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200. Geburtstag Theodor Fontanes: Chronist des Preußentums

200. Geburtstag Theodor Fontanes: Chronist des Preußentums

200. Geburtstag Theodor Fontanes: Chronist des Preußentums

Fontane
Fontane
Fontane-Denkmal in Neuruppin Foto: picture alliance / akg
200. Geburtstag Theodor Fontanes
 

Chronist des Preußentums

Fontane macht süchtig, sehn-süchtig. Er erweckt in seinen Lesern die Sehnsucht nach einer untergegangenen besseren Welt. Einer Welt, in der Pferdeschlitten durch verschneite Landschaften sausen, die Ehe zwischen Mann und Frau noch etwas Heiliges ist und der Gemeindepastor eine Autorität, die die Bibel auslegt und nicht das Parteiprogramm der Grünen.
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„Es war Weihnachten 1812, Heiliger Abend. Einzelne Schneeflocken fielen und legten sich auf die weiße Decke, die schon seit Tagen in den Straßen der Hauptstadt lag.“ Stimmungsvoller kann man es nicht Weihnachten werden lassen als mit den ersten Sätzen des breit angelegten preußischen Sittengemäldes „Vor dem Sturm“. Das 1878 erschienene Buch war das Romandebüt des Meisters des poetischen Realismus, der vor 200 Jahren als Henri Théodore Fontane, also mit französischen Wurzeln, im brandenburgischen Neuruppin das Licht der Welt erblickte.

In Anbetracht der französischen Abstammung nimmt es nicht wunder, daß Fontane sich mit seinem ersten Prosa-Epos dem französisch-preußischen Kräftemessen widmete, das die Geschichte des 19. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen sollte. Am Beispiel der adligen Familie von Vitzewitz schildert der „Roman aus dem Winter 1812 auf 13“, so der Untertitel, Stimmungslage und Gemütsverfassung der preußischen Gesellschaft vor den Befreiungskriegen, die im Herbst 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig gipfelten.

Für Berndt von Vitzewitz ist Napoleon der „Böseste auf Erden“. Sein Sohn Lewin hingegen verteidigt den Kaiser: Es sei nicht recht, im Moment seiner schlimmsten Niederlage, also nach dem gescheiterten Rußlandfeldzug, den Wehrlosen zu würgen.

Lewins Plädoyer aus dem ersten Buch des Epos bringt auf den Punkt, was für Fontanes Schaffen elementar ist: das beständige Werben für Ausgleich, Milde und Kompromiß. Wen keiner mehr verstehen zu können meint, für den bemüht sich Fontane um Verständnis. Er tritt ein für ein Miteinander, das vom Humanismus und einer christlichen Ethik bestimmt ist, die nichts mit Bigotterie zu tun hat, sondern mit dem Geist Christi.

Seine Liebe galt früh der Literatur

Diese Haltung bedingt eine Abneigung gegenüber dem vorschnellen Urteil, das oft ein Vorurteil ist. Die Altersmilde und weise Schicksalsergebenheit, die der alte Dubslav verkörpert, die Hauptfigur seines wie der Erstling breit angelegten Spätwerks „Der Stechlin“ (posthum 1899), scheint die des Autors selbst zu sein. Und wer sich die dreiteilige „Stechlin“-Verfilmung von 1975 ansieht, wird sich des Eindrucks, in Dubslav von Stechlin auch ein wenig dem alten Fontane selbst zu begegnen, kaum erwehren können.

Der Apothekersohn fand erst spät zur Romanschriftstellerei. Er erlernte nach der schulischen Unterweisung in Swinemünde (wohin die Familie 1827 zog), Neuruppin und an der Gewerbeschule in Berlin zunächst einen soliden Brotberuf nach väterlichem Vorbild. Bis 1844 war er als Apothekergehilfe bei Magdeburg, später in Leipzig und Dresden tätig. Mehr als der Pharmazie galt seine Liebe jedoch schon in seinen Lehrjahren der Literatur. Das beweist, neben zahlreichen Gedichten, seine erste Novelle „Geschwisterliebe“, die er 1839 veröffentlichte.

Auch seine Mitgliedschaft in dem Berliner literarischen Club Tunnel über der Spree, dem später auch Paul Heyse und der langjährige Briefpartner und Freund Theodor Storm angehörten, zeigt, wofür das Herz des jungen Fontane schlug. Das 17. Kapitel von „Vor dem Sturm“ vermittelt einen Eindruck davon, wie die Treffen der Literaturfreunde abliefen.

In kämpferischen Gedichten und in Beiträgen für die radikal-demokratische Dresdner Zeitung zeigte der Neuruppiner offen seine Sympathie für das Junge Deutschland. Der Kampf für Einheit und Freiheit war auch seiner. Nach der gescheiterten Revolution von 1848, an der er direkt beteiligt war, entscheidet sich der politisch Engagierte für das Schreiben als Broterwerb. Das Jugenddrama „Karl Stuart“ entsteht, bleibt jedoch Fragment.

Inhaftierung wegen Spionageverdacht

Theodor Fontane an seinem Schreibtisch um 1895 Foto: picture alliance/akg-images

 

Man benötigt nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, warum nach seiner Eheschließung mit Emilie Rouanet-Kummer 1850 und dem Verlust dreier Söhne, die alle kurz nach der Geburt verstarben, das Private plötzlich wichtiger wurde als das Politische: Fontane trat in den finanziell lukrativen Dienst der preußischen Regierung und reiste in deren Auftrag nach London, lebte und wirkte dort von 1855 bis 1859 als Korrespondent. Heute würde man seine Tätigkeit vermutlich als Lobbyismus fürs Auswärtige Amt bezeichnen.

1860 stieß er zur Redaktion der Neuen Preußischen Zeitung beziehungsweise der Berliner Kreuz-Zeitung. Er schrieb für Feuilletons verschiedener Presseerzeugnisse, vorzugsweise Theaterkritiken, ab 1870 vor allem für die Vossische Zeitung. Ein besonderes Abenteuer, niedergelegt in „Kriegsgefangen“ (1871), war seine Inhaftierung wegen Spionageverdachts während des Deutsch-Französischen Kriegs, der Fontane nach Paris gelockt hatte.

Seine Reiseberichte über England und Schottland wurden Inspiration und Muster für seine erst 1882 abgeschlossenen monumentalen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, eine vielgestaltige Bestandsaufnahme des preußischen Kulturerbes. Das Mammutwerk markiert zugleich den Übergang des fleißigen Vielschreibers zum Romancier. Von den für das vierbändige Opus gesammelten Stoffmassen zehrten seine Romane, allen voran der ebenfalls vierbändige Roman „Vor dem Sturm“, an dem Fontane parallel zu den „Wanderungen“ arbeitete.

Sein Biograph Helmuth Nürnberger nennt den Dichter einen „Kenner des menschlichen Seelenlebens“, der mit Geist und Witz, aber ohne Pathos geschrieben habe, „sachlich, aber vornehm, skeptisch, aber gütig, phrasenlos, aber erregend“.

Er deutet nur an

Ein Vergleich mit seinen Zeitgenossen von jenseits des Rheins, Gustave Flaubert und Emile Zola, macht den fundamentalen Unterschied nicht nur zwischen diesen und Fontane, sondern auch zwischen französischer und preußischer Mentalität deutlich: Während Madame Bovary in Flauberts berühmtem Roman von 1857 (für Fontane schon wegen der zentralen Rolle einer Apotheke interessant) sich gleich von zwei Liebhabern verführen läßt und die Darstellung des Ehebruchs für Skandalgeschrei sorgte, fragt sich der Leser von „Effi Briest“ (man beachte die Initialengleichheit mit Emma Bovary) etwas ratlos: War da was?

Zola schildert in seinem Roman „Thérèse Raquin“ (1867), wie ein Ehepaar nach einem gemeinsam verübten Mord an nervlicher Zerrüttung zugrunde geht. Was jedoch Zola mit den Mitteln der literarischen Introspektion förmlich zelebriert, bleibt bei Fontanes thematisch verwandtem Kriminalroman „Unterm Birnbaum“ (1885) nur angedeutet. Ist Ursel Hradscheck überhaupt an der Tötung des Polen Szulski, dem ihr Mann Abel Geld schuldete, beteiligt?

Zwar erleidet sie wie Thérèse Raquin eine Nervenkrankheit, aber die wird so dezent geschildert, daß der Leser nur erahnen kann, was sie quält. Er erfährt lediglich, daß sie „eingezogener“ lebt „denn je“ und bei Pastor Eccelius Erkundigungen zu den Themen Sünde und Erlösung einholt. Gut möglich, daß sie wie ihr französisches Pendant unter nervenzerfetzenden Gewissensbissen gelitten hat. Nur erfährt der Leser davon nichts: Ursel leidet still.

Sehnsucht nach einer untergegangenen besseren Welt

Fontane macht süchtig, sehn-süchtig. Er erweckt in seinen Lesern die Sehnsucht nach einer untergegangenen besseren Welt. Einer Welt, in der statt SUVs Pferdeschlitten durch verschneite Landschaften sausen, die Ehe zwischen Mann und Frau noch etwas Heiliges ist und der Gemeindepastor eine Autorität, die die Bibel auslegt und nicht das Parteiprogramm der Grünen.

Diese Welt war vielleicht nicht wirklich besser. Aber in Fontanes Schilderungen sieht sie oft besser aus, weil Ironie und Trauer die Mißstände, die die soziale Ordnung seiner Zeit mit sich brachte und die er als scharfsinniger Beobachter nicht übersehen konnte, wirksamer ins Bild setzen als Anklage und Bitterkeit. Nicht Parteilichkeit ist seine Sache, auch wenn seine feine, nie sarkastische Ironie der Sympathie des Lesers oft die Richtung weist, sondern auktoriale Distanz.

Dieser darf sich über die neureiche Berliner Kommerzienrätin Frau Jenny Treibel im gleichnamigen Roman von 1892 zwar durchaus mokieren, weil ihr einziges Ziel die pekuniär verheißungsvolle Vermählung ihres Sohnes Leopold ist; in der wehmütigen Erinnerung an ihre Jugendliebe Willibald bleibt sie gleichwohl zutiefst menschlich.

Geld und Standesunterschiede sind die bestimmenden Themen des Realismus – auch bei Fontane. Die meist tragisch endenden Liebesgeschichten „L‘Adultera“ (1880), „Irrungen, Wirrungen“ (1887), „Stine“ (1890) und „Effi Briest“ (1895) thematisieren allesamt den Konflikt zwischen Neigung und Pflicht.

Literarische Wirkung auf Thomas Mann

Immer wieder zeigt der Autor, wie Engstirnigkeit, Standesdünkel oder ein pharisäerhaftes Beharren auf dem Buchstaben des Gesetzes zu Schmerz und Unglück führen. Inbegriff dessen ist das bedauernswerte Ende von Effi Briest, die die Zuchtrute eines starren Ehrbegriffs zu spüren bekommt und unter ihren Schlägen zerbricht. Hätte das „Es muß sein“ ihren Mann, den Baron von Innstetten, nicht gezwungen, Major Crampas zum Duell zu fordern und Effi zu verstoßen, hätte er stattdessen einfach Vergebung üben oder sich so selbstlos opfern können wie Steuermann John Maynard in der berühmten Ballade, vielen wäre viel Leid erspart geblieben.

Die literarisch bedeutendste Wirkung hatte Fontane vermutlich auf Thomas Mann, dessen „Buddenbrooks“ (1901) schon klanglich an die fünf Jahre älteren „Poggenpuhls“ erinnern und dessen Werk ohne Fontane ein anderes wäre. Wenn der schlicht gestrickte Grobleben bei einer Ansprache zu Hanno Buddenbrooks Taufe ins Plattdeutsche wechselt, fühlt man sich in einen typischen Fontane-Roman versetzt.

Günter Grass huldigte dem großen Dichter in seinem 1995 erschienenen Roman „Ein weites Feld“ (eine Anspielung auf den Schluß von „Effi Briest“) und ließ ihn, was nicht alle gelungen fanden, als Fonty auftreten.

Zahlreiche Verfilmungen, allein „Effi Briest“ fünfmal, belegen die bis heute anhaltende Popularität des preußischen Chronisten. Die jüngste Filmversion (2009), in der Hermine Huntgeburth die unglücklich Verehelichte unter Zuhilfenahme von Motiven aus „L’Adultera“ in einer zeitgeistkompatiblen Neuinterpretation zur feministischen Kämpferin ummodelte, ist die mißlungenste. Rainer Werner Fassbinder gelang es mit seinem Meisterwerk von 1974 dagegen auf unnachahmliche Weise, den Geist des Romans einzufangen.

Bis heute buchstäblich in aller Munde ist Fontanes berühmtestes Gedicht, in dem abermals ein Birnbaum im Blickpunkt steht: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ (1889). Vielleicht wollte er dem Obstgewächs, dem er in seiner Mordgeschichte „Unterm Birnbaum“ die Gegenwart einer verscharrten Leiche zumutete, damit eine späte Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das wäre typisch Fontane.

JF 52/19

Fontane-Denkmal in Neuruppin Foto: picture alliance / akg
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