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Schlafende Konten

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Am 29. April hielt im District Court of Eastern New York (Brooklyn) der zuständige Richter Edward Korman eine elfstündige Anhörung zu einer überaus heiklen Frage ab: Wie sollen jene übriggebliebenen 656,5 Millionen US-Dollar, die von Schweizer Großbanken stammen und derzeit zinsbringend auf US-Konten liegen, an anspruchsberechtigte NS-Opfer oder deren Hinterbliebene verteilt werden? Konkret geht es um NS-Verfolgte, die Geld auf Schweizer Banken deponiert und bislang vergeblich versucht haben, dieses Geld zurückzubekommen oder denen Besitz geraubt wurde, der in die Schweiz gebracht oder verkauft wurde, dessen Erlös dann in die Schweiz floß. Außerdem anspruchsberechtigt sind Zwangsarbeiter, die für Firmen arbeiten mußten, die ihrerseits Geld in der Schweiz deponiert hatten, oder die für Unternehmen arbeiten mußten, die Schweizern gehörten oder an denen Schweizer beteiligt waren. Anspruch haben auch Personen, die in der NS-Zeit auf der Flucht waren und denen dabei die Einreise in die Schweiz verweigert wurde oder die von den Schweizer Behörden wieder ausgewiesen und somit an NS-Behörden ausgeliefert wurden. Richter Korman hatte 1998 einen Vergleich zwischen den Anwälten von etwa 600.000 Klägern und verschiedenen jüdischen Organisationen auf der einen Seite und den Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse vermittelt und unterschrieben. Danach erhielten die Sammelkläger insgesamt 1,25 Milliarden Dollar zugesprochen. Die gegen Schweizer Großbanken eingereichten Klagen (US-Rechtsanwalt Ed Fagan hatte 20 Milliarden US-Dollar verlangt, World Jewish Congress-Präsident Edgar Bronfman in einem Zeitungsartikel drei Milliarden US-Dollar) wurden dafür hinfällig. Die Verteilung der Gelder übernahm – unter Vorsitz von Richter Korman – das Claims Resolution Tribunal (CRT). Im Sommer 2000 entschied das CRT: 800 Millionen US-Dollar sollten den Inhabern oder Erben „schlafender Konten“ bei Schweizer Banken zugute kommen, die restlichen 450 Millionen US-Dollar waren für überlebende NS-Zwangsarbeiter, als Kompensation für geraubten Besitz sowie für Flüchtlinge vorgesehen, die an der Schweizer Grenze abgewiesen oder aus der Schweiz ausgewiesen worden waren. Einblick in vier Millionen Schweizer Konten gefordert Die Angaben über bisher ausgezahlte Summen sind nicht ganz eindeutig, offiziell sind bislang 593,5 Millionen US-Dollar ausgezahlt worden. Bis Mai 2004 sind schätzungsweise 230 Millionen US-Dollar an ehemalige Sklavenarbeiter gezahlt worden, 205 Millionen wurden an die ärmsten Überlebenden von Holocaustopfern gezahlt (die meisten davon in der Ex-Sowjetunion). Etwa zehn Millionen US-Dollar gingen an abgewiesene ehemalige Flüchtlinge und weniger als 150 Millionen US-Dollar an Inhaber (oder Erben) von Konten bei Schweizer Banken. Richter Korman hatte daher den Juristen Judah Gribetz als „Special Master“ des CRT ernannt. Er sollte nun zur Verteilung der übriggebliebenen 656,5 Millionen US-Dollar Vorschläge formulieren. Gribetz empfahl jetzt, das Geld im Zweifel den bedürftigsten Holocaust-Überlebenden zukommen zu lassen, die zu drei Vierteln in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion lebten. 90 Prozent davon sollten Juden zugute kommen, zehn Prozent Zigeunern, Homosexuellen, Behinderten, Zeugen Jehovas und anderen NS-Opfergruppen. Gribetz‘ Vorschlag löste einen Sturm der Entrüstung aus: Richter Korman erhielt über hundert Eingaben – von Einzelpersonen bis hin zur israelischen Regierung, vom Jewish Claims Conference-Chef Israel Singer und Organisationen von Holocaust-Überlebenden in den USA und in Israel. Selbst Roma-Organisationen trugen in New York Argumente gegen die von Gribetz vorgeschlagene Lösung vor. Inmitten des auch von den Medien vielbeachteten großen Streits – er soll von Korman erst in einigen Wochen gelöst werden – drängt sich aber eine Frage auf: Wieso sind von den veranschlagten 800 Millionen US-Dollar, die angeblich auf jüdischen Konten bei Schweizer Banken „schliefen“ und die den Inhabern seitens der Banken willkürlich vorenthalten wurden, nicht einmal 160 Millionen US-Dollar beansprucht worden? Und dies, obwohl weltweit durch Zeitungsanzeigen, Beratungsstellen und Internet-Listen die Konteneigentümer auf die von der Vereinbarung mit den Banken eröffnete Möglichkeit der Wiedergutmachung aufmerksam gemacht wurden! Richter Korman behauptete nun, daß die Schweizer Banken die betreffenden Unterlagen vernichtet hätten. Außerdem sollten die Banken ihre Archive erneut öffnen. ­Korman und Gribetz verlangen Einblick in alle Kontenlisten aus der Vorkriegszeit. Der Kreis der Anspruchsberechtigten soll zudem erweitert werden. Aber weder die internationale Expertenkommission unter dem ehemaligen US-Notenbankchef Paul Volcker noch die Bergier-Kommission aus Historikern haben Kormans Behauptungen und Forderungen irgendwie gerechtfertigt. Wären die Forderungen an die Schweizer Banken auch nur teilweise berechtigt, dann dürften allerdings weder Richter Korman noch sein „Special Master“ die Verteilung der Gelder an Nichtkonteninhaber überhaupt in Erwägung ziehen. Dem Vergleich, den Korman 1998 nach jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen aushandelte, war eine beispiellose PR-Kampagne gegen Schweizer Banken vorausgegangen. Zudem hatten die klagenden jüdischen Organisationen nicht nur mächtige Verbündete in den US-Kommunal- und Staatsverwaltungen, sondern auch in der US-Regierung sitzen. Sie hätten den Schweizer Banken – etwa durch Boykottmaßnahmen ­- erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen können. Zwar setzte Korman damals seine Unterschrift unter das Enddokument, ­ aber – ein Faktor, der in Europa kaum beachtet wird – das US-Rechtsverständnis wurzelt nicht im römischen Recht. Das Prinzip pacta sunt servanda ist jenseits des Atlantik kein geheiligtes Gedankengut. Die US-Anwälte vertreten die Auffassung, die Vergleichspartner stünden immer noch in einer Gerichtsverhandlung. Nur solange die Banken mit Korman kooperierten, könnten sie auf die zugesagte Befreiung von der Sammelklage zählen. Dieser immer noch ungeklärte Streit scheint aber zumindest einem recht zu geben: dem New Yorker Professor Norman Finkelstein, der vor vier Jahren mit seinem Buch „The Holocaust Industry“ für Aufregung sorgte. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen um die Zwangs- und Sklavenarbeiter dokumentierte er, daß mit falschen oder überhöhten Zahlen in bezug auf die noch überlebenden NS-Opfer operiert werde. Finkelsteins Zweifel an der Zahl der Inhaber von „schlafenden Konten“ waren scheinbar nicht ganz unbegründet.

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