats ausdrücklich den Unterschied zwischen Analyse und Wertentscheidung hervor. Er habe als Fachmann idealtypische Prozeduren ohne politische und moralische Verzerrung dargestellt, die Mittelauswahl auch nach ethischen Gesichtspunkten sei die Pflicht des „ganzen“ Menschen. Ihm, dessen Familie zum Teil dem Holocaust zum Opfer gefallen sei, stehe eine Befürwortung einer Ausmerzungsstrategie im Antiterrorkampf fern. Foto: Martin van Creveld: Das Gefährlichste ist die Unentschiedenheit