Während Berlin die erste rot-grün-rote Regierung anstrebt, wurde in der Haupstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom AG in Berlin-Mitte zum inzwischen 40. Mal „das Hochamt der Freiheit“ zelebriert, so die Formulierung des Gastgebers und Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung, Roland Tichy, noch im Vorjahr. Diesmal ging der von der Ludwig-Erhard-Stiftung verliehene Preis für Wirtschaftspublizistik an Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und F.A.Z.-Herausgeber Holger Steltzner.
Zur Untermalung von dessen publizistischer Bedeutung bemühte Tichy das Bild vom „Fels, um den andere Ressorts herumschwimmen“. Markiert dieser doch mit seiner Kritik an der EU-Wirtschaftspolitik und der ungeregelten Massenmigration eine der letzten vernunftgeleiteten, ordnungspolitischen Bastionen in der F.A.Z.
Im Fall von Gerhard Schröder galt die Ehrung für die unter dessen Ägide verabschiedete „Agenda 2010“. Zwar läßt sich diese kaum in eine preisträchtige publizistische Gattung einreihen, doch korrespondiert sie in paradoxer Weise mit dem einstigen Bekenntnis von Schröders Amtsvorgänger Helmut Kohl. Der hatte seinen Kritikern einst beschieden, schließlich nicht den Ludwig-Erhard-Preis gewinnen zu wollen, sondern die nächsten Wahlen. Ausgerechnet dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder kommt nun das Verdienst zu, im Sinne Ludwig Erhards gehandelt zu haben, verlor der „Genosse der Bosse“ doch – im Gegenzug für sein als notwendig erachtetes Reformwerk – die Kanzlerschaft.
„Keine Freiheit ohne Sicherheit“
So erklärte Schröder denn auch in seiner Dankesrede, daß er eine solche Konsequenz bei „mancher Politikerin (und manchem Poltiker)“ heute vermisse. Die hier implizierte Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde deutlich im plötzlich aufbrausenden Beifall, den dann Holger Steltzner erntete, als dieser mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel anmerkte, diese müsse eigentlich wissen, „daß es Sicherheit ohne Freiheit gibt, aber keine Freiheit ohne Sicherheit“. Zugleich warnte der F.A.Z.-Publizist vor der künftigen Migrationswelle, angesichts einer sich in Afrika bis zum Jahr 2050 verdoppelnden Einwohnerzahl auf 2,5 Milliarden Menschen.
Von größerer rhetorischer Begabung zeugte indes einmal mehr der Laudator der beiden Preisträger, Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Schäuble, der halbrironsch bekannte, daß die Ludwig-Erhard-Stiftung „uns alle aufeinanderhetzt“. Mit Blick auf die Regierungszeit Schröders merkte er an: „Damals war es noch Rot-Grün“ – dabei die erste Silbe („rot“) betonend, denn „die Reihenfolge ist ja heute wichtig“. Tatsächlich, läßt er durchblicken, habe die CDU nach der letzten Bundestagswahl mit den Grünen regieren wollen, was aber an diesen selbst gescheitert sei.
Die SPD sei nur der Ersatzspieler gewesen. Zugleich warb Schäuble um Verständnis für seinen Schlingerkurs, hatte doch Tichy zuvor deutlich die „aktuelle Richtungslosigkeit der Wirschtschafts- und Sozialpolitik“ kritisiert. Da es im politischen Geschäft, zumal im europäischen Rahmen, vor allem um Menschen und um „viel Psychologie“ gehe, sollten die Wirtschaftswissenschaften eher als Sozialwissenschaften begriffen werden.
Aufruf an die Unternehmerschaft
Mit gewisser Ohnmacht registrierte dies die im Publikum versammelte politische Dissidenz der bundesdeutschen parlamentarischen Demokratie, darunter prominente Köpfe wie Thilo Sarrazin, Frank Schäffler, Hermann-Otto Solms oder Fachleute wie Thomas Mayer, Kritiker der Eurorettung und ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Geradezu bizarr wirkte es, daß ausgerechnet Preisträger Gerhard Schröder in seiner Dankesrede die Währungspolitik der Europäischen Union verteidigte.
Markierte er doch dadurch eine gegensätzliche Position zum zweiten Preisträger Steltzner, vor allem aber einen geradezu diametralen Widerspruch zum Volkswirtschaftsprofessor Philipp Bagus. Denn dieser wurde – neben zwei weiteren Ausgezeichneten – mit dem Förderpreis der Ludwig-Erhard-Stiftung geehrt für seine, unter anderem im Hauptstadtbrief publizierten, Analysen zur gescheiterten Euro-Rettungspolitik am Beispiel Griechenlands.
Am Ende stand ein Aufruf des Stiftungsvorsitzenden Roland Tichy an die Unternehmerschaft, die endlich selbst – beispielsweise für ihre Vertragswerke TTIP und CETA – streiten und dies nicht länger der Politik überlassen solle. Sonst würden diese Fragen von NGO´s entschieden, denen es letztlich nicht um die Menschen gehe, sondern um finanzielle Spenden zur Aufrechterhaltung ihrer selbst und ihrer ideologiegeleiteten Kampagnentätigkeit.