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Fünfte Jahreszeit: Karneval mal anders im Südwesten

Fünfte Jahreszeit: Karneval mal anders im Südwesten

Fünfte Jahreszeit: Karneval mal anders im Südwesten

Ein Überlinger Hänsele läßt beim Karneval-Nachtumzug des "Viererbundes" in Rottweil (Baden-Württemberg) seine Peitsche knallen. Foto: picture alliance / Patrick Seeger/dpa | Patrick Seeger
Ein Überlinger Hänsele läßt beim Karneval-Nachtumzug des "Viererbundes" in Rottweil (Baden-Württemberg) seine Peitsche knallen. Foto: picture alliance / Patrick Seeger/dpa | Patrick Seeger
Ein Überlinger Hänsele läßt beim Nachtumzug des „Viererbundes“ in Rottweil (Baden-Württemberg) seine Peitsche knallen. Foto: picture alliance / Patrick Seeger/dpa | Patrick Seeger
Fünfte Jahreszeit
 

Karneval mal anders im Südwesten

Endlich findet wieder die schwäbisch-alemannische Fasnet statt. Und das mit ein paar Unterschieden zum rheinischen Karneval. Allen woken Tugendwächtern, Blockwarten und Anschwärzern sei geraten, bis Aschermittwoch Augen und Ohren fest zu verschließen und einen großen Bogen um das Narrenland zu machen.
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Hagazussa, hagazussa, huuiii – Hexen jagen auf ihren Besen durch die Luft. Und durch die Straßen ziehen seltsame Gestalten. Kein Minister Lauterbach wedelt symbolisch den Staub von den Masken, die sich die Menschen nach einem Jahr Abstinenz freiwillig aufsetzen, sondern der Teufel höchstpersönlich. Willkommen im deutschen Südwesten sowie im angrenzenden Vorarlberg und in der Deutsch-Schweiz, wo die Menschen in diesen Tagen fröhlich „Wohlan, die Zeit ist kommen, wo närrisch Groß und Klein“ anstimmen.

Endlich findet wieder die schwäbisch-alemannische Fasnet mit ihren schier aus der Zeit gefallenen Bräuchen statt. Von der fast einhundert Jahre alten Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) gegen alle Behördenauflagen, die den Kölner Narren aktuell das Leben erschweren, geschickt abgesichert, indem sie die Landesherren einbezogen haben. Auch das ist launisch: Der Schwarze muß sich anhören, was der Grüne zu sagen hat.

Denn die Goldene Narrenschelle erhielt am 7. Februar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, weil dieser doch nicht nur ein Quotenstar ist, sondern auch von „gar trefflich lockerer Zunge“, so Narrenzünftepräsident Roland Wehrle: „Seine schlagfertige, wortgewaltige Sprache prädestiniere ihn geradezu, sich als Faschings- und Karnevalsfreund endlich den schwäbisch-alemannischen Narren zu stellen, diesen zu huldigen.“

Zartbesaitete Snowflakes sollten sich lieber fernhalten

Nein sagen kann der Christsozialist ohnehin nicht, schließlich trägt der bekennende Fastnachts- und Dialektförderer sowie Verwandlungskünstler nicht nur den Aachener Karnevalsorden „Wider den Tierischen Ernst“, sondern auch den „Fränkischen Schlappmaulorden“. Allein es fehlt bisher sein Bekenntnis zur schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Die Laudatio hielt Narrenschellenträger Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident.

Herren und Damen jeglicher politischer Couleur werden in der fünften Jahreszeit dem folgend viel Spaß miteinander haben. Und allen Spaßbremsen, Tugendwächtern, Blockwarten und Anschwärzern sei geraten, bis Aschermittwoch Augen und Ohren fest zu verschließen und einen großen Bogen um das Narrenland der Schwaben und Alemannen zu machen.

Wer es als Nicht-Einheimischer mit den jahrhundertealten Bräuchen der Regionen richtig ernst meint, sollte einen Volkshochschulkurs besuchen. Allein das Fastnachtsglossar umfaßt 68 Stichworte, von Aschermittwoch bis Zimmermann. Aber letztlich ist alles eigentlich politisch hochaktuell, so beispielsweise wenn in diesen Tagen halbwüchsige Mädchen wieder mit Küchenvorhänglein vor dem Gesicht herumlaufen. Im Mittelalter wollten die Menschen vor Fastenbeginn die noch vorhandenen Lebensmittel aufbrauchen.

Da die Kirche den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten wie Schmalz, Fett, Milch, Käse, Butter und Eiern untersagte – wenn auch nicht aus Gründen des Klimaschutzes oder Tierwohls –, wollten unsere Vorfahren noch einmal richtig die Sau rauslassen. Was zu verderben drohte, wurde wie heute bei den Tafeln aufgetischt, exzessiv wurde gegessen und getrunken, musiziert, getanzt, gefeiert.

Hänsele können nur Männer werden

Und wer es den Pfaffen mal so richtig zeigen wollte, der vermummte sich und zog in Teufels- oder Dämonengestalt oder als gottloser Narr lärmend durch die Straßen. Noch heute erzeugen die Peitschen der „Hänsele“ von Überlingen – neben Stockach eine der beiden Narren-Hauptstädte am nördlichen Ufer des Bodensees – einen ohrenbetäubenden Lärm.

Der „Narrensprung“, also die Umzüge, locken dabei jedes Jahr viele Tausende an, zum Mitfeiern und nicht zum Protestieren. Dabei darf kein Hänsele werden und damit keinen 30 bis 40 Zentimeter langen Rüssel aus schwarzem Samt mit roter Filzquaste statt Nase im Gesicht tragen, wer weiblichen Ursprungs oder kein Überlinger ist. Man kann die Woken jetzt schon weinen hören bei soviel Diskriminierung.

Das Hauptwochenende beginnt am 16. Februar mit dem „Schmotziger Dunschtig“, der Weiberfastnacht, und endet am 22. Februar mit Aschermittwoch, wo bekanntlich alles vorbei ist. Mut für den dann beginnenden Alltag macht das Überlinger Narrenbuch von 1863 in seinem Vorwort: „Ihr Narren! Die Ihr diese Worte in vielleicht 200 Jahren leset, denket, daß schon 1.000 Jahre vor Euch menschliche Wesen gelebt haben, deren Herz für Liebe und Freude, für Freundschaft und Geselligkeit schlug, und daß es Narren gab, welche dem Vorbild ihrer Urgroßväter getreu, sich jedes Jahr fröhlich in die Arme der Narrheit geworfen haben.“

JF 07/23

Ein Überlinger Hänsele läßt beim Nachtumzug des „Viererbundes“ in Rottweil (Baden-Württemberg) seine Peitsche knallen. Foto: picture alliance / Patrick Seeger/dpa | Patrick Seeger
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