Bescheidenheit ist ja nicht gerade immer eine Zierde des österreichischen Charakters. Das Selbstverständnis vieler in der Alpenrepublik scheint bekanntlich noch immer noch von einer gewissen Großmannssucht begleitet. Der Österreicher trägt gerne dick auf, der Superlativ kommt ihm leicht von der Zunge. „Aufschneiden“ nennt das augenzwinkernd der Wiener. Schlendert man diese Tage durch die Wiener Innenstadt, so kündet von einem Gebäude am Wiener Karlsplatz Wiens „größtes Werbeplakat“ mit meterhohen Lettern: „Hier entsteht das neue Österreich“. Dahinter verbirgt sich das Redaktionsgebäude der neuen österreichischen Tageszeitung, die sich schlicht und einfach Österreich nennt. Mit Bescheidenheit kommt man in Österreich zumeist nicht weit. Das hat auch die umtriebigste Verlegerpersönlichkeit Wolfgang Fellner längst bemerkt. Zur Einführung von Österreich versprach der 51jährige Medienmacher kühn eine „Evolution“. „Wir drucken tagesaktuell auf Hochglanz, versuchen, Tageszeitung und Internet zu verbinden, und haben ein in Österreich für eine Tageszeitung völlig neues Format.“ Dieser Tagezeitungssektor ist durchaus umkämpft. Fünfzehn Tageszeitungen gibt es für die acht Millionen Österreicher. Unumstrittener Meinungs-Platzhirsch ist die Kronen Zeitung. Die populistische Krone ist europaweit ein Zeitungsphänomen. Die Zeitung inszeniert regelmäßig Kampagnen oder unterstützt gleichzeitig dazu Volksbegehren. Ihre tägliche Durchschnittsauflage liegt bei einer Million. Im Jahr 2005 erreichte die Krone laut Österreichischer Media-Analyse täglich im Durchschnitt 2,97 Millionen Menschen, das entspricht einer Reichweite von 43,7 Prozent. Wer in Österreich etwas erreichen will, der ist gut beraten, zuerst mit Herausgeber HansDichand einen Termin zu vereinbaren. Seine Krone hat fast dreimal so viele Leser wie die stärkste Konkurrenzzeitung, die Kleine Zeitung, die sich gerne als die „größte“ Bundesländerzeitung (Regionalzeitung) bewirbt. Auch Superlative können relativ sein. Der Kurier belegt Platz drei mit einer Reichweite von um die zehn Prozent. Erst dann folgen die sogenannten „Qualitätszeitungen“ wie Die Presse, die vorgeblich eine bürgerlich-wirtschaftsliberale Grundlinie vertritt, und der Standard, zweifellos mehr „links“ als „liberal“. Beide Zeitungen haben eine verkaufte Auflage von zirka 100.000 Stück – Zwerge im Vergleich zur „Krone“. Der Österreicher sitzt zwar gerne stundenlang im Caféhaus und „studiert“ dort ausgiebig die Tageszeitungen, nur ebenso ausdauernd ist seine Vorliebe für kurze Texte. Seitenlange Leitartikel entsprechen nicht seiner Lesensgewohnheiten. Das Erfolgsmodell Krone wurde auch deshalb zur populärsten Zeitung. Eine politische Ausrichtung hat „Österreich“ noch nicht Das erkannte auch der Medienprofi Fellner. Seit vierzig Jahren „bearbeitet“ er die österreichische Zeitungslandschaft. Sein Rennbahn-Express lief der Bravo in Österreich den Rang ab. Sein Lifestyle-Magazin Basta erfand die Achtziger-Zeitgeistwelle, und in den Neunzigern gebar er mit der Nachrichten-Illustrierten News den „Fellnerismus“. Seitdem gibt es Boulevard auch in der Politikberichterstattung, und seitdem kennt Österreich Fotos von küssenden Regierungsmitgliedern in Badehosen. Das neue Fellner-Blatt Österreich bringt dergleichen nun täglich. Die erste Nummer mit einer Auflage von rund 250.000 Stück (50 Cent) war 220 (!) Seiten dick. Trotz der erdrückenden Opulenz bleibt viel flacher Zeitgeist dick aufgetragen. Wen wundert da eine eigene „Betriebsanleitung“? Auf 16 Seiten erklärte Fellner: „So liest man Österreich“. Eine politische Richtung hat Österreich (noch) nicht. Fellners Hauptproblem ist das krasse Mißverhältnis zwischen der angeheizten Erwartung und seinem Produkt. Krone-Herausgeber Dichand meinte nur lapidar: „Man muß da sicher ein paar Monate abwarten und sich das Ganze dann noch einmal anschauen.“ Wolfgang Fellner wollte Österreich mit seiner Zeitung auf den Punkt bringen. Österreich bekommt nun mit Österreich das, was es verdient. In dem neuen Produkt verdichtet sich die politische und gesellschaftliche Grundstimmung, die das Land in diesen Tagen prägt. Für die Flachbildschirmgeneration nun die Zeitung für Flachwurzler? Foto: Österreich-Redaktionsraum: Der Versuch, eine Tageszeitung und das Internet miteinander zu verbinden