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Haltung statt Wissenschaft: Abrechnung mit Universitäten: Konformismus wie zu DDR-Zeiten

Haltung statt Wissenschaft: Abrechnung mit Universitäten: Konformismus wie zu DDR-Zeiten

Haltung statt Wissenschaft: Abrechnung mit Universitäten: Konformismus wie zu DDR-Zeiten

Auf dem Foto befindet sich eine Demonstration der Asta der Universität Kassel gegen die Corona-Proteste. (Themenbild/Symbolbild)
Auf dem Foto befindet sich eine Demonstration der Asta der Universität Kassel gegen die Corona-Proteste. (Themenbild/Symbolbild)
Anti-Querdenkerdemonstration des Asta der Universität Kassel 2022: Umgekehrter Totalitarismus? Foto: Imago Images/Hartenfelser
Haltung statt Wissenschaft
 

Abrechnung mit Universitäten: Konformismus wie zu DDR-Zeiten

Eigentlich sollte die Wiedervereinigung die Universitäten freier machen – eigentlich. Doch die neuen Verhältnisse ließen den alten Konformismus gewähren. Das bekam Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen deutlich zu spüren. Vera Lengsfeld rezensiert sein neuestes Buch.
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Michael Meyen hat eine bemerkenswerte Universitätskarriere hingelegt. Vom berüchtigten „Roten Kloster“ in Leipzig, der Ausbildungsstätte für Journalisten in der DDR zum Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Eine Karriere, die nicht so selten ist, wie man denkt, denn viele Ostdeutsche haben sich nach der Vereinigung im neuen System durchgesetzt, wenn auch nicht unbedingt in den Geisteswissenschaften, sondern mehr in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern.

Das Besondere an Meyen ist, daß er selbst zugegeben hat, vom System, dessen Anreize und Privilegien er ausführlich beschreibt, profitiert zu haben, bis ihm aufgefallen ist, daß etwas an den Universitäten gewaltig schiefläuft. Als sich das Kultusministerium nach drei Jahren erkundigte, ob Meyen schon eine kommunistische Zelle an der Uni gegründet habe, konterte der, daß dies die falsche Frage sei. An Zellen wurde längst gebaut, aber mit Kommunismus hatte das nichts zu tun.

Der „freie Westen“ war doch nicht so frei

Darauf gestoßen ist Meyen, weil er von der Friedlichen Revolution geprägt wurde, nicht als Akteur, sondern als Beobachter. Unter anderem sollte es an den Universitäten der DDR endlich Meinungs- und vor allem Forschungsfreiheit geben. Die gab es dann auch in der kurzen Zeit Anfang der neunziger Jahre, bis die Universitäten von West-Leitungskadern und West-Wissenschaftlern übernommen wurden. Noch in Leipzig wurde Meyen habilitiert, mit einer vielbeachteten Dissertation über die bürgerliche Presse in Leipzig während der Weimarer Republik. Das hat offensichtlich seine Meinung, wie Pressefreiheit aussehen muß, geprägt. 

Nur, als er daranging, seine Erkenntnisse in die Tat umzusetzen, wurde irgendwann aus der „Speerspitze“ der Medienforschung ein „Professor Kokolores“, wie ihn der Spiegel genannt hat. Wobei der angebliche „Kokolores“ Meyens ausgedehnten empirischen Studien entstammt. Die Liste der Fachliteratur, die er studiert hat, ist ellenlang, die Liste der Interviews, die er geführt hat, noch länger. Meyen hat sich vorbehaltlos informiert, auch bei Medien, die längst auf der unsichtbaren schwarzen Liste standen, also gemieden werden sollten. Seine Erkenntnisse an dieser Stelle zusammenzufassen ist fast unmöglich.

Universitäten als Hort der Haltung

Michael Meyen: Wie ich meine Uni verlor. Dreißig Jahre Bildungskrieg. Bilanz eines Ostdeutschen. Edition Ost, Berlin 2023, broschiert, 176 Seiten, 15 Euro. Jetzt im JF-Buchdienst bestellen.

Die Wissenschaft sei die Religion der Gegenwart. Die Entscheidungsträger in Politik, Stiftungen und Wirtschaft brauchen Priester in Professorenmantel, um ihre Ziele durchzusetzen. Das wurde zuletzt in der Corona- Krise so eindrucksvoll vorgeführt, daß es jeder bemerken konnte. Um die Ergebnisse zu erhalten, die gewünscht werden, wird nicht nur eine enge Auswahl von Wissenschaftlern getroffen, die zu einem bestimmten Problem gehört werden, sondern die Freiheit der Wissenschaft wird seit mindestens 25 Jahren systematisch eingeschränkt.

Dies geschieht mit Hilfe des „Bologna-Prozesses“, einer von der EU gesteuerten Reform der Universitäten, die das Zusammenspiel von Forschung, Bildung und gesellschaftlichen Verantwortung vom ökonomischen Diktat der Meßbarkeit und Effizienz abhängig gemacht und damit „Academia den Machtinteressen zum Fraß vorgeworfen“ hat.

Schlimmer noch, nach Meyens Analyse wird alles dafür getan, daß Studenten Kinder bleiben. Das Ergebnis ist, daß heute Kommentare zur Lage der Nation abgegeben werden, die früher als Volontärniveau gegolten hätten. Der Lehrbetrieb wird immer mehr zum Haltungsforderer. Das erinnert fatal an die DDR. Damals mußte man sich bekennen, „Propagandist des Proletariats“ zu sein, der den „Klassenfeind“ öffentlich verabscheuen mußte. Heute sind es Bekenntnisse zu Vielfalt, Gendern, Corona oder menschengemachtem Klimawandel, die abgelegt werden müssen, um die akademische Leiter problemlos aufsteigen zu können.

Von einer offenen Gesellschaft kann keine Rede sein

Das Aufstiegsangebot an die heutige Jugend lautet, die richtige Haltung zu zeigen. Das war im Kommunismus und im Nationalsozialismus auch so und sollte eigentlich der Vergangenheit angehören. Der Unterschied zu den offenen Diktaturen ist, daß wir es heute mit einem „umgekehrten Totalitarismus (Sheldon Wolin) zu tun haben. Der entsteht nach Wolin „durch eine Kombination aus staatlichen Aufträgen, Unternehmens- und Stiftungsgeldern, gemeinsamen Projekten von Universitäts- und Unternehmensforschern“.

Das bedeutet, daß der Staat und multinationale Konzerne eine enge Bindung eingegangen sind. Erhebliche Teile der heute so wichtigen „Drittmittel“ für Forschungsprojekte kommen von Stiftungen und Konzernen. Wer sich fragt, warum Unternehmen mit woken Slogans und Bildern werben, die von ihrer Kundschaft mehrheitlich abgelehnt werden und die Gefahr besteht, daß sie auf Teile ihrer Gewinne verzichten müssen, findet bei Meyen die Antwort: „Käufer sind wankelmütig und viel weniger verläßlich als der Koalitionspartner Staat, der in Deutschland so fest in der Hand von fünf Parteien ist, daß auch ein Regierungswechsel keine Einbußen befürchten läßt.“ Von einer offenen Gesellschaft kann keine Rede mehr sein. Wer dafür noch mehr Argumente braucht, wird bei Meyen fündig.

JF 08/24 

Anti-Querdenkerdemonstration des Asta der Universität Kassel 2022: Umgekehrter Totalitarismus? Foto: Imago Images/Hartenfelser
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