Die Bundesregierung scheint ein neues Sommerlochthema für sich entdeckt zu haben. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bekannte sich am 1. August, dem 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes, mit den Worten „Wir beugen uns heute in Scham“ erneut zu deutscher Schuld. Zugleich erklärte er in der polnischen Hauptstadt, angesichts dessen dürfe es in Berlin kein Zentrum gegen Vertreibungen geben. Auch polnische Entschädigungen an Vertriebene könne es nicht geben, denn „wir Deutschen wissen sehr wohl, wer den Krieg angefangen hat und wer seine ersten Opfer waren. Deshalb darf es heute keinen Raum mehr geben für Restitutionsansprüche aus Deutschland, die die Geschichte auf den Kopf stellen.“ Da wollte Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul wohl nicht nachstehen. Vergangenen Mittwoch brach sie nach Namibia auf, um dort an den Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg vom 14. August 1904 teilzunehmen. Die SPD-Politikerin sprach bereits im Vorfeld der Veranstaltungen nicht nur – wie der grüne Außenminister Joseph Fischer – von der besonderen Verantwortung für das ehemalige Deutsch-Südwestafrika, sondern auch davon, mit ihrer Reise „die politische und moralische Verantwortung Deutschlands für die Vergangenheit und koloniale Schuld“ dokumentieren zu wollen. Teil ihres Programms war, am Waterberg ein aus deutschen Mitteln finanziertes Kulturzentrum einzuweihen, das als Ort der Begegnung die Geschichte und Lebensweise der Herero darstellen soll. Welche Art von Geschichte dort zur Schau gestellt wird, machte die Ministerin in ihrer Rede deutlich: „Ich bitte im Sinne des gemeinsamen ‚Vaterunser‘ um Vergebung für unsere Schuld.“ Offenbar schließt sich die Ministerin mit diesem Bekenntnis einer Geschichtsdeutung an, die man zumindest als umstritten bezeichnen kann, nämlich der weitverbreiteten Meinung, der deutsche General Lothar von Trotha habe einen Völkermord an den Herero veranlaßt, indem die Überlebenden der Schlacht in die Omaheke-Wüste getrieben worden seien und dort grausam verdursteten. Diese Meinung zur Bewertung der Schlacht vom Waterberg ist erst lange nach den Ereignissen entstanden: Erstmals formuliert sie der DDR-Historiker Horst Drechsler 1966 in seinem Buch „Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft – Der Kampf der Hereros und Namas gegen den deutschen Imperialismus“. Allein das Vokabular des Titels zwingt dazu, die nach SED-Vorgaben zustande gekommene These Drechslers, es habe sich beim Kampf gegen die Hereros um einen „geplanten Völkermord“ gehandelt, zumindest zu hinterfragen. Der tatsächliche Ablauf der Geschehnisse am Waterberg ist höchst komplex und läßt nur bedingt Schuldzuweisungen zu. Richtig ist, daß von Trotha unter dem Eindruck der grausamen Morde, die Herero an deutschen Siedlern begangen hatten, besondere Härte walten ließ. Er löste damals den auf politische Lösungen drängenden Gouverneur Theodor Leutwein ab, dem angebliche „Milde“ vorgeworfen wurde. Die Verluste auf seiten der Herero sind schmerzvoll und groß gewesen. Richtig ist auch, daß – der militärisch ungeschickt agierende – von Trotha in martialischen Worten rund zwei Monate später eine Erklärung an das Volk der Herero erließ, in denen er ihm, auch Frauen und Kindern, bei Todesstrafe das Betreten deutschen Gebietes verbot. Diese Erklärung, die später als „Vernichtungsbefehl“ tituliert wurde, wurde allerdings im Berliner Reichstag so scharf kritisiert, daß sie zwei Wochen später zurückgenommen wurde und de facto nie zur Ausführung kam – der Großteil der Herero dürfte aber bereits vor der Erklärung tot gewesen sein. Denn man muß sich vor Augen führen, daß die deutsche Truppe, durch Krankheiten auf rund tausend – für den Buschkrieg schlecht ausgebildete – Mann reduziert, kaum die Möglichkeit zu einer gezielten Aktion hatte. Nach der Schlacht am Waterberg hatten zahlreiche Herero, die Schätzungen gingen von 15.000 bis 80.000 (Zahl aus dem britischen „Blaubuch“, das sich 1926 als Propaganda herausstellte), die Flucht in Richtung Britisch-Betschuanaland, das heutige Botswana, angetreten. Im Falle des Eintreffens dort hatte die britische Regierung den Herero Asyl angekündigt. Auf dem Weg kam es dann zur nahezu kompletten Vernichtung des Viehbestandes durch die extreme Trockenheit. Da nun ihre wichtigste Nahrungsgrundlage fehlte, starben viele der fliehenden Herero. Einem Teil der Herero – darunter zahlreiche Häuptlinge – gelang die Flucht ins nördliche Ovamboland, andere wurden von den deutschen Truppen gefangengenommen und in damals so bezeichnete „Konzentrationslager“ gebracht. Der Großteil der Herero war durch Typhus und Cholera erschöpft. Durch mangelnde Ortskenntnis unvorbereitet und schließlich durch fehlendes Wasser gehemmt, waren die Deutschen nicht mehr in der Lage, die Verfolgung der Herero in die Omaheke, ein Gebiet größer als Bayern, anzutreten, geschweige denn, sie gezielt irgendwohin zu treiben. Hinzu kommt: Eine solche Aktion hätte für die Soldaten wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal zur Folge gehabt wie für die Herero. Belastend gegenüber von Trotha muß allerdings geltend gemacht werden, daß er das Verdursten Tausender Menschen in der Wüste bewußt in Kauf nahm. Doch wie kann gerade im Verhältnis zwischen Deutschen und Herero nun sinnvoll in die Zukunft geschaut werden? „Es ist darauf zu achten, an welcher Stelle die leidige deutsche Kolonialgeschichte lediglich als opportune Waffe ehemals von DDR-Historikern eingesetzt wurde, um dem Klassenfeind BRD in der ideologischen Konfrontation beizukommen“, urteilt Eberhard Hoffmann von der Allgemeinen Zeitung in Windhuk. Und er beklagt weiter: „Nun schreiben etliche jüngere Historiker die Terminologie jeder ideologischen Phrasendrescherei ab!“ Neben der moralisch-ethischen Seite hat der Herero-Fall inzwischen auch eine konkret finanzielle Dimension angenommen. Über 200 Angehörige des Herero-Volkes haben mittels deutscher und amerikanischer Anwälte in den USA ein Reparationsklage eingereicht. Sie fordern für das erlittene Leid ihrer Vorfahren vier Milliarden Dollar – analog den Zahlungen an NS-Zwangsarbeiter. Deutschland lehnt dies ab. Es dürfe keine „Zahlung an eine bestimmte Volksgruppe“ geben, erklärte die Ministerin, doch ihr Schuldeingeständnis dürfte die Chancen vor dem US-Gericht neu gewichtet haben. Konkrete Versöhnung wird aber weder durch Entschädigungszahlungen noch durch Schuldrhetorik möglich. Es müßten andere Wege gefunden werden, um mit den „Wunden der Vergangenheit“ umzugehen, fordert der deutsche Botschafter in Namibia, Wolfgang Massing. Gefordert wäre eine Haltung, die sinnvolle Gesten und Entwicklungshilfe jenseits des Druckes von Schuldvorwürfen und moralischen Pflichten ermöglicht. Immerhin hat Deutschland seit 1990 schon über eine halbe Milliarde Euro Entwicklungshilfe an Windhuk gezahlt – das ist pro Kopf ungleich mehr, als an andere afrikanische Länder gezahlt wurde. Allerdings wurde von der Ovambo-Regierung das deutsche Geld nur in geringem Umfang auch an die Herero weitergeleitet. Foto: Ministerin Wieczorek-Zeul mit Herero-Führern und Bildnis von Samuel Maharero: Keine Zahlung an eine bestimmte Volksgruppe
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