Im beschaulichen, altehrwürdigen Baden-Baden, schräg gegenüber vom weltbekannten Casino und dem Gemälde-Museum des Verleger-Erben Frieder Burda, trafen sich Experten der gedruckten Medien und solche, die sich wohl dafür halten. Als Abschluß-Szenario der Jahrestagung des deutschen Presse-Großhandels, der erneut wie in den Vorjahren im Miteinander mit den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen spürbare Umsatzeinbußen zu verzeichnen hat, suchten sie nach Antworten und Rezepten zur (Rück-)Gewinnung der abtrünnigen jungen Leserschaft. Unter ihnen die Chefredakteure Mathias Müller von Blumencron (Der Spiegel), Giovanni di Lorenzo (Die Zeit), Günther Nonnenmacher (FAZ-Herausgeber; bei der Zeitung gibt es keinen Chefredakteur) sowie Matthias Horx (Trend- und Zukunftsforscher), Markus Peichl (Vorstandsvorsitzender der Lead Academy; Verleger von Liebling) und Werner Schiessl (Vorsitzender des Verbands Presse-Grosso). Capital-Chefredakteur Klaus Schweinsberg moderierte die Herrenrunde, die in unverkennbarer Eintracht fast wie ein verschworener Stammtisch wirkte. Bei der Zeit geht das so: „Wir machen uns an die Kinder ran“, sagt di Lorenzo, denn „die können sich noch nicht richtig wehren“. Aber insgesamt sei das mit einem Blindflug vergleichbar. Nonnenmacher hält Kinder- und Jugendseiten in einer Zeitung rundweg für „eine Krücke“, räumt jedoch ein, daß der heutige FAZ-Abonnent nicht wie früher seit seinem Hochschulstudium Bezieher sei: „Das funktioniert heute nicht mehr so.“ Viele fühlen sich mit der Information im Internet ausreichend bedient. Bei dem tagesaktuellen Spiegel-Online sei die Leserschaft zehn Jahre jünger als bei dem gedruckten Heft, weiß Müller von Blumencron, das er als „Hintergrund-Objekt der Woche“ sieht. Alles in allem ist er „im Vergleich zur Konkurrenz sehr zufrieden“. Der Spiegel sei „politischer und bissiger“ geworden. Wenn man „nur noch die Titel macht, die sich gut verkaufen, dann verschwindet vieles in einem schwarzen Loch“. Damit weist er die Heftkritik seines geschaßten Amtsvorgängers Stefan Aust zurück, der unlängst im Zeit-Magazin gegenüber Redaktionsleiter Christoph Amend und Giovanni di Lorenzo bemängelte: „Du mußt auf dem (Spiegel)-Titel eine Zeile haben, die den Lesern zu denken gibt, du mußt einen gewissen Zauber auf die erste Seite bringen, der im Kopf des Lesers etwas auslöst. Das Heft ist jetzt politically correct gemacht, und das wird eine ganze Weile gutgehen. Aber auf Dauer droht so Langeweile — der Spiegel muß immer wieder gegen den Strich bürsten, sonst bröckelt die Auflage.“ Zwischen einem guten und schlechten Zeit-Titel liegt laut di Lorenzo ein Fünftel der verkauften Auflage. Peichl fordert von den Verlegern eine Rückkehr zur Glaubwürdigkeit: „Bei den Auflagenzahlen soll man ehrlich werden — auch bei IVW-Auflagen!“ Die gemeldeten Zahlen würde „heute keiner draußen glauben“. Weiß Peichl mehr als die unabhängigen IVW-Prüfer, die die gemeldeten Zahlen vor Ort in den Verlagen nachprüfen? Vielleicht ist er so freundlich und nennt Roß und Reiter. Die Grenze beim Sparen ist bereits erreicht Der Zeit-Chefredakteur hat „den Eindruck, daß das Schlechtreden unserer Medien eine Steigerung der Umsätze bringt“. Peichl ergänzt: „Auch die Medienseiten der Zeitungen machen die Medien schlecht.“ Schiessl klagt, das Verschenken von Abo-Prämien beim Gewinnen von Zeitungs- oder Zeitschriften-Beziehern „tut dem Grosso weh“. „Warum soll ich“, fragt der Präsident des Verbands Presse-Grosso, „für Objekte Geld ausgeben, die ich billiger bekommen kann?“ FAZ-Herausgeber Nonnenmacher möchte dann doch „für manchen Verleger eine Lanze brechen“. Es gab eine Zeit, so Nonnenmacher, da erlösten die Verlage mit Anzeigen 80 Prozent des Umsatzes; der Rest waren Vertriebsumsätze. Jetzt liege das Verhältnis bei 40 zu 60 und steuere auf 50 zu 50 zu. Sparen habe bei einer Qualitätszeitung seine Grenzen, bei der FAZ sei diese Grenze bereits erreicht. Umwerfende Neuigkeiten hatte indes der Trend- und Zukunftsforscher Horx nicht zu bieten. Nach eigenen Angaben war er früher Redakteur bei der Zeit und dem 1980er Trendmagazin Tempo, verschwieg jedoch seine Redakteurszeit beim verblichenen Satire-Heft pardon. Laut Horx sehen 40jährige Frauen heute jünger aus, 1940 wirkten sie zehn Jahre älter. Oder: „Junge Frauen sind heute besser gebildet, als es ihre Mütter waren.“