Alles deutet darauf hin, daß der alten Garnisonstadt Potsdam der „Tag von Potsdam“, der 21. März 1933, ein weiteres Mal Narben schlägt. Die Sprengung der Garnisonkirche und des Stadtschlosses nach dem Krieg wurde oftmals im Zusammenhang mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler gebracht. Nun wird mit aller Wahrscheinlichkeit Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerwürde aberkannt. Am 22. Januar fand die Stadtverordnetenversammlung (SVV) statt, in welcher der Antrag der Fraktion „Die Andere“ – vormals „Kampagne gegen Zwangsdienste, Wehrpflicht und Militär“ – behandelt werden sollte. In der Begründung der Fraktion, deren Geschäftsführer Lutz Boede gerade vor dem Potsdamer Amtsgericht wegen übler Nachrede angeklagt ist, wurde jedoch nicht auf den Händedruck zwischen Hindenburg und Hitler verwiesen. Man müsse prüfen, ob der damalige Reichskanzler Verdienste um die Stadt Potsdam erworben habe. Da dies kaum der Fall sei, solle man ihn von der Ehrenbürgerliste streichen, hieß es zur Begründung. Die Urkunde vom 10. März 1933 zur Verleihung dieser Ehre am 7. April 1933 würdigt Hindenburg unter anderem als „selbstlosen Reichspräsidenten, der beste preußische Tugenden verkörperte.“ Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), Nachfolger des jetzigen Ministerpräsidenten Brandenburgs, Matthias Platzeck, antwortete auf den Antrag, er habe ein „ambivalentes Verhältnis“ zu Hindenburg. Der Reichspräsident habe „einen erheblichen Anteil, daran gehabt, daß Hitler Reichskanzler wurde“, jedoch sei der Umstrittene auch SPD-Kandidat gewesen. Bei den Wahlen zur Reichspräsidentschaft 1932 setzte er sich mit 53 Prozent in der Stichwahl gegen Adolf Hitler (36,8 Prozent) durch. Zu jener Wahl war auch der Kommunist Ernst Thälmann angetreten, der jedoch mit 10,2 Prozent durchfiel. Nach dem Antrag Jakobs, daher zur Diskussion unter Einbeziehung von Historikern eine Verweisung an den Hauptausschuß zu tätigen, kam es nach kurzem Tumult zu einer Unterbrechung der Sitzung. Eine sofortige Entscheidung, von „Die Andere“ und PDS gefordert, wurde im Anschluß verworfen. Eine Entscheidung zeichnet sich indes nicht ab. Jakobs kann zwar mit den 20 SPD-Verordneten innerhalb der SVV Potsdams mit den 6 Unionsverordneten auf eine stabile Mehrheit rechnen; jedoch gibt es Umfaller in den Reihen der Sozialdemokraten, die auch an der Rechtfertigung der Ehrenbürgerwürde zweifeln. Diese könnten nun bei der Sitzung im März, bei der eine Abstimmung erfolgen würde, mit den 15 Abgeordneten der PDS und den 8 Mitgliedern der Grünen, des Bürgerbündnis und der Gruppierung „Die Andere“ für eine Streichung sorgen. Bis dahin wird jedoch im Ausschuß beraten, wie weiter zu verfahren sei. Die CDU steht in der SVV Potsdams mit der Forderung ziemlich verlassen da, man möge alles im weiteren Kontext sehen – und eben nicht nur auf den „Tag von Potsdam“ abzielen, wie Unionsfraktionschef Eberhard Kapuste bemerkte. Er bezeichnete es als „Arroganz der Nachkommen“, die versuchen würden, Korrekturen an der Geschichte vorzunehmen. In Berlin, wo die Bündnisgrünen einen gleichlautenden Antrag einbrachten und dabei von der PDS unterstützt wurden, ist eine Aberkennung zuerst als unwahrscheinlich angesehen worden. SPD-Parlamentspräsident Walter Momper höchstselbst übernahm die Verteidigung von Paul von Hindenburg, bezeichnete ihn als „historische Gestalt“, deren Verdienste man nur im „Rahmen ihrer Zeit“ beurteilen könne. So habe er 1918 den Kaiser zum Rückzug gezwungen und dem Land einen Bürgerkrieg erspart, und erst seine Kandidatur habe Hitlers Präsidentschaft 1932 verhindert. Die Ehrenbürgerliste, so Momper, zeige „eben Glanz und Schatten der Geschichte“. Eindeutiges Indiz für eine Streichung Hindenburgs von der Ehrenbürgerliste sind Äußerungen des Berliner Historikers Heinrich August Winkler, der als Experte zum Thema „Machtergreifung“ im Kulturausschuß gehört wurde und die verliehenen Ehrenbürgerwürden für Hindenburg als „Dankeschön der Nazis“ bezeichnete. Der Reichspräsident habe so die Machtergreifung mit zu verantworten, so der Historiker. Im zweiten Halbjahr 1932 habe sich Hindenburg öffentlich zweimal von Hitlers Vorhaben, Reichskanzler zu werden, distanziert, weil er keine Parteidiktatur etablieren wolle. Im Januar 1933 habe dann anschließend anscheinend „sein Gewissen geschwiegen“. Noch in seinem Buch „Weimar 1918-1933“ soll er laut Berliner Zeitung vom 28. Januar geschildert haben, Hindenburg habe lediglich die Wahl gehabt, durch die Berufung Hitlers zum Reichskanzler der Verfassung zu folgen oder aber der Bürgerkriegsstimmung weiter Vorschub zu leisten. Das Büro des Wissenschaftlers dementierte jedoch gegenüber der JUNGEN FREIHEIT inhaltlich diese Tatsachen. Martin Sabrow, Projektleiter am Potsdamer Institut für Zeithistorische Forschung, argumentiert ein wenig anders. „Man kann“ so der Wissenschaftler, „Ehrenbürgerschaften einer Stadt auch als Narbenbuch betrachten“, zitierte ihn die Berliner Morgenpost vom 27. Januar. „Und dann ist die Tilgung absurd.“ Trotzdem ist die Entscheidung seit vergangenem Montag auch in Berlin offen. Nach der Kulturausschußsitzung vom Montag ist klar, daß mit einer endgültigen Entscheidung erst nach den Beratungen in den einzelnen Fraktionen im Februar zu rechnen ist. Neben einigen SPD-Abgeordneten, die Hindenburg gern streichen würden, möchte der Berliner Landesvorsitzende der CDU, Christoph Stölzl, gern für die Entscheidung den Fraktionszwang aufheben. Die Unionsfrau Monika Grütters äußerte „sehr erhebliche Zweifel an der Würdigkeit Hindenburgs“ – ein Zeichen, daß selbst ein Teil der Union für eine Streichung Hindenburgs votieren würde. Es ist bezeichnend, daß sich in Berlin wie in Potsdam eine Mehrheit als geschichtlich äußerst kurzsichtig erweist und – anders als noch 1991 – Paul von Hindenburgs Lebenswerk nur auf den unseligen 21. März reduziert. Foto: Paul von Hindenburg mit dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer Anfang der dreißiger Jahre: „Ein selbstloser Reichspräsident, der beste preußische Tugenden verkörperte“
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