In den wenigen ersten Minuten scheint es noch so, als würde das Berliner Ensemble unter Regisseur Kay Voges zumindest etwas Interessantes versuchen. Nämlich: das mittlerweile berühmte Potsdamer Treffen einfach nachzuspielen, ohne Kommentar und ohne Spielereien; eine einfache Wiedergabe der Gespräche und Vorträge. Die unaufgeregte Kaltblütigkeit mit der die Rechten über ihre „Deportationspläne“ debattieren, müßte dem Zuschauer ja bereits Schauer über den Rücken laufen lassen.
Ja, so will die Inszenierung in den ersten paar Minuten wirken, in denen „Bühnenfigur Gernot Mörig“ die Teilnehmer des Düsseldorfer Kreises willkommen heißt. Es gibt da nur ein Problem: Um das Potsdamer Treffen eins zu eins nachzuspielen müßte man wissen, was dort eigentlich genau besprochen wurde. Und in welchem Wortlaut. An dem Artikel von Correctiv kann sich das Ensemble dabei schlecht orientieren, angesichts all der Mutmaßungen und Interpretationen, die ihre „Recherche“ enthält und angesichts der Tatsache, daß alle wirklich brandheißen Äußerungen, also die um die es auch dem Ensemble am Ende geht, nicht als direkte Zitate angegeben sind, sondern den Personen in den Mund gedeutet wurden.
Folglich legen die fünf Schauspieler die Karten sehr rasch auf den Tisch: Das, was ihre Figuren im Laufe des Theaterstücks alles von sich geben werden, wurde von den realen Personen „so nie gesagt“. Na dann. Das diene vor allem der juristischen Absicherung, erklären die Darsteller, vielleicht auch der künstlerischen Freiheit. Wie passend, daß sich mit dieser Vorerklärung nun so ziemlich alles behaupten und dem Potsdamer Treffen so ziemlich alles andichten läßt. Wer weiß, vielleicht war es ja so. Oder vielleicht war es auch alles ganz anders.
Der ewige Modus des Entlarvens
Als Nächstes soll also einer der Schauspieler Martin Sellner darstellen und dessen Rede wiedergeben. Die dauerte in der Realität mehr als eine Stunde und befaßte sich mit Fragen der demokratischen Mehrheitsgewinnung, dem Setzen von Begriffen und der Möglichkeit, illegale Asylbewerber schneller abschieben zu können. Zumindest, wenn man bei Personen nachfragt, die am entsprechenden Abend live dabei waren. Dem Berliner Ensemble ist dies aber alles wurscht: Hier darf die „Bühnenfigur Martin Sellner“ knapp eine Minute über Ausländer reden.
Währenddessen fährt ihm eine andere Schauspielerin immer wieder dazwischen. „Du meinst die Bewahrung von Rassen, dann sag das doch auch“, ruft sie etwa, wenn die „Bühnenfigur Martin Sellner“ von ethno-kulturellen Gruppen spricht. Oder sie warnt, daß man „diesen Nazisprech“ nicht „reproduzieren“ solle, wenn die Sellner-Figur von nicht-assimilierten Staatsbürgern spricht. Denn, so macht es die Schauspielerin deutlich, so etwas wie Staatsbürger, die nicht assimiliert seien, gäbe es in der Realität gar nicht.
Es ist der ewige, zum lauten Gähnen verführende Modus des „Entlarvens“, den das Stück hier wieder einmal vorkaut. Offenbar wird selbst einer verballhornten Sellner-Karikatur mit heruntergebrochenem Ein-Minuten-Vortrag noch eine derartig magische Verführerwirkung zugeschrieben, daß sich der Theaterregisseur Kay Voges verpflichtet fühlt, sofort eine „dekonstruierende“ Interpretation mitzuliefern. Nicht, daß der Zuschauer noch auf Gedanken kommt …
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Den Zuschauer bloß nicht überfordern
Zwischendurch wird noch aus den Büchern von Höcke und Krah zitiert. Denn, aufgepaßt, auch die verwenden den Begriff der Remigration. Also genau wie Sellner. Und damit der Zuschauer bloß nicht damit überfordert wird, diese schier unglaubliche kognitive Verknüpfungsleistung selbst zu erbringen, formuliert einer der Darsteller dann noch konkret aus, was daraus folgt: „Eine Nähe zwischen Sellner und Politikern der AfD ist dabei schon länger zu beobachten.“
Immerhin: Eines traut sich das Stück dann doch nicht. Nämlich zu behaupten, daß Sellner auf dem Treffen die Abschiebung deutscher Staatsbürger gefordert habe. Stattdessen ist von „Anpassungsdruck“ die Rede, ganz im Einklang mit den Aussagen der tatsächlichen Teilnehmer des Treffens. Bemerken wird es der Zuschauer kaum, werden ihm doch zugleich im Minutentakt Begriffe wie „Deportation“ und „Vertreibung“ um die Ohren gehauen.
Weiter geht es mit dem Identitären Mario Müller. Der, so behaupten es die Darsteller und eine zeitgleich auf der Webseite von Correctiv erscheinende Weiterdrehe, soll Linke ausgespäht haben um dann polnische Fußballhooligans auf sie zu hetzen – nach Vorbild der Gestapo. „Weitgehend frei erfunden“ sei die Darstellung seines Vortrags, betont Müller gegenüber der JF.
Ist es nicht schön, was man alles so behaupten kann?
Ulrich Vosgerau hat seinen Auftritt, sein Darsteller läßt verkünden, daß sich „Türken keine eigene Meinung bilden“ könnten, erwähnt aber zugleich, daß Vosgerau derartige Dinge in Wirklichkeit nie gesagt habe. Wieso es die Bühnenfigur dann dennoch von sich gibt? Nach Vorbild der USA will die „Bühnenfigur Ulrich Vosgerau“ jedenfalls Wahlen systematisch anzweifeln und „deligitimieren“, um am Ende das demokratische System zu stürzen.
Daß Vosgerau nach eigener Aussage lediglich auf einige verfassungsrechtliche Probleme der Briefwahl hingewiesen hat – und seine Ausführungen dazu auch deutlich realistischer klingen, als der Antifa-Fiebertraum, den das Ensemble präsentiert – es stört niemanden. Ist es nicht schön, was man alles so behaupten kann, solange man nur oft genug erwähnt, daß manche Dinge ja „wörtlich nie so gesagt wurden“?
Der AfD-Landtagsabgeordnete Ulrich Siegmund aus Sachsen-Anhalt hat einen Auftritt, mehrere Minuten reitet das Stück darauf herum, daß er – angeblich – an den Veranstalter des Treffens, den Düsseldorfer Kreis gespendet haben soll. Roland Hartwig, inzwischen ehemaliger Mitarbeiter von Alice Weidel stellt ein Projekt vor, das rechten Social-Media-Influencern juristischen Beistand garantiert. Der Skandal, den das Stück hineininterpretiert: daß angeblich die AfD-Bundesfraktion diese Pläne unterstützte.
Das Ensemble schafft einen neuen Mythos
Es folgt eine kitschige Schlußrede. „Vielleicht wird dieser Abend auch Teil einer neuen Erzählung, einer Erzählung, die damit beginnt, daß wir uns gegen die faschistischen Kräfte in unserem Land wehren. Es könnte eine Erzählung sein, die zeigt, daß wir viele sind. Daß wir laut sind. Daß wir als Zivilgesellschaft nicht pennen.“
Das Publikum reagiert mit Applaus, Jubel und dem gemeinsamen Skandieren „gegen den Faschismus“. Mit dem Treffen von Potsdam hat offenbar ein neuer Mythos die politische Bühne betreten. Und wie es bei Mythen üblich ist, ist es dabei auch gar nicht so wichtig, ob das am Ende alles so stimmt. Sondern, daß der Mythos mobilisiert.
Die Menschen die hier zu der Aufführung gekommen sind und diesen gefälligen Klamauk bejubeln, sind die ohnehin schon Überzeugten. Vielleicht applaudieren sie weniger der Vorstellung, als vielmehr sich selbst. Ein auf Twitter veröffentlichtes Foto zeigt die typischen Charaktere: Studenten, jacketttragende Grünen-Bourgeoisie und auffällig viele Corona-Masken. Wie würde ein normaler mittelständischer Kleinunternehmer diese Aufführung wahrnehmen, vielleicht gar einer, der aus Sachsen oder Thüringen stammt? Vermutlich würde er abwinken.