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Keine Spur von Opferschutz

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Seit dem 27. Januar 2003 muß sich vor der 4. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts Patrick S., Sohn eines früheren Berliner Bordellchefs, verantworten. Im Prozeß wird dem heute 31jährigen Mann neben Zuhälterei die Vergewaltigung einer Prostituierten vorgeworfen. Bei der Kriminalpolizei hatte die heute 35jährige Ukrainerin P. den Angeklagten noch schwer belastet und vollständig gegen den Schwerverbrecher ausgesagt. Demnach soll der Angeklagte ihr Zuhälter gewesen sein und sie zwischen Mai und Oktober im Jahre 1998 52 Mal vergewaltigt haben. Im Laufe der Hauptverhandlung wurde das Opfer aufgefordert, erneut und umfassend über die Taten in allen Einzelheiten zu berichten. Eine psychologische Belastung für die Ukrainerin, die einen Beamtenrichter herzlich wenig interessiert. Noch weniger Verständnis konnte die Gepeinigte für ihre Angst vor Repressalien erwarten. Daß das Opfer in größter Todesangst lebt und daher gegen den Angeklagten nicht mehr aussagen will, ist im Gesetz nicht geregelt. Keine Gnade für verängstigte Opfer, so der Beschluß der 4. Strafkammer. Am 7. April wurde kurzerhand beschlossen, das Opfer im Rahmen der Beugehaft ins Gefängnis zu sperren. Den Gang in den Knast darf das sechs Monate alte Baby des Opfers gleich mit antreten. Der Fall zeigt in skandalöser Weise die Urproblematik der deutschen Justiz auf. Während Gewalttäter mit milden Urteilen zu erneuten Taten geradezu angestiftet werden, werden Opfer und Zeugen mit der vollen Härte des Gesetzes überzogen. Zu einem Personenschutz ist die Polizei nicht in der Lage Dabei ist die Sorge der Ukrainerin um ihr Baby, ihre Familienangehörigen in der Ukraine und sich selbst durchaus berechtigt. Nicht allein, daß vor Gericht sämtliche Personalangaben eines Zeugen öffentlich benannt werden und der Täter auch schon im Vorfeld des Prozesses im Rahmen der Akteneinsicht Zugriff auf die Personalien eines Belastungszeugen hat. In diesem Falle belastet das Opfer auch noch einen Angehörigen der grenzüberschreitend arbeitenden Organisierten Kriminalität aus dem Rotlichtmilieu. Erst im Januar 2003 wurde in Berlin eine ehemalige Prostituierte aus der Ukraine ermordet, nachdem ein erstes Attentat mit einer Handgranate im Dezember 2002 fehlschlug. Zu einem umfassenden Personenschutz war die Polizei damals nicht in der Lage. Auch die Angehörigen dürften in großer Gefahr sein. Denn die Ukraine gilt nicht gerade als Musterbeispiel eines europäischen Rechtsstaates. Indes hat das in Haft sitzende Opfer wenig Anlaß, an Hilfe zu glauben. Der Vize-Konsul Maruschinet von der ukrainischen Botschaft in Berlin konnte sich im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT zu dem Sachverhalt nicht äußern. Denn, so der Vize-Konsul, die Botschaft wurde von der Justizbehörde über den Vorgang nicht unterrichtet. Auch machte er keinen sonderlich interessierten Eindruck, wie die Berliner Justiz mit ukrainischen Staatsbürgern umgeht. Statt dessen berichtete Maruschinet voller Stolz, Mitte April einen Gesprächstermin beim Berliner Landeskriminalamt zu haben. Dort wolle er sich im offiziellen Auftrage des ukrainischen Außenministeriums darüber informieren, wie der Rechtsstaat Deutschland seine Opfer und Zeugen schützen würde. Auf die Nachfrage, ob er dies in Hinblick auf den aktuellen Fall nicht als unpassend, wenn nicht gar grotesk empfinden würde, reagierte der Diplomat sichtlich verärgert. Er verwies die JF an den Presseattaché, der jedoch für einige Tage außer Landes sei. Die Richter konnten keine Notsituation erkennen Im Gespräch mit der JF versuchte die Pressesprecherin des Berliner Kriminalgerichts Moabit, Ariane Faust, die Beugehaft zu erklären. Das Gericht sei nach Prüfung aller Aussagen zu dem Entschluß gekommen, so die Pressesprecherin, daß Frau P. kein Zeugnisverweigerungsrecht hätte. Auch könne sie sich auf keine Notsituation berufen. Eine Gefahr konnten die Beamtenrichter nicht erkennen. Besonders erschreckend ist die grobe Verletzung der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Beugehaft. Jede staatliche Maßnahme unterliegt der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die sich an den drei Kriterien „Geeignetheit“, „Erforderlichkeit“ und „Angemessenheit“ orientiert. Es wird wohl das ewige Rätsel des Gerichts bleiben, inwiefern man es für geeignet ansieht, eine in Todesangst lebende Mutter eines 6 Monate alten Babys mittels Gefängnis zum Reden zu zwingen. Auf perfide Art wird hier eine mehrfach vergewaltigte Frau vom Staat verhöhnt. Die Furcht des Opfers wird gegen das Wohl ihres Kindes ausgespielt – denn wer will schon seinem Baby einen monatelangen Knastaufenthalt antun. Konsequenzen brauchen die Richter für ihr Handeln nicht befürchten. Denn die Handlungsweise wird politisch gedeckt. Auch die ukrainische Botschaft sieht sich bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zum Handeln veranlaßt. Das Opfer dürfte nicht einmal das Geld dafür haben, einen Rechtsanwalt anzurufen. Am Ende, wenn das Urteil gesprochen ist, hat das Opfer vielleicht sogar länger im Knast gesessen als der mutmaßliche Täter.

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