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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

Ein Ausdruck falschen Denkens

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Seit etwa zehn Jahren bemüht sich Deutschland jetzt schon um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Derzeit ist es in diesem Gremium, dem als ständige Mitglieder die USA, Rußland, China, Frankreich und Großbritannien angehören, nur zeitweise vertreten. Die zehn nichtständigen Mitglieder werden nach geographischen Kriterien ausgewählt: fünf kommen aus afro-asiatischen Staaten, zwei aus Lateinamerika, zwei aus Westeuropa und anderen Staaten und eines aus Osteuropa. Der Sicherheitsrat ist das Exekutivorgan der Uno. Es stimmt mit einer Mehrheit von neun der 15 Mitglieder ab. Das Veto eines der ständigen Mitglieder bedeutet allerdings automatisch die Ablehnung eines Antrages. Die Beschlüsse des Sicherheitsrates sind in der Regel für alle Mitglieder der Uno bindend. Bundesaußenminister Joseph Fischer bemühte sich auf seiner jüngsten Asienreise, die ihn unter anderem nach China und Indien führte, Unterstützer für dieses Ansinnen zu gewinnen, das nach Lage der Dinge bis auf weiteres Zukunftsmusik bleiben dürfte. Denn in „wohlunterrichteten Kreisen“ sickerte durch, daß die Regierung Bush derzeit keinerlei Interesse an einer ständigen deutschen Mitgliedschaft hat. Ein namentlich nicht genannter US-Diplomat wurde in der Financial Times Deutschland (FTD) wie folgt zitiert: „Wir hatten im Sicherheitsrat – seit Deutschland Mitglied ist ­- mehr Probleme als zuvor.“ Die deutsche Präsenz im Rat während der letzten anderthalb Jahre sei „sehr problematisch“ gewesen. Daß sich diese Äußerungen vor allem auf Deutschlands ablehnende Haltung zum Irak-Abenteuer der USA beziehen, ist nicht schwer zu erraten. Dennoch verlautet aus deutschen Regierungskreisen, noch in diesem Jahr eine Initiative für einen ständigen Sitz starten zu wollen. Damit diese Initiative erfolgreich verläuft, müssen zwei Drittel der UN-Vollversammlung und alle fünf mit ständigem Sitz versehenen Staaten, dies sind vor allem die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, zustimmen. Mit der Stimme der USA kann derzeit nicht gerechnet werden, traut man der FTD-Quelle: „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt“, so erklärte besagter US-Diplomat, „zu dem Deutschland sich um einen permanenten Sitz bewerben sollte.“ Auch in Deutschland ist diese Initiative nicht unumstritten. So sprach sich der Unionsfraktionsvize Wolfgang Schäuble gegen einen derartigen Sitz für Deutschland aus. Er hält das „für einen Ausdruck falschen Denkens“. In Zukunft müsse es einen „europäischen Sitz“ und keinen „nationalen Sitz“ im Sicherheitsrat geben, meinte Schäuble, der sich in diesem Punkt gegen seine Parteivorsitzende Angela Merkel aussprach, die einen deutschen Sitz für „wünschenswert“ hält. Den eigentlichen Knackpunkt dieses ganzen Unternehmens brachte bezeichnenderweise kein einziger deutscher Politiker zur Sprache. Ausgangspunkt für die Gründung der Vereinten Nationen war die sogenannte „Atlantik-Charta“, die der britische Premierminister Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt am 14. August 1941 an Bord eines englischen Kriegsschiffes unterzeichneten. In dieser Charta wurden die Grundlagen der Nachkriegsordnung fixiert. Sie war explizit gegen die sogenannten „Achsenmächte“, also insbesondere gegen Deutschland gerichtet. Auf ihrer Grundlage wurde die Satzung der UN als völkerrechtlicher Vertrag entworfen und zum Abschluß der Gründungskonferenz in San Francisco am 26. Juni 1945 unterzeichnet. Nach wie vor gültig sind die als „Feindstaatenklausel“ bekannt gewordenen Artikel 53 und 107 dieser Charta. Sie besagen, daß Maßnahmen gegen die ehemaligen Feindstaaten des Zweiten Weltkrieges auch ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates legitim sind. Schon Moskau rekurrierte im Kalten Krieg immer wieder auf diese Klausel, wenn es seine Interventionsbereitschaft im Falle des Erstarkens einer friedensbedrohenden, neonazistischen Partei in der Bundesrepublik betonte. Bei den Feindstaaten entfiel aus der Sicht von Moskau das, was sonst als obligat angesehen wird: nämlich die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes. Auch wenn die USA diese sowjetische Auslegung immer bestritten haben, gilt wohl heute noch das, was der Verleger Heinrich von Siegler bereits 1966 feststellte: „Die Alliierten wären aufgrund des Artikel 107 sogar in der Lage, Gewalt gegen Feindstaaten anzuwenden, ohne die Satzung zu verletzen, und auch noch heute, da Artikel 107 künftige Maßnahmen nicht ausschließt, sondern einbegreift.“ So wäre zumindest theoretisch die Situation denkbar, daß Deutschland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates bei umwälzenden Wahlerfolgen „rechter Parteien“ eine – satzungsgemäße! – Intervention der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges im eigenen Lande nicht verhindern könnte. Über die Souveränität Deutschlands bestimmen damit immer noch Fremdmächte. Möglicherweise unwillkommene Ergebnisse der demokratischen Willensbildung in Deutschland stehen nach wie vor unter Sanktionsandrohung. Wer dies alles nur für abwegige Gedankenspielereien hält, der sei an den Regierungseintritt der Freiheitlichen in Österreich im Jahre 2000 erinnert. Bernd Posselt, Europaparlamentarier der CSU, wies damals darauf hin, daß sich am „Fall Österreich gewisse antideutsche Emotionen“ entzündeten. Wer die „französische und belgische… Presse in den ersten Monaten des Jahres 2000 studierte, mußte den Eindruck haben, in Österreich habe die NSDAP die Macht ergriffen. Haider mit Hakenkreuzbinde als Karikatur auf der Titelseite von Le Monde vom 3. Februar 2000 – dies war blanke Hetze, die mit der österreichischen Realität nichts zu tun hatte, aber das linksintellektuelle Europa in Wallung brachte“. Auch Karl-Peter Schwarz mutmaßte in einem Beitrag für die Wiener Tageszeitung Die Presse: „Wird Österreich geprügelt, um den Deutschen die Rute ins Fenster zu stellen?“ Nicht ein ständiger Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat ist demnach das Gebot der Stunde, sondern die Forderung nach einer ersatzlosen Streichung der Feindstaatenklausel. Erst dann kann aus deutscher Sicht wirklich von einem Ende der Nachkriegszeit gesprochen werden. Foto: Sitzung des Uno-Sicherheitsrates: Zustimmung von zwei Dritteln der Vollversammlung und allen fünf ständigen Mitgliedern erforderlich

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