Die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) hatte am vergangenen Montag in ihr Hauptstadtstudio nach Berlin eingeladen und alle kamen. Sollte doch die lange erwartete Studie über den Einfluß der Staatssicherheit der DDR auf den Rundfunk in beiden Teilen Deutschlands vorgestellt werden. Viele der anwesenden Journalisten waren vor allem an Namen interessiert – möglichst von bislang unentdeckten Agenten. Ihnen wurde versprochen, die beiden Filme, die am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche im Ersten ausgestrahlt wurden und von denen man Ausschnitte zu sehen bekam, brächten etwa zehn „neue“ Namen. Einer lautet Rainer Grau, der als „fester Freier“ im Fernsehen des Saarländischen Rundfunks beschäftigt wird. Sein Intendant brachte seine Enttäuschung über den Fall zum Ausdruck, von dem niemand etwas geahnt habe. Das trifft aber nur auf die Anstalt zu. Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur geahnt, sondern auch gewußt. Allerdings hat sie das Verfahren gegen Grau bereits vor zehn Jahren wegen angeblich geringer Schuld nach Paragraph 153 der Strafprozeßordnung gegen eine Geldbuße eingestellt. Das war damals ein beliebtes, weil Aufsehen vermeidendes Verfahren. Ob Graus Schuld wirklich gering war, wird jetzt wohl in einem Arbeitsrechtsstreit geklärt werden müssen, in dem der Sender nicht unbedingt die besten Karten hat. Immerhin ist Grau vom Staatssicherheitsdienst schon als Student angeheuert und über viele Jahre aufgebaut und genutzt worden. Die Intendanten Udo Reiter (MDR) und Fritz Pleitgen (WDR), letzterer als Korrespondent in Ost-Berlin selbst ein gefürchtetes „Feindobjekt“ der Stasi, konnten die 1.095 Seiten umfassende Studie des Forschungsverbunds SED-Staat der Freien Universität Berlin noch nicht in Gänze der Öffentlichkeit präsentieren. Dies ist dem von Altbundeskanzler Helmut Kohl erstrittenen Urteil des Bundesverwaltungsgericht zu danken, das – so hieß es übereinstimmend – zwar nicht unbedingt die Arbeit der Historiker, aber jedenfalls die der Journalisten mit den Akten der Birthler-Behörde weitgehend unmöglich macht. Die Studie soll „tausende“ Namen enthalten. In sehr vielen Fällen müsse die Zustimmung der Betroffenen zu einer Veröffentlichung eingeholt werden. „IM Basket“ sendet aus Tel Aviv Oft wisse man gar nicht, ob sie noch leben und wo man sie erreichen kann. Pleitgen versprach, man werde sein Bestes tun. Ob das ausreicht, wird sich herausstellen. Nicht überall wird der Wille zur Aufklärung so ausgeprägt sein wie bei ihm. Über die Veröffentlichung der Teile der Studie, die sich mit den einzelnen Sendeanstalten beschäftigen, entscheiden diese sowieso selbst. Das Zweite Deutsche Fernsehen hat sich an dem Auftrag überhaupt nicht beteiligt, was Pleitgen kritisierte. Als Abfallprodukt der ARD-Studie ist jedoch bekannt geworden, daß der ZDF-Korrespondent in Tel Aviv, Dietmar Schumann, der schon im DDR-Fernsehen als Auslandskorrespondent wirkte, als IM „Basket“ von der Hauptverwaltung Aufklärung erfaßt war. Auch die über 400 Seiten der Kurzfassung, die jetzt als Presseexemplare die Öffentlichkeit erreichten, sind eindrucksvoll. Sie illustrieren die enormen Anstrengungen, die das MfS unternahm, um im eigenen Land alles unter Kontrolle zu haben und im Westen den Klassenfeind notfalls auch physisch ausschalten zu können. Obwohl die SED, als deren „Schild und Schwert“ sich das MfS stets verstand, sowieso die Massenmedien der DDR politisch beherrschte, baute das MfS daneben noch ein weiteres Kontrollsystem auf. Auch im Westrundfunk wollte der Staatssicherheitsdienst das ganze Arsenal seiner Möglichkeiten zum Einsatz bringen: Informationen sammeln, den Gegner „zersetzen“ und gleichzeitig seine Programmgestaltung im eigenen Interesse beeinflussen. Dies ist flächendeckend nicht gelungen, hat aber in zahlreichen Fällen doch für die DDR-Führung schöne Erfolge gebracht. Der Journalist Günter Wallraff wird sich erneut alten Vorwürfen stellen müssen (JF 38/03). Bei westlichen Reisekorrespondenten ist es der Stasibetreuung durchaus gelungen, die Arbeitsergebnisse zu beeinflussen. Es kam immer darauf an, ob und inwieweit die westlichen Journalisten und Reporter durch einen sozialismusfreundlichen Zeitgeist vorgeprägt waren. Die seit 1974 in Ost-Berlin akkreditierten ARD-Korrespondenten erwiesen sich dagegen für das Ministerium für Staatssicherheit als eine Herausforderung, an der es letztlich trotz aller Gängelungen und massiven Einschüchterungen gescheitert ist. Man hielt sie, dem eigenen Vorbild folgend, sämtlich für Agenten westlicher Geheimdienste, konnte aber nicht verhindern, daß ihre Berichterstattung für die Menschen in der DDR eine wichtige Informationsquelle auch und vor allem über das eigene Land wurde. Ähnlich könnte es der Studie des Forschungsverbunds ergehen. Nicht nur Altkanzler Helmut Kohls Verhalten beweist, daß vielen die ganze Richtung der Stasiaufarbeitung nicht paßt. Dennoch wird das umfangreiche Material der zeitgeschichtlichen Forschung neue Impulse geben.
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