Immer wenn man glaubt, im Kino bereits alles gesehen zu haben, kommt James Cameron mit einem neuen Film und beweist das Gegenteil. So könnte man das Erfolgsrezept des kanadischen Regisseurs zusammenfassen, der nun mit „Avatar – The Way of Water“ die lange erwartete Fortsetzung des bahnbrechenden ersten Teils von 2009 vorgelegt hat. Bei „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ und der heute anlaufenden Fortsetzung handelt es sich um tricktechnisch phänomenal gestaltete Öko-Parabeln. Mit den technischen Möglichkeiten des Monumentalkinos wird der schon in Aufklärung und Romantik gehegte Traum vom „edlen Wilden“ und der Rückkehr des Menschen zum Naturzustand filmisch zu Leben erweckt wird.
Beide Geschichten spielen auf Pandora, einem bis zum Einbruch ausbeuterischer Raumfahrer idyllischen Flecken unberührter Natur irgendwo im Universum. Im ersten Teil verwirrt die Begegnung des Expeditionsteilnehmers Jake Sully (Sam Worthington) mit der rauhen Schönheit des Planeten und der Ureinwohnerin Neytiri (Zoe Saldaña) Sully derart, daß er sich am Ende des Films dafür entscheidet, bei den Na’vi, also den Indigenen von Pandora, zu bleiben und Neytiri zu heiraten. Dafür nahm er einen Hybridkörper in Gestalt der Na’vi an, in den sein menschliches Bewußtsein übertragen wurde.
Colonel Quaritch kehrt zurück
Zu Beginn des zweiten Teils, der am Mittwoch anläuft, sieht der Zuschauer Jake und Neytiri zusammen mit ihren Kindern, zwei fast erwachsenen Söhnen und zwei jüngeren Töchtern, in ihrem Dschungel-Idyll ein glückliches Leben führen. „Der Wald von Pandora hat viele Gefahren“, erläutert ein salbungsvoller Off-Kommentar, „aber die größte Gefahr ist eine Frau, die man zu sehr liebt.“ Es läßt sich also früh erahnen: Das Paradies ist bedroht, und zwar durch die Kolonisatoren, die schon in Teil eins unter der Führung des groben Colonels Quaritch (Stephen Lang) Unheil über Pandora brachten.
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Quaritch, jetzt wie Jake in Na’vi-Gestalt, die ihm das Überleben in der fremden Welt sichert, und seine Sturmtruppen sind zurück. Genauso wie die Flammenwerfer und schwer bewaffneten Raumkreuzern, die schon im ersten Teil zu sehen waren. Der Colonel und seine Männer suchen aber nicht nur eine neue Heimat für die Menschheit, sie suchen auch Jake, den Überläufer, mit dem Quaritch noch eine Rechnung offen hat.
Wasser-Na’vi sind „einwanderungsskeptisch“
Jake überzeugt seine Frau, daß sie als Familie überall leben können, solange sie zusammenbleiben. Sie fliehen also in eine andere Biosphäre, vom Wald ans Wasser. Die Einheimischen dort unterscheiden sich rassisch von den Zugewanderten. Sie weisen anatomische Besonderheiten auf, durch die sie an das Wasserleben angepaßt sind. Ihre Haut schimmert außerdem nicht wie die der Urwald-Na’vi hellblau, sondern hellgrün. Es gibt zunächst auch ein paar ablehnende Reaktionen seitens der Wasserleute gegenüber den Waldleuten, wie die beiden ethnischen Identitätsgruppen sich auch sprachlich zu unterscheiden wissen. Ihre Skepsis gilt es zu überwinden.
Zwei der Kinder von Jake und Neytiri geraten nun in den Fokus des Geschehens: Die Adoptivtochter Kiri entwickelt eine naturmystische Gabe, die sie spüren läßt, daß die „große Mutter“ Ava nur einen Herzschlag entfernt ist. Auch einer der Söhne ist esoterisch begabt. Er nimmt Kontakt zu einem walähnlichen Meeresungeheuer auf, das bei den Wasserleuten bislang als verfemtes Untier galt. Der Rest ist so vorhersehbar wie spannungstechnisch effizient: Der Colonel findet den Schlupfwinkel. Und die Schlacht der edlen Wilden gegen die bösen Kolonisatoren kann beginnen.
Am Ende haut Cameron noch einmal alles raus, wofür er bekannt geworden ist. Das Finale wirkt fast wie ein Schnelldurchlauf durch sein gesamtes filmisches Schaffen. Spektakulär wie in „Titanic“ (1997) geht ein Schiff unter, man sieht eine geheimnisvolle Unterwasserwelt wie in „Abyss“ (1989), und rasant präsentierte Scifi-Knalleffekte wie in „Terminator“ (1984, 1991) und „Aliens“ (1986) sind sowieso selbstverständlich. „Alien“-Ikone Sigourney Weaver ist auch wieder mit dabei: Als stark verjüngter CGI-Avatar spielt sie die Rolle der Junior-Schamanin Kiri.
„Regenbogen“-Doktrin ist omnipräsent
Für die drei Stunden Film, die aufgrund der spektakulären Bilder sowohl von der Dschungel- als auch von der Unterwasserwelt nie langweilig werden, darf der Zuschauer mit Überlänge-, 3D- und Disney-Zuschlag dann auch einiges an Euro berappen. Doch der zweite „Avatar“-Teil (Fortsetzung folgt) ist in Anbetracht der immensen Schauwerte sein Eintrittsgeld wert und wird ohne jeden Zweifel noch bis weit in den Januar hinein das Ereignis bleiben, das keiner, den Kino interessiert, verpaßt haben möchte. Wie schon beim Vorgänger „Aufbruch nach Pandora“ gibt einem James Cameron das Gefühl, Kino in einer neuen Dimension zu erleben.
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— Avatar (@officialavatar) November 22, 2022
Man sollte sich als Zuschauer, der einen sensationellen Unterhaltungsfilm erwartet (und auch bekommt), aber unbedingt vorab über die von der derzeit omnipräsenten „Regenbogen-Doktrin“ geprägte Botschaft klar werden, der man sich hier aussetzt. Sie ist noch augenfälliger als im ersten Teil, wo Kapitalismus-Kritik im Mittelpunkt stand. Mag man das zu Beginn des Sciencefiction-Epos verkündete Glaubensbekenntnis: „Wir leben in Ava, und Ava lebt in uns“ mit etwas gutem Willen noch als Anklang an die paulinische Theologie (vgl. Galater 2,20) deuten, wird doch im weiteren Verlauf der Handlung deutlich, daß es eher das Wassermann-Evangelium ist als das Evangelium von Jesus Christus, in dem man hier unterwiesen wird.
Die Naturgottheit Ava ist unschwer als New-Age-Gaia zu identifizieren. Das Wasser symbolisiert die kosmische Einheit von allem, was ist: „Der Weg des Wassers ist Anfang, ist Ende. Wasser verbindet alles. Das Meer ist um uns und in uns“, lautet das suggestiv wiederholte Mantra des Films. Es sind die entscheidenden Lehrsätze, die Cameron, der zusammen mit Rick Jaffa und Amanda Silver auch das Drehbuch schrieb, seinen Zuschauern unbedingt mit auf den Weg geben möchte. Für Kenner fernöstlicher Religionen und deren esoterischer Verwurstung alles ein alter Hut. Daß alles im Fluß ist, war bereits eine der Lektionen in Hermann Hesses „Siddharta“. Nur daß man hier vieles von dem plastisch vor Augen gemalt bekommt, was bei Buddha nur geistige Schau war.