Heike Egner und Anke Uhlenwinkel, beide Professorinnen für Geographie, zeichnen im vorliegenden Buch ein erschreckendes Bild des Wandels, besser gesagt des Niedergangs, der deutschen Universität – ein Bild, in dem die Entlassung mißliebiger Professoren zwar ein zentrales, aber bei weitem nicht das einzige Element ist.
Den Hintergrund dieser Entwicklung stellt nach Ansicht der Autorinnen die zunehmende – manche würden sagen überhandnehmende – Ökonomisierung des deutschen Hochschulsystems dar. Diese macht sich direkt durch das Streben nach „verwertbarer“ Forschung und Lehre bemerkbar. In der Forschung äußert sich dies durch das große Gewicht der Finanzierung durch Drittmittel, die ja nach Maßgabe der politischen oder wirtschaftlichen Interessen staatlicher beziehungsweise privater Geber zugewiesen werden.
In der Lehre kam es im Zuge und in der Folge der Bologna-Reform zu einer Verschulung und einer Überbetonung der „Praxisrelevanz“. Indirekt findet eine Ökonomisierung durch die Einführung neuer, teils monetärer, teils dienstrechtlicher Leistungsanreize beim Lehrpersonal statt – etwa in Form leistungsabhängiger Besoldungselemente oder der Berufung von Professoren „auf Probe“, also ohne sofortige Verbeamtung. Damit einher gehen eine wesentlich stärkere Position und eine wesentlich größere Macht von Präsidien oder Rektoraten.
Kritische Geister haben es schwer
Unter diesen Bedingungen tun sich natürlich kritische und unangepaßte Geister besonders schwer und erregen besonders leicht Anstoß. Denn sie sind – fast schon notwendigerweise – Anhänger des traditionellen Verständnisses von Wissenschaft, des Verständnisses im Sinn von Max Weber. Demnach gilt „die Wahrheitssuche als oberster wissenschaftsinterner Wert, sie legitimiert jegliche Forschung, also auch jene, die keiner der Nützlichkeitserwartungen oder Relevanzvorstellungen gerecht wird, die etwa von der Politik an sie herangetragen werden.
In diesem Sinne ist es geradezu zentrale Aufgabe von Wissenschaftlern ’unangenehme Wahrheiten‘ zu produzieren.“ Und genau aus diesem Grund „galten das nonkonformistische Denken, der Drang zur höchsten Genauigkeit, die innere Unabhängigkeit des Professors, ja sogar die Renitenz (…) bis vor relativ kurzer Zeit als der Kern dessen, was eben auch einen ’guten Professor’ auszeichnet.“
Wer als Wissenschaftler heute noch diesem Typ entspricht, hat es nicht einfach. Er riskiert nicht nur Anfeindungen von Kollegen oder Medienschelte, sondern auch, wenn er es denn überhaupt schafft, berufen zu werden, seine Entfernung aus dem Hochschuldienst – sofern er noch nicht verbeamtet ist. Und damit wären wir beim Kernthema des vorliegenden schmalen Bandes – der Entlassung kritischer Professoren. Beide Autorinnen haben diese oder eine ähnliche Erfahrung selbst gemacht. Die eigenen und andere bekannte Fälle finden allerdings nur am Rand Erwähnung.
Verletzung der Wissenschaftsfreiheit
Sie stützen ihre Diskussion der bei Entlassungen angewandten Methoden und der Hintergründe dieser Entlassungen vielmehr auf die Analyse von sechzig anonymisierten Fällen. Dabei unterscheiden sie zwischen zwei Phasen: In einer ersten Phase, etwa ab 2018, lautete der Vorwurf, mit dem die Entlassung begründet wurde, in aller Regel „Führungsfehlverhalten“, wobei oft schon der bloße Vorwurf des Machtmißbrauchs zur Sanktionierung der Beschuldigten ausreichte und ein Nachweis des Fehlverhaltens als entbehrlich angesehen wurde.
In der zweiten Phase, ab 2021, wurde zunehmend der Vorwurf der ideologischen Unbotmäßigkeit (wenn nicht wörtlich, so doch sinngemäß) erhoben, wobei natürlich vor allem die in der jeweils aktuellen politischen Debatte zentralen Themen im Mittelpunkt standen – also insbesondere Corona-Politik, Ukraine-Krieg, Klimapolitik, Migrationspolitik und Genderfragen. Die Autorinnen sehen einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Phasen dergestalt, daß die Hochschulleitungen sich durch ihre „Erfolge“ in der ersten Phase, die durch den mangelnden Rückhalt ermöglicht wurden, den die beschuldigten Professoren von ihren Kollegen erfahren haben, ermutigt fühlten, mißliebige Professoren direkt und nicht mehr nur unter dem Deckmantel des Führungsfehlverhaltens anzugehen.
„Während in Phase I die Praxis der Entlassung aus leichtfertigen Gründen als Normalität etabliert wurde, erfolgt der Eingriff in die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit nun völlig unverblümt.“ Nicht zuletzt deshalb spielen auch die Medien in dieser zweiten, noch aktuellen Phase eine größere Rolle – indem sie oft zur Entlassung dadurch Anlaß geben, daß sie die Positionen und Meinungen des betreffenden Professors skandalisieren. Überraschend für den Leser und der anekdotischen Evidenz widersprechend soll dies eher „linke“ als „rechte“ Professoren betreffen. Dieser Punkt hätte eine eingehende Diskussion verdient, in deren Rahmen die Autorinnen auch hätten erklären sollen, was genau sie unter „links“ und „rechts“ verstehen.
Deutschland braucht kritische Wissenschaftler
Die Autorinnen behaupten keineswegs, daß es kein Fehlverhalten von Professoren gebe oder daß diese nie aus dem Dienst entfernt werden dürften. Aber zum Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre, der in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes verbrieft ist, müßten solche Verfahren strengen Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit genügen. Erschreckenderweise wurden diese Anforderungen in allen untersuchten Fällen verletzt – einmal mehr, einmal weniger.
Der Verdacht, daß es bei diesen Verfahren letztlich um die Disziplinierung und Instrumentalisierung der Wissenschaft – und zwar mit dem Ziel der Durchsetzung bestimmter Ideologien – ging, ist nur schwer von der Hand zu weisen. Die Entlassung mißliebiger Professoren ist einerseits Folge des oben geschilderten Umbruchs in der Hochschullandschaft, andererseits trägt sie auch zu dessen Beschleunigung bei, so daß man durchaus von einer Art Teufelskreis sprechen kann.
Die Autorinnen weisen zu Recht darauf hin, daß es der Gesellschaft nicht gleichgültig sein kann, wo und wie dieser Teufelskreis ein Ende finden wird. Wie mit Professoren umgegangen wird, ist nicht nur Sache der jeweils direkt Betroffenen. Denn Freiheit von Forschung und Lehre ist ein wichtiges Gut, welches nicht ohne Grund unter dem Schutz des Grundgesetzes steht. Eine aus Angst vor Sanktionen eingeschüchterte, disziplinierte und unkritische Wissenschaft ist, insbesondere angesichts der großen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, das letzte, was das Land der Dichter und Denker brauchen kann.
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Prof. Dr. Fritz Söllner lehrt Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Ilmenau und ist Mitglied im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit e.V.
Wie ein einfacher Zählreim die Wissenschaftsfreiheit bedroht