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Digitalmesse „re:publica 22“: Zwischen Digitalisierung, Vulva-Bingo und Seenotrettung

Digitalmesse „re:publica 22“: Zwischen Digitalisierung, Vulva-Bingo und Seenotrettung

Digitalmesse „re:publica 22“: Zwischen Digitalisierung, Vulva-Bingo und Seenotrettung

Blick ins Publikum bei der re:public: zwischen Digitalisierung und linken Lifestyle-Themen Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl
Blick ins Publikum bei der re:public: zwischen Digitalisierung und linken Lifestyle-Themen Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl
Blick ins Publikum bei der re:public: zwischen Digitalisierung und linken Lifestyle-Themen Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl
Digitalmesse „re:publica 22“
 

Zwischen Digitalisierung, Vulva-Bingo und Seenotrettung

Was haben Seenotrettung, Klimawandel und Wohlfühlatmosphäre mit Digitalisierung zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel, doch die Digitalmesse „re:publica“ bringt alles unter einen Hut. Ein Ortstermin in einer Parallelwelt der ganz eigenen Art.
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Vegane Cheeseburger für acht Euro, andere vegane Gerichte für denselben Preis. Zehn Meter vom Veggi-Stand entfernt ein „inklusiver“ Kickertisch der Firma „Spielköpfe“. Die Figuren gehören verschiedenen Ethnien und Geschlechtern an. Verziert ist der schwere Tisch mit Parolen wie „Refugees welcome“, „intersectional feminism“ und „kein Gendermuffel“. Dazu kommt ein Publikum aus überwiegend jungen Menschen. Viele Besucher tragen Shirts mit politischen Parolen wie „FCK NZS“, man sieht bunte Haare, Gesichtspiercings und Tätowierungen ohne Ende.

Nach drei Jahren pandemiebedingten Ausweichens ins Internet ist es am 8. Juni wieder so weit: Die Digitalmesse „re:publica 22“ öffnet ihre Tore. Auf ihrer Webseite werden die Teilnehmer als „Querschnitt unserer (digitalen) Gesellschaft“ bezeichnet. Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer, Blogger, Nichtregierungsorganisationen und weitere Akteure sprechen dort seit 2007 über Chancen und Gefahren der Digitalisierung, aber auch über andere gesellschaftliche Themen.

Die Veranstaltung beginnt auf der Hauptbühne des Festsaals Kreuzberg, die Halle ist brechend voll, an einen Sitzplatz ist bereits 15 Minuten vor Beginn nicht mehr zu denken. Die Besucher stehen dicht an dicht gedrängt und versuchen, einen Blick auf die Bühne zu erhaschen. Wenige Minuten bevor die Gründer der re:publica die Eröffnungsrede halten, ertönt laute Musik aus den großen Boxen: „Hurra die Welt geht unter“ der Berliner Hip Hop-Gruppe K.I.Z., direkt gefolgt von John Lennons „Give peace a Chance“.

„Die Wut wiederholt sich seit Jahrzehnten“

Im Anschluß betritt „re:publica“-Mitgründerin Tanja Haeusler die Bühne und spricht über die ihrer Ansicht nach wichtigen Debatten unserer Zeit: „Die Wut wiederholt sich seit Jahrzehnten“, sagt sie mit Blick auf die Digitalisierung, den Klimawandel, die Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Darauf folgt ihr Kollege Markus Beckedahl. Er betont, man würde in über 400 Vorträgen, Workshops und Diskussionen „jede Seite“ abbilden, und attestiert dem heutigen Deutschland, in einer „Pandemie der Desinformation und Haß und Hetze“ zu leben. Des Weiteren fühle man sich der Diversität verpflichtet, weshalb der Anteil weiblicher Redner von fast 50 Prozent lobend erwähnt wird.

Die „re:publica“ sieht sich als „Festival für die digitale Gesellschaft“ und „größte Konferenz ihrer Art in Europa“. Ein Blick auf die Namen der geladenen Redner läßt erahnen, daß diese Selbstbeschreibung nicht übertrieben ist. Neben Internet-Persönlichkeiten wie Eva Schulz und Tilo Jung geben sich auch hochrangige Medienakteure, etwa der Leiter des ARD-Magazins „MONITOR“, Georg Restle, und WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn die Ehre. Von Seiten der Bundesregierung kommen Hochkaräter wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser und sogar Bundeskanzler Olaf Scholz, beide SPD, um ihre Gedanken zur inneren Sicherheit in Zeiten des Ukraine-Kriegs und „Digitalpolitik in der Zeitenwende“ mit den Besuchern zu teilen.

Auf Bühnen vom Format eines großen Hörsaals und in kleinen Räumen, die kaum mehr als 30 Personen gleichzeitig beherbergen können, bietet die „re:publica“ neben dem Kernthema Digitalisierung auch Veranstaltungen zu anderen Themenbereichen an: „Wie sieht rassismuskritische Medizin aus?“ oder „Nachgefragt: Was ist eigentlich feministische Außenpolitik?“ werden erörtert. Gefördert vom Bundesinnenministerium, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Amadeu-Antonio-Stiftung, aber auch durch Privatunternehmen wie SAP, Google, IKEA und YouTube, schwanken die Redner zwischen Angst vor der Klimakatastrophe und der Neuen Rechten, sowie der Hoffnung auf eine diskriminierungsfreie Zukunft.

„re:publica 22“ bietet Urinale für Frauen und „gendergerechte“ Wortneuschöpfungen

Zettel an den Türen vor den Toiletten informieren darüber, daß es Urinale für Frauen gibt, außerdem wird zur Corona-Impfung und zum Tragen einer Maske aufgerufen. Auf dem gesamten Gelände finden sich Plakate, die Besucher zur „Awareness“ aufrufen. Es gehe darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder Mensch wohl fühlt, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Konfession, sexuellen Präferenzen und ähnlichem. Auf den Postern heißt es: „Welche Vorfälle dazu führen, daß sich Menschen angegriffen, mißachtet, diskriminiert, verletzt, herabgewürdigt oder überfordert fühlen, wird nicht in Frage gestellt.“

Obwohl auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung zu den langjährigen Förderern gehört, sind Meinungen und Akteure rechts der politischen Mitte nicht anzutreffen. Anglizismen und „gendergerechte“ Wortneuschöpfungen ziehen sich wie ein roter Faden durch einen Großteil der Beiträge. Das „echte Leben“ wird zum „real life“, aus „Voreingenommenheit“ wird ein „bias“. Das generische Maskulinum findet so gut wie nicht statt, hier und da rutscht es einem Redner raus, wird jedoch zügig um die weibliche Form ergänzt.

An Selbstkritik von Seiten der großen Medienanstalten mangelt es nicht. ARD-Korrespondentin Ina Ruck beispielsweise kritisiert, daß die etablierten Häuser zu viele „Putin-Versteher“ zu Wort kommen ließen. Bei einer anderen Veranstaltung moniert Ann-Katrin Müller vom Spiegel, während der Hochphase der Corona-Pandemie sei „unseriösen“ Stimmen wie Professor Hendrick Streeck und Professor Alexander Kekulé zu viel Aufmerksamkeit entgegengekommen.

Biologiestudentin ist sicher: „Es gibt weit mehr als zwei Geschlechter“

Diskussionen über den Kampf gegen Autoritarismus in Hongkong und unabhängige Kriegsberichterstattung in Zeiten des Ukraine-Krieges wechseln sich ab mit Transgeschlechtlichkeit und „Vulva-Bingo“. Bei diesem Spiel werden Synonyme und sprachliche Metaphern für das weibliche Geschlechtsorgan in verschiedenen Sprachen miteinander verglichen. Selbsterklärtes Ziel dessen sei es, Scham und Vorurteile abzubauen.

Bei „Attacke Peng! Seenotrettung im Mittelmeer“ stellen sich die „Seapunks“ vor und erzählen, wie sie auf die Idee gekommen sind, Migranten die Überfahrt nach Europa zu erleichtern. Einer der beiden Redner trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „SAR“, das deutlich an das Emblem der RAF angelehnt ist.

An anderer Stelle hält eine Biologiestudentin einen Vortrag über Transgeschlechtlichkeit und Homosexualität im Tierreich und konstatiert, es gebe auch unter Menschen weit mehr als zwei Geschlechter. Auf die Frage eines Zuschauers, was das in Bezug auf sportlichen Wettbewerb bedeuten würde, ob biologische Männer, die sich als Frau identifizieren, künftig im Frauensport antreten dürften, weiß die Referentin keine rechte Antwort. Das ist eine der seltenen kritischen Nachfragen aus dem Publikum. Man müsse das von Einzelfall zu Einzelfall entscheiden, so die Referentin. Wichtig sei vor allem, niemanden zu diskriminieren.

Blick ins Publikum bei der re:public: zwischen Digitalisierung und linken Lifestyle-Themen Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl
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