Fast zwei Jahre alt ist das alternative Radio „Kontrafunk“ mittlerweile schon. Mit einer rasant wachsenden Hörerzahl sitzt es insbesondere den etalierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäusern wie dem Deutschlandfunk bereits unangenehm im Nacken. Kontrafunk-Gründer Burkhard Müller-Ullrich ist ein erfahrener Radio-Profi, hat sein Handwerk einmal genau bei Öffentlich-Rechtlichen gelernt, kehrte diesen Häusern jedoch enttäuscht den Rücken, nachdem dort unaufhaltsam politische Korrektheit und Wokeness den Redaktionsalltag bestimmt.
Fester Bestandteil des wöchentlichen Radioprogramms von „Kontrafunk“ ist die „Sonntagsrunde“, zu der Chefredakteur Müller-Ulrich lädt und die sich besonderer Beliebtheit erfreut.
Pointiert-nachdenkliche Diskussion der Weltlage
Thema der aktuellen Folge des Talk-Formats „Die Sonntagsrunde“ ist der seit Tagen Schlagzeilen machende Schulskandal in Ribnitz-Damgarten: Hier würdigt Müller-Ullrich den Rechercheerfolg der JF, die eine Welle der kritischen Berichterstattung ausgelöst hat. Die Gesprächspartner stellen übereinstimmend fest, daß der Vorfall nur das jüngste Beispiel für immer mehr Eingriffe eines übergriffigen Staates ist, der eine „Herrschaft des Verdachts“ zu etablieren versucht.
Feuer bekam das Gepräch, als Müller-Ullrich in der zweiten Hälfte auf die Taurus-Debatte und die immer weiter ausufernde Konfrontation zwischen dem Westen und Rußland im Zuge des Ukraine-Krieges zu sprechen kam. Hier wurde die Gesprächsrunde kontrovers, bei der sich vor allem der Dokumentarfilmer Dirk Pohlmann und JF-Chefredakteur Dieter Stein gegenüberstanden.
Für den ebenfalls teilnehmenden Kontrafunk-Redakteur Frank Wahlig ist jetzt schon klar, daß die im Land herrschende Kriegsangst den kommenden Bundestagswahlkampf 2025 maßgeblich prägen wird. „Die vergangene Wahl hat Olaf Scholz mit dem Slogan gewonnen, er sei der ‚Respekt-Kanzler‘. Die nächste will er mit der Ansage gewinnen, er sei der ‚Friedenskanzler‘.“ Gerade die Grünen seien in dieser Atmosphäre zu einer neo-bellizistischen Partei mutiert.
Dieter Stein: „Verschweizerung“ Deutschlands ist keine Option
JF-Chefredakteur Stein stimmt dieser Diagnose zu, mahnt seinerseits aber einen realistischen Blick auf die Sicherheitslage in Europa an – fern von einem undurchdachten Pazifismus auf der einen oder einem neogrünen Bellizismus auf der anderen Seite. „Der Kern des Problems ist die politische und militärische Schwäche Deutschlands“, unterstrich Stein.
Es gebe eine Neigung in Deutschland, sich an die anderen großen weltpolitischen Spieler anzulehnen, mal an die Vereinigten Staaten, mal an Rußland. „Warum ist das so? Weil Deutschland kein Gewicht in die Waagschale werfen kann, was die Frage einer anderen sicherheitspolitischen Ordnung in Europa betrifft“, so Stein.
Wiederum andere Akteure ob in der Wagenknecht-Partei oder in der AfD, sehnten ein neutrales Deutschland herbei. Eine solche „Verschweizerung“ sei jedoch illusionär und keine Option. Das liege schon an der Geographie, die Deutschland in die Mitte Europas – gleichsam ins Zentrum aller Konflikte – gesetzt habe. Gerade das enorme Mißtrauen, das viele europäische Staaten nach wie vor Deutschland gegenüber hegten – Stichwort: Migrationskrise –, machten Gedankenspiele über andere Bündnissysteme als die Nato unrealistisch. „Wir müssen einfach erkennen, wie erpreßbar und verletzlich wir sind“, bekräftigt Stein unter Hinweis auf die Bedrohung der Handelswege einer Exportnation wie aktuell im Roten Meer oder die Sprengung von Nord Stream.
Dirk Pohlmann: „Meine Variante wäre der Austritt aus der Nato“
Der Filmemacher Pohlmann widerspricht Stein diametral: „Meine Variante wäre der Austritt aus der Nato und ein europäisches Verteidigungsbündnis, unabhängig von den Amerikanern, Russen oder Chinesen.“ Wenn Deutschland einfach nur seine Verteidigungsausgaben erhöhe, werde es nur zum „nächsten Hammer im Werkzeugkasten von jemand anderes“.
Vertrauen könne Deutschland vor allem mit einer Friedenspolitik à la Willy Brandt in der europäischen Nachbarschaft gewinnen. Gerade die Schweiz diene an dieser Stelle als Positivbeispiel. Hier widersprach Stein wiederum und erklärte, so sympathisch ihm das Milizsystem der Schweiz und deren unbedingte Wehrbereitschaft sei – die Schweiz könne nur aufgrund ihrer geographischen Lage ihre Neutralität aufrecht erhalten: Sie sei von Nato-Ländern umgeben, in militärische Strukturen der Nato eingebunden – läge sie beispielsweise zwischen Ungarn und der Ukraine, wäre die Schweiz längst wie Finnland oder Schweden Mitglied der Nato.
„Kontrafunk“-Chef Müller-Ullrich: Landesverteidigung beginnt in den Köpfen
Müller-Ullrich versucht sich derweil an einer Versöhnung der Gesprächspartner. „Die geographische Lage – da hat Dieter Stein recht – ist etwas, das man nicht ändern kann. Aber die geistige Lage, die kann man ein bißchen ändern“, hebt der ehemalige Deutschlandfunk-Veteran hervor.
In dem Augenblick, wo „ein Land mit sich selbst zerfalle“, wo die „geistigen Grundlagen“ nicht mehr gegeben seien, da sei es „um die Wehrhaftigkeit geschehen“, bilanziert der „Kontrafunk“-Chef. Und demonstrierte damit am Schluß seiner Sendung erneut, daß man auch als fast Zweijähriger schon sehr erwachsen wirken kann. Eine spannende Runde, die sich zu hören lohnt! (fw)