„Vielleicht wurde nie vorher eine im Grunde doch religiöse Bewegung so sehr vom Kampfe publizistischer Schriftstellerei begleitet wie die Auflehnung Luthers gegen Rom.“ Für den Wiener Historiker Wilhelm Bauer, aus dessen Monographie über „Die öffentliche Meinung“ dieses Urteil stammt, war die Reformation schon 1913, was für Thomas Kaufmann heute der mit Martin Luthers epochaler, das Ende des „finsteren Mittelalters“ und der unumschränkten Macht der Papstkirche einläutenden Tat aufs engste verflochtene Bauernkrieg ist: „ein Medienereignis“.
Allerdings spitzt Bauer diese These nie so radikal zu wie dies der Göttinger Kirchenhistoriker nun in seiner Neuinterpretation jenes 1525 blutig niedergeschlagenen Aufstands vornehmlich südwest- und mitteldeutscher Bauernhaufen tut. Sind doch für Kaufmann die Reformation und das sie begleitende Geschehen, dem auf den Schlachtfeldern des Winters und Frühjahrs 1525 geschätzt 100.000 Bauern zum Opfer fielen, in erster Linie „Phänomene“, die „gleichermaßen der Druckerpresse entstammten“.
Ohne Johann Gutenbergs geniale Erfindung, die es von der Mitte des 15. Jahrhunderts an ermöglichte, mit beweglichen Lettern jedes beschriebene Blättchen Papier im Nu zu vertausendfachen und ein breiteres Publikum mit einer Hochflut an Büchern und Bildern, mit Traktaten, Predigten und Liedern, mit Einblattdrucken und Holzschnitten, Flugschriften und -blättern zu versorgen, hätte es „den Bauernkrieg“ nicht gegeben. Denn, so lautet Kaufmanns zentrale wie steile These: „Den Bauernkrieg gab es, weil er medial initiiert und inszeniert wurde.“
Die Gewalt wäre auch ohne mediale Begleitung ausgebrochen
Als überregionales Ereignis, das das Heilige Römische Reich deutscher Nation in erheblichen Teilen berührte, nahm es von den leistungsstarken Druckereien in Nürnberg, Augsburg, Basel, Leipzig und Wittenberg seinen Ausgang: „Insofern war der Bauernkrieg das erste medial induzierte, angetriebene und flankierte militärische und politische Großereignis der europäischen Geschichte.“
Keine Frage, medial angetrieben und flankiert wurde dieser mit militärischen so gut wie mit verbalen, visuellen und typographischen Waffen ausgefochtene Krieg. Aber „induziert“ im Sinne von herbeigeführt oder bewirkt?
Nein, denn nicht Literatur und Druckgrafik setzten diese zum allergrößten Teil aus Analphabeten bestehende revolutionäre Bewegung in Marsch, sondern, wie Kaufmann selbst ausführlich anhand der Forderungskataloge ihrer Programmschriften, der „Zwölf Artikel“ und der „Memminger Bundesordnung“ referiert, die blanke soziale Not der von Abgaben und Zwangsdiensten gepeinigten Bauern. Mithin wäre diese vulkanische Gewalt auch ohne mediale Anfeuerung ausgebrochen, so wie einige Bauernrevolten während des Spätmittelalters, unter denen etwa die englische von 1381 ohne nennenswerte publizistische Begleitmusik auskam und trotzdem eine Wucht entfaltete, die die Monarchie des Inselreichs in ihren Grundfesten erschütterte.
Der Bauer wurde als viehisches Feindbild gezeichnet
Bewirkt, so rudert Kaufmann im Laufe seiner Untersuchung mitunter zurück, haben die Medien den Bauernkrieg tatsächlich nicht, aber sie stifteten immerhin einen Zusammenhang zwischen den regionalen Schwerpunkten der Erhebung, der aus dem unübersichtlichen Gewimmel das nationale Panorama „Bauernkrieg“ formte, das die Rezeptionsgeschichte bis in die Gegenwart hinein bestimmt. Was den Autor fern des Kampfgeschehens daran eigentlich interessiert, sind die „Imaginationen“, die Fremd- und Selbstbilder, in denen sich Täter und Opfer spiegeln und deren Handeln sie leiten.
In den überwiegend negative Stereotype produzierenden Pamphleten gegen die Aufrührer erscheint der auf der untersten Stufe der mittelalterlichen Ständegesellschaft, knapp über dem Vieh rangierende Bauer aufgrund seiner rohen, triebhaften, Laster und Dummheit vereinenden Natur schon als latente Bedrohung der christlichen Weltordnung. Als sie sich für die weltlichen und kirchlichen Herren 1525 plötzlich realisiert, lassen sich die alten Klischees von der tierhaften Landbevölkerung propagandistisch leicht verwerten, um ein gnadenloses Strafgericht über diesen in Wort und Bild entmenschten Feind zu fordern und zu rechtfertigen.
In diesem Kontext handelt Kaufmann auch die in maximal unchristliche Mordappelle mündenden Streitschriften des anfangs mit den Empörern sympathisierenden Reformators eingehend ab, unter denen ihm „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ („Steche, schlahe, würge hie, wer da kan, bleybstu drüber tod, wohl dyr, seliglichern tod kanst nymer mehr uberkomen“) den Nimbus eines „Bauernschänders und Fürstenknechts“ eintrug. Luthers Kehrtwendung und sein Wüten gegen die Bauern entwickelt Kaufmann aus dessen Zwei-Reiche-Lehre und seiner Negation menschlicher Willensfreiheit.

Die Lektüre hinterläßt einen bitteren Nachgeschmack
Diese pessimistische Anthropologie räumt dem Menschen kein Recht auf Umgestaltungen der materiellen, politisch-sozialen Verhältnisse ein. Auf dem Boden von Luthers Theologie verbot es sich, biblisch-urchristliche Gleichheits- und Freiheitsideale sozialrevolutionär zu konkretisieren, so wie es der von Luther gehaßte „Mordprophet“ Thomas Müntzer versuchte. Das Individuum mit seinen Glücksbedürfnissen blieb für Luther allein auf die eigene innere Wandlung durch den christlichen Glauben und auf die Pflicht zu striktem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit verwiesen.
Soweit wie Kaufmann, der sich bereits im Jubiläumsjahr 2017 mit einer opulenten „Geschichte der Reformation in Deutschland“ als intimer Kenner der Materie empfahl, die theologisch-weltanschaulichen und politisch-sozialen Hintergründe des Bauernkriegs beleuchtet, so weit wie er das Schrifttum präzise analysiert und die hier leider oft undeutlich und viel zu klein reproduzierte Druckgrafik deutet, bietet seine Arbeit eine souveräne, perspektivenreiche, dem unübersichtlichen Gegenstand gerecht werdende komplexe Darstellung.
Trotzdem hinterläßt die Lektüre einen bitteren Nachgeschmack, die mit seiner eingangs exponierten Reduktion des Bauernkriegs auf ein Medienereignis zu tun hat. Denn Kaufmann huldigt damit offenkundig dem modischen geschichtswissenschaftlichen Trend, historische Realitäten als „Erfindungen“ oder „Konstrukte“ auszugeben. So gerinnt auch das reale Dasein der „gesamten Bauernschaft“ zu einer allein literarisch geschaffenen Entität, obwohl die Druckerpresse nicht deren Realität, sondern lediglich Vorstellungen davon erzeugte.
Was ist der Erkenntnisgewinn?
Da es spätestens seit Kants kopernikanischer Wende als Banalität erster Güte gilt, die nur durch das Gitter der Anschauungsformen und Begriffe ins menschliche Bewußtsein gelangten „Dinge an sich“ und die Vorstellungen von ihnen zu unterscheiden, bleibt die Frage nach dem spezifischen Erkenntnisgewinn der ubiquitären Rede von den „Konstrukten“. Kaufmann antwortet darauf, daß sie, seien sie erst einmal als reine Fiktionen „entlarvt“, Identifikationen verhindern und somit den „Abschied von sinnstiftenden Narrativen“ fördern.
Dafür sei es höchste Zeit, angesichts der nicht gebannten Gefahr ideologischer Vereinnahmungen, wie sie während der NS-Herrschaft dominierten, als Waffen-SS-Divisionen die Namen von Landsknechten und Bauernkriegsführern wie Georg von Frundsberg und Florian Geyer trugen. Oder zur DDR-Zeit, wo Werner Tübckes Bauernkriegspanorama in Bad Frankenthal von der staatssozialistischen Heroisierung der vermeintlichen „frühbürgerlichen Revolution“ von 1525 zeuge und wie der benachbarte Kyffhäuser weiter zu „Wallfahrten“ einlade.
Um derartige Erinnerungskulturen auszutrocknen, könnte man den Bauernkrieg aus der deutschen Geschichte tilgen, um seiner künftig exklusiv als Großereignis der Geschichte Europas zu gedenken. Also vollständig vergessen, da es kein europäisches Volk als Erinnerungskollektiv gibt.