Der Weg zur Kanzlerkandidatur gestaltet sich für CDU-Chefin Angela Merkel ausgesprochen holprig. Noch im Frühjahr hatte es geheißen, alles laufe automatisch auf die Rostocker Pastorentochter zu. Der CDU Parteitag in Düsseldorf zeigte jedoch, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Merkel bekam bei der Wiederwahl zur CDU-Chefin ein Ergebnis unter 90 Prozent. Mit 88,41 Prozent blieb sie recht deutlich unter den 93,72 Prozent, die sie vor zwei Jahren auf dem Parteitag in Hannover erhalten hatte. 90 Prozent waren vom Merkel-Lager selbst als Meßlatte für eine Art indirekte Ausrufung zur Kanzlerkandidatin ausgegeben worden. Jetzt scheint alles wieder offen zu sein. Auffällig in Düsseldorf war aber auch, daß Merkels Stellvertreter ebenfalls Federn lassen mußten, was den Schluß eines leichten Mißtrauens vieler Delegierter hinsichtlich der Fähigkeiten ihrer Spitze zuläßt. Von einer „Krönungsmesse“ für die CDU-Chefin kann jedenfalls nicht gesprochen werden. Auf den Fluren und Foyers in der Düsseldorfer Messehalle war eine gedrückte Stimmung spürbar, die noch weiter absackte, nachdem die Vorsitzende ihre fast zwei Stunden dauernde Rede vor den knapp 1.000 Delegierten abgeliefert hatte. Dabei war kaum ein Funke auf das Publikum übergesprungen. Das Ziel, die Delegierten zu begeistern und zugleich neue Perspektiven aufzuzeigen, wurde von ihr klar verfehlt. Kanzlerqualitäten kamen in Düsseldorf nicht zum Vorschein. Es gibt verschiedene Gründe für den der Regie aus dem Ruder gelaufenen Parteitag. Politiker kennen nur eine Währung – und das sind Wahlerfolge. Da sah es für die CDU in der jüngsten Zeit nicht besonders gut aus, auch wenn Merkel feststellte, die Union habe von 14 Wahlen 13 ganz und eine halb gewonnen. Aber die letzten Wahlen, zum Beispiel die Landtagswahlen im Saarland, in Thüringen, in Brandenburg und vor allem in Sachsen blieben zum Teil deutlich unter den Erwartungen der CDU. Auch bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen hatte die Union sich mehr ausgerechnet. Ein weiterer Grund: Was der CDU fehlt, und das wurde in Düsseldorf klar, ist eine Vision. Frühere visionäre Elemente in der Politik wie Ludwig Erhards Ziel des „Wohlstands für alle“ sind wegen schlechter Kassenlage Geschichte. Merkels Versuch, den Patriotismus in der CDU zu beleben und eine Debatte anzustoßen, dürfte als gescheitert anzusehen sein. Sie verband das Thema zu sehr mit wirtschaftlichen Aspekten, als ob sich Patriotismus dann einstellen würde, wenn Deutschland in zehn Jahren wieder auf einem der ersten drei Plätze in Europa stünde. „Ich will, daß deutsche Interessen wieder beachtet und geachtet werden. Ich bin es satt, überall zu lesen, daß wir der kranke Mann in Europa sind. Ich gebe mich nicht zufrieden mit Mittelmaß statt Spitzenplatz“, so ihre Umschreibung. Patriotismus kann aber auch nicht darin bestehen, dem Wort Reform wieder einen guten Klang zu geben, wie Merkel meint. Den zweiten Teil ihrer Rede widmete sie dem Thema Werte und erzählte aus ihrer DDR-Vergangenheit. Dies ist Teil der neuen Parteistrategie, die Vorsitzende nicht mehr als technokratische Reformerin, sondern stärker als Person darzustellen. „Mensch Merkel“, meinte der Spiegel dazu. Selbst ein Unrechtssystem wie die DDR habe es nicht geschafft, „all das zu zerstören, was das Leben des Menschen ausmacht: Treue, Verläßlichkeit, Bindung, Geborgenheit, Halt … Aus den Werten, die immer gelten, schöpfen wir Menschen die Kraft“, rief sie den Delegierten zu, deren westlicher Teil damit seine Probleme hatte, weil ihm die Verhältnisse in der DDR weitgehend unbekannt sind. Beim Thema Werte blieb die CDU-Chefin merkwürdig unklar. Sie definierte die Werte der CDU über allgemeine Begriffe wie „das christlich-jüdische Erbe“ und eine nicht näher bezeichnete „freiheitlichdemokratische Leitkultur“. Außerdem stellte sie fest, daß Politik ohne Gottvertrauen nicht möglich sei. Und war dann sehr schnell wieder bei allgemeinen tagespolitischen Fragen wie dem EU-Beitritt der Türkei, den sie vehement ablehnt, um dem stark gelangweilten Publikum zum Abschluß noch mitzuteilen, daß die Wiedervereinigung ihr Traum gewesen sei. Eine Rede mit viel Schwächen und wenigen Stärken, die magere Erfolgsbilanz sowie die Tatsache, daß man der CSU zur Beendigung des Streits um die Gesundheitsprämie mehr Zugeständnisse machen mußte, als dem Selbstverständnis der seit dem Leipziger Parteitag auf strammen Reformkurs getrimmten CDU guttat, dürften eine Erklärung dafür sein, daß die Führung mehrere Dämpfer erleben mußte. Merkel erwähnte zwar Merz, aber nicht Schäuble Das betraf nicht nur Merkel, sondern auch ihre Stellvertreter. Ihre Vertraute im Präsidium, die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan, sackte bei der Wiederwahl von 93 auf 78 Prozent. Der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr, der ebenfalls zum Merkel-Flügel gezählt wird, verschlechterte sich von 63 auf 55 Prozent, während der nordrhein-westfälische Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers mit Blick auf die Landtagswahl 2005 von 63 auf 79 Prozent gehievt wurde. Etwa gleich gut (86 Prozent) schnitt der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff ab. Er gilt schon seit längerem als heimlicher Thronfolger, falls die Vorsitzende stürzen sollte. Jörg Schönbohm, Innenminister von Brandenburg, verbesserte sich um rund zwölf Prozent auf 68 Prozent. Die CDU-Chefin bekam deutlich zu spüren, daß die Delegierten nicht allein Merkel-Festspiele, sondern Teamarbeit an der Spitze wollen. In ihrer Rede machte sie in dieser Hinsicht gleich zwei Fehler. Sie vermied es, ihren Vorgänger im Parteiamt und heutigen außenpolitischen Fraktionsexperten Wolfgang Schäuble zu erwähnen, obwohl sie sonst jeden, der etwas zum Erfolg der CDU beigetragen hatte, nannte. Das nahmen ihr viele Delegierte übel. Der zweite Fehler: Sie erwähnte ihren zurückgetretenen Stellvertreter in der Fraktion, Friedrich Merz. Der war aus Verdruß über die ihn ausgrenzende Politik der CDU-Chefin gegangen und dürfte jetzt mit der Tätigkeit in einer internationalen Anwaltskanzlei die Merkel-Ära zu überbrücken versuchen. Auf die Erwähnung seines Namens gab es riesigen Beifall, den – ihr Blick zeigte es – Merkel ganz richtig als gegen ihre Person gerichtet interpretierte. Die CDU ist eine Partei, die ihre Vorsitzende erträgt, aber nicht liebt. So wird man die Bundestagswahl 2006 kaum gewinnen. CDU wählt
Türkin in Vorstand Mit Emine Demirbüken-Wegner ist erstmals eine gebürtige Türkin in den Bundesvorstand der CDU gewählt worden. Die Integrationsbeauftragte des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg erhielt auf dem Parteitag rund 67 Prozent der Stimmen. Die Kandidatur der gläubigen Muslimin war von Angela Merkel unterstützt worden. Demirbüken-Wegner war trotz innerparteilichen Widerstands von der Berliner CDU nominiert worden. Sie lebt seit 1969 in Deutschland und tritt unter anderem für den Beitritt der Türkei in die EU ein.