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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Die entmilitarisierte Armee

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Die Wahrscheinlichkeit, zum Dienst in der Bundeswehr gezogen zu werden, wird immer geringer. Das Verwaltungsgericht Köln gab der Klage eines Wehrpflichtigen gegen seine Einberufung statt und stellte fest, daß die derzeitige Einberufungspraxis gegen den Grundsatz der Wehrgerechtigkeit verstoße. Da mittlerweile ohnehin nur noch weniger als die Hälfte der Wehrpflichtigen gezogen werde, könne jeder Wehrpflichtige „sich deshalb darauf berufen, von willkürlichen Akten der Verwaltung verschont zu bleiben, und verlangen, daß er ebenfalls nicht einberufen werde“, urteilten die Richter. Minister Peter Struck (SPD) hatte erst vor einem Jahr die Einberufungspraxis dahingehend geändert, daß die Heranziehungsgrenze von 25 auf 23 Jahre gesenkt wurde, daß Verheiratete und „in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Lebende“, ferner Wehrpflichtige mit Tauglichkeitsgrad 3 überhaupt nicht mehr sowie Abiturienten und Fachabiturienten mit einer Lehrstelle vorübergehend nicht gezogen werden. Daraus ergibt sich, daß de facto nur noch 51 Prozent der wehrpflichtigen Männer tatsächlich dienen müssen, diese Quote soll nach Plänen des Verteidigungsministeriums dann bis zum Jahr 2010 sogar auf 35,8 Prozent absinken. Je nach grundsätzlicher Haltung zur Wehrpflicht fiel die Reaktion auf das Kölner Urteil in den verschiedenen politischen Lagern unterschiedlich aus. Strucks Ministerium reagierte mit betonter Gelassenheit auf das Signal vom Rhein: Da das Gericht die Möglichkeit einer sogenannten Sprungrevision zugelassen habe, wolle man dieses Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen und werde die entsprechende Entscheidung abwarten. Außerdem handle es sich nur um ein Urteil in dieser Sache, es gebe mehrere Urteile anderer Gerichte, die bei gleicher Sachlage anders entschieden hätten. Auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Wilfried Penner, stellte in einem Interview mit dem Deutschlandradio Berlin fest, daß die Frage der Zukunft der Wehrpflicht von diesem Urteil nicht berührt werde, sondern allein dem Parlament vorbehalten bleibe. Aus der geringen Zahl der Eingaben, die ihn zu diesem Thema erreichten, schließe er, daß die Frage der Wehrgerechtigkeit unter den Wehrpflichtigen keine herausragende Bedeutung habe, so Penner. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Christian Schmidt verlangte, daß die Bundesregierung die Kriterienänderung sofort wieder rückgängig machen müsse. Daß die SPD an der Wehrpflicht festhalten will, hält Schmidt für ein „Lippenbekenntnis“. „Wer vorgibt, die Wehrpflicht erhalten zu wollen, kann nicht auf der anderen Seite die Einberufungsquote halbieren und so den Gegnern der Wehrpflicht in die Hände spielen. Bei bis zum Jahr 2008 weiter wachsenden Jahrgangsgrößen wird die Wehr- und Dienstgerechtigkeit weiter ausgehöhlt“, empört sich der Unionsabgeordnete. Grüne und FDP begrüßen das Urteil als wegweisend Hinter dieser Vorgehensweise wittert die CDU/CSU einen Handel der Sozialdemokraten mit den Grünen, die sich die Abschaffung der Wehrpflicht auf die Fahnen geschrieben haben. Der rot-grünen Bundesregierung wirft man vor, sie lasse den Heimatschutz aus finanziellen Gründen und ideologischen Vorbehalten zum „Abfallprodukt“ der Krisenintervention geraten. Ein umfassender Heimatschutz könne jedoch nur garantiert werden, wenn an der Wehrpflicht festgehalten werde. Bestärkt wird diese Meinung der Union durch die unverhohlene Freude der Grünen über das Votum der Kölner Juristen. „Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist der Anfang vom Ende der Wehrpflicht. Es wird eine Entwicklung erheblich beschleunigen, die im Rahmen der Reform und der Verkleinerung der Bundeswehr unausweichlich ist“, urteilte Winfried Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen. Auch die FDP gewinnt dem Kölner Urteil Positives ab. Durch die Entscheidung des Gerichts sei in der Region Köln de facto „die Wehrpflicht außer Kraft gesetzt“, schlußfolgert der ehemalige Staatsminister und Kölner Bundestagsabgeordnete Werner Hoyer. Andreas Pinkwart, Landeschef und stellvertretender Bundesvorsitzender der Liberalen, hält die Wehrpflicht ohnehin für nicht mehr zeitgemäß: „Wir sind in Europa umzingelt von Freunden, die Bundeswehr hat neue Aufgaben. Für Einsätze in Afghanistan oder im Kosovo brauchen wir sowieso Berufssoldaten und keine Wehrpflichtigen.“ Trotz der vorgeblichen Gelassenheit auf der Hardthöhe stellt das Kölner Urteil die Rechtmäßigkeit eines wichtigen Bestandteils der Struckschen Reform in Frage: Denn der Minister wollte mit seiner Änderung der Einberufungspraxis einen wesentlichen Schritt in Richtung der „Auswahlwehrpflicht“ gehen, die seinerzeit die von Strucks Vorgänger Rudolf Scharping einberufene Weizsäcker-Kommission vorgeschlagen hatte. Genau dies droht jetzt zu kippen. Denn obwohl das Verteidigungsministerium zu Recht auf abweichende Urteile anderer Gerichte verwiesen hat, beinhaltet dies noch keinen grundsätzlichen juristischen Segen für seine Pläne. Das Verwaltungsgericht Oldenburg entschied beispielsweise gegen einen wehrpflichtigen Kläger und stellte fest, daß bei den Auswahlkriterien „nicht sachfremde Erwägungen, sondern die Überlegung, nur die besonders geeigneten Wehrpflichtigen einzuberufen“, ausschlaggebend gewesen seien. Auch wiesen die Richter (im Sinne des Ministeriums) darauf hin: „Nicht jegliche Schwierigkeiten bei der Ausführung von Gesetzen führen allerdings schon zu einem Gleichheitsverstoß“. Aber auch das Oldenburger Gericht, das im konkreten Fall gegen den Kläger entschied, stellte fest, daß an der Vereinbarkeit der Einberufungspraxis mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes „Zweifel bestehen“. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Danach stellt sich aus Sicht der Kammer die Rechts- und Sachlage in verfassungsrechtlicher Hinsicht als offen dar“. Eine Entscheidung könne nur vom Bundesverfassungsgericht getroffen werden. Das ist beileibe kein Freifahrschein für Strucks Bundeswehr-Dekonstruktion. Verbot sexueller Kontakte in Kasernen wird aufgehoben Die wenigen jungen Männer jedoch, die der Ruf zu den Fahnen unabwendbar ereilt, haben jetzt immerhin bessere Chancen, eine der mittlerweile etwa 9.300 Frauen beim Bund abzubekommen; nach der jüngsten Revision der Zentralen Dienstvorschrift 14/3 des Bundesverteidigungsministeriums (Verbot „sexueller Betätigung in militärischen Liegenschaften“) könnte dann eine entsprechende Liaison in Oliv sogar innerhalb der Kaserne ausgelebt werden. Von der Hardthöhe verlautet, daß die bisherige Praxis „tatsächlich lebensfremd“ gewesen sei, und so gab das Ministeriums bekannt, es solle „mit dem geplanten Erlaß erreicht werden, daß bestehende Partnerschaften auch im Einsatz aufrechterhalten werden können“. Künftig sollten die Vorgesetzten „zwischen Dienstschluß und Zapfenstreich nicht mehr einschreiten, wenn es zwischen ihren Untergebenen funkt. Außerdem müßten sie dann dafür sorgen, daß für Paare geeignete Unterkünfte zur Verfügung stehen“, sagte der Ministeriumssprecher.

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