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Kultur: SoundCloud-Rap: Ikonen ihrer Zeit

Kultur: SoundCloud-Rap: Ikonen ihrer Zeit

Kultur: SoundCloud-Rap: Ikonen ihrer Zeit

Rapper Lil Peep bei einem Auftritt
Rapper Lil Peep bei einem Auftritt
Rapper Lil Peep bei einem Auftritt Foto: picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection
Kultur
 

SoundCloud-Rap: Ikonen ihrer Zeit

Dank des Internets erfinden Musiker seit einem Jahrzehnt ganze Musikgenres in ihrem Wohnzimmer. Besonders populär: der sogenannte SoundCloud-Rap. In dessen bekanntestem Protagonisten, dem Rapper Lil Peep, haben die 10er Jahre ihren Pop-Märtyrer gefunden.
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Alle zehn bis fünfzehn Jahre, so behaupten es böse Zungen, betritt ein männlicher Popstar die Bühne, der für mehrere Jahre zu der entscheidenden Projektionsfläche aller melancholischen und unzufriedenen Mädchen im Alter von 14 bis 21 wird. Bis zu einem gewissen Grad wird er das vielleicht für eine ganze Generation, aber nicht selten ist es gerade die weibliche Fanbase, die sein Andenken für lange Zeit bewahrt.

Auf Schulhefte gekritzelte Porträts, mit Edding hingeschmierte Namenszüge auf öffentlichen Parkbänken, ganze Nachmittage, die damit verbracht werden, die Lieblingslieder des Musikers immer wieder durchlaufen zu lassen, während draußen der Regen an die Scheibe trommelt. Daß es ein Andenken geben muß, ist klar. Keinem dieser Musiker ist ein langes Leben vergönnt. Ein Sänger der im hohen Alter stirbt, kann keine tragische Gestalt sein.

In den 90ern war es Kurt Cobain, Sänger und Frontmann der Grunge-Band Nirvana. In den 00er Jahren erfüllte vermutlich Chester Bennington, Sänger der New-Metal-Combo Linkin Park, die Rolle. Und derzeit spricht alles dafür, daß die 10er Jahre ihren Pop-Märtyrer in der Person des amerikanischen Rappers Lil Peep gefunden haben.

Die gewandelte Musikszene der 10er Jahre

Peep, dessen bürgerlicher Name Gustav Åhr lautete, wurde 1996 geboren, wuchs in Long Island, im US-Bundestaat New York, auf und begann bereits als Jugendlicher Musik zu machen. Die Beschreibungen von Freunden und Verwandten lassen beinahe alle Klischees eines seelisch gefolterten Jungtalents anklingen: Åhr wird als schüchterner Außenseiter mit überschaubarem Freundeskreis beschrieben, der häufig die Schule schwänzte, oft Wochen alleine und cannabisrauchend in seinem abgedunkeltem Kinderzimmer saß und bereits früh verkündete, Musiker werden zu wollen.

Um sich von diesem Ziel nicht durch bürgerliche Verlockungen abbringen zu lassen, tätowierte er sich mit 18 Jahren demonstrativ ein gebrochenes Herz unter das linke Auge. „Ein Tattoo in deinem Gesicht wird verhindern, daß du viele Jobs überhaupt bekommen kannst“, kommentierte Åhr.

Die Musikszene der mittleren 10er Jahre hatte dabei bereits eine ganz grundlegende Veränderung durchlaufen. Klassische Albenveröffentlichungen und CD-Käufe spielten kaum eine Rolle, stattdessen bildeten sich in den Weiten des Internets schnellebige neue Musikgenres und Subkulturen. Besonders auf Internetplattformen wie Soundcloud und Bandcamp, wo Musiker ihre Lieder umsonst hochladen und einer Öffentlichkeit zur Verfügung stellen können, verbreiteten sich experimentelle Sounds.

Internet-Trash wurde zum neuen Punk

Als wichtiger Faktor dürfte hier die US-Musikgruppe Salem gelten, die mit ihrer eigentümlichen Mischung aus düsterer Electronic, Südstaaten-Rap und verträumten, sphärischen Melodien das wohl erste originäre Internet-Musikgenre mitbegründete: den sogenannten Witch House. Wenige Jahre später begannen Musiker wie Yung Lean und Clams Casino ihrerseits Hip-Hop-Rhythmen mit ätherischen Klängen und einer bizarren 90er-Jahre-Nostalgie-Ästhetik zu vermischen. Als Genre-Bezeichnung etablierte sich schließlich der Begriff Cloudrap, eine Zusammenstellung aus SoundCloud und Rap, womit sich die relevante Internetplattform direkt in den Namen drängte.

Wie so häufig in der Geschichte der Popkultur war es dabei gerade die zur Schau gestellte Verweigerungshaltung, die den Hype noch anfachte. Als der schwedische Rapper Yung Lean im Jahr 2013 das Musikvideo seines Lieds „Ginseng Strip 2002“ ins Internet stellte, bot er beinahe alles auf, was einen jungen aufstrebenden Musiker zur Lachnummer hätte machen können: Zu sehen ist ein blasser Milchbubi, der mit scheinbar maximaler Lustlosigkeit einige sinnfreie Zeilen in die Kamera lallt und dazu ungelenke Tanzbewegungen macht. Doch statt Gelächter folgte Kultstatus, Internet-Trash wurde zum neuen Punk.

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Daß ausgerechnet Lil Peep zum „Kurt Cobain der Szene“, wie ihn die New York Times in unfreiwilliger Prophetie bereits wenige Monate vor seinem Tod betitelte, aufstieg, liegt wohl an einer Reihe von Gründen. Zum einen präsentierte sich Åhr als Exzentriker, tätowierte sich nach und nach seinen gesamten dürren Körper, inklusive dem Gesicht, und färbte sich die Haare beinahe im Wochentakt neu.

Genre-Grenzen gesprengt

Die bei vorherigen Cloudrappern eher erahnbare denn ausgesprochene Melancholie machte er zum Markenkern seiner Musik. Zu stolpernden, schwerfälligen Beats und düsteren, nebligen Soundflächen sang und rappte er mit heiserer Stimme Texte über Depressionen, Einsamkeit und Drogenmißbrauch.

Dabei bewies er zugleich ein erstaunliches Talent für eingängige, Ohrwurm-erzeugende Melodien. Bei aller gewollten „weirdness“ ist Åhrs Musik sehr zugänglich. Drittens sprengte er Genre-Grenzen. Sind frühe Stücke wie „Keep My Coo“ noch recht gewöhnlicher Südstaaten-Rap, vermischen spätere Hits wie „Beamer Boy“ oder „Five Degrees“ tiefgestimmte Grunge-Gitarrenmelodien mit Hip-Hop-Rhythmen und einem seltsam apathisch vorgetragenen Sprechgesang. „Gym Class“, mit seinem sich fast eine Minute erstreckenden Intro aus zusammengesampelten Geigen und Klaviertönen ist vermutlich eines der merkwürdigsten und schönsten Lieder, welche das Hip-Hop-Genre je hervorgebracht hat. Sofern man es überhaupt noch dort einordnen möchte.

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Im Laufe des Jahres 2015 schwappte Åhrs Internet-Popularität schließlich in die reale Welt über. Er tourte durch die USA und später durch Europa, Stücke wie „Girls“ oder „OMFG“ erzielten auf YouTube bereits Klickzahlen von mehreren Millionen.

Der Internet-Popstar starb den Klischee-Rocktod

Im Juni 2017 porträtierte die New York Times die junge aufstrebende Rapszene, Lil Peep erschien darin als eine Art Star und skurrile Außenseiterfigur in einem. Fünf Monate später war er tot. Ausgerechnet er, der Internet-Popstar, starb im November den klischeehaftesten aller Rockstar-Tode, die Drogenüberdosis. Ganz im Zeichen der Zeit ließ er die Fanbase noch beinahe live über Instagram daran teilhaben.

In seinem vorletzten Video, hochgeladen am 14. November, hält er sein ausdrucksloses Gesicht in die Kamera und versucht sich eine weiße Tablette in den offenen Mund zu werfen. Als es beim dritten Versuch endlich klappt, grinst er siegessicher. Keine 24 Stunden später zerrten ihn Notärzte aus seinem Tourbus. Offenbar hatte er unfreiwillig Beruhigungsmittel geschluckt, die mit dem Opioid Fentanyl angereichert waren. Er wurde 21 Jahre alt.

 

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Was bleibt und heute aktueller denn je erscheint, ist die Veränderung der Musikindustrie, mit Amateurklängen aus dem Nichts des Internets ganze Genres und Fanlager aufbauen zu können. Viel Raum für die Ikone in spe der laufenden Zwanziger.

JF 07/24 

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