Von den Malern der sogenannten „Leipziger Schule“ war Werner Tübke der stillste. Sein Habitus war der eines entrückten Gelehrten aus bildungsbürgerlichen Zeiten. Doch gerade er hat ein Werk geschaffen, das zu einem massentouristischen Ereignis geworden ist. Jedes Jahr pilgern mehr als 100.000 Besucher zu seinem 1989 vollendeten Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen. Das 14 Meter hohe und 123 Meter lange Gemälde enthält 2.500 Figuren. Es geht auf einen Staatsauftrag zurück. Die SED erwartete von Tübke eine allegorische Darstellung, die den Bauernkrieg von 1525 als Auftakt einer revolutionären Bewegung feierte, die in der DDR ihrer Vollendung zustrebte. Doch statt heroischer Befreiungsvisionen bot Tübke apokalyptische Bilder. Die Geschichte selber war für ihn das Weltgericht. Tübkes Malweise war altmeisterlich. Seine Vorbilder hießen Michelangelo, Dürer, Grünewald, Bosch und Breughel, aber auch Dix und de Chirico. Diese Ästhetik, die ausschließlich künstlerisch motiviert war, steckte einen kulturpolitischen Zwischenraum ab. Denn das klassische Erbe wurde in der DDR offiziell hoch geschätzt, weil auch Banausen wie Ulbricht und Honecker glaubten, es leicht erschließen zu können. Doch Tübkes altmeisterlicher Realismus hatte etwas Unheimliches. Er schuf Bilder von Folter, Hinrichtungen, Qualen, von Alpträumen, Grauen und Furcht. Insofern bewiesen die subalternen Beamten vom DDR-Zoll einen guten Instinkt, als sie Anfang der 1970er Jahre den Katalog seiner ersten Ausstellung in Italien einbehielten, weil sie darin „Schund und Schmutz“ entdeckten. Tübke wurde mehrfach gemaßregelt und wieder rehabilitiert. Nach der Wende gab er seine in der DDR erhaltenen Staatspreise zurück. Obwohl auch von manchen Kunstkennern belächelt, blieb er sich treu. 1997 äußerte er, die „veränderten gesellschaftlichen Strukturen haben mit meiner Arbeit nichts zu tun, das heißt, ich habe vor der ‚Wende‘ das gemacht, was ich wollte, nach der ‚Wende‘ natürlich auch“. Sein Zyklus „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ zielte vordergründig auf die Blutrichter und Schreibtischmörder der NS-Zeit, aber hintergründig ging es auch um die roten Inquisitoren. Tübke wurde am 30. Juli 1929 in Schönebeck/Elbe geboren. Erst Jahrzehnte später wurde bekannt, daß er als 16jähriger von den Russen mehrere Monate inhaftiert und gequält worden war. Auch davon erzählen also seine Bilder. Nach schwerer Krankheit ist Werner Tübke am 27. Mai in Leipzig gestorben.
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