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BVG, Edeka und Co.: Ideologie: Das Muster im Kopf

BVG, Edeka und Co.: Ideologie: Das Muster im Kopf

BVG, Edeka und Co.: Ideologie: Das Muster im Kopf

Ideologien sind so echt, daß man sich sogar auf sie setzen kann: Das „Muster der Vielfalt“ auf den Sitzen der BVG-Bahnen Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Ideologien sind so echt, daß man sich sogar auf sie setzen kann: Das „Muster der Vielfalt“ auf den Sitzen der BVG-Bahnen Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Ideologien sind so echt, daß man sich sogar auf sie setzen kann: Das „Muster der Vielfalt“ auf den Sitzen der BVG-Bahnen Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer
BVG, Edeka und Co.
 

Ideologie: Das Muster im Kopf

Ideologien stehen in unserer Gesellschaft derzeit hoch im Kurs. Als solche werden sie von Konservativen oftmals einfach beiseite gewischt. Dabei sollten sie erkennen, daß es sich nicht bloß um Illusionen handelt.
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Ideologie beginnt schon bei den Sitzpolstern in den Berliner Bussen und Bahnen. Nachdem die Berliner Verkehrsgesellschaft vom Entwickler des bewährten „Würmchen“-Musters überraschend wegen der Nutzung des Designs verklagt wurde, beschloß die Geschäftsführung am Spreeufer kurzerhand, einen neuen Look zu entwerfen.

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Heraus kam dabei das „Muster der Vielfalt“: Statt der schwarz-blau-roten Graupeln tummelten sich nun die kunterbunten Silhouetten von Fahrgästen auf den Sitzgelegenheiten des Berliner ÖPNV. „Wir bewegen ganz Berlin – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Körperform, physischer Mobilität, Religion, sexueller Ausrichtung oder kultureller Prägung. Und deshalb zeigen wir diese Vielfalt jetzt da, wo sie niemand übersehen kann: auf unserem neuen Sitzmuster!“, erläuterte die BVG den Sinn der neuen Polster, als könnten diese Wunder wirken.

Kunterbunt in den Kollaps

Warum das Ganze? „Weil wir dich lieben“, erläutert die Verkehrsgesellschaft seinem Publikum in den Worten des Firmenmottos – und vertieft damit die Kluft, die schon längst zwischen Anspruch und Wirklichkeit herrscht. Während die Ticketpreise zuletzt um rund fünf Prozent angestiegen sind, gibt der tägliche Berufsverkehr in der deutschen Hauptstadt ein katastrophales Bild ab. Die für Pendler besonders wichtige Ringbahn fällt gerade zu Stoßzeiten in schöner Regelmäßigkeit aus. Manche Kieze sind aufgrund von Bauarbeiten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kaum noch zu erreichen. Dennoch wird die BVG nicht müde, in Hochglanzoptik für sich zu werben.

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„Wir suchen Leute, die nur aufs Gelb aus sind“, plakatierte der Berliner ÖPNV beispielsweise in absichtlich falscher Schreibe, um neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Und mit dem Plakat „Liebe Masken, zieht euch bitte einen Berliner an!“ wies die Verkehrsgesellschaft ihr Publikum keck auf die Maskenpflicht während der Corona-Pandemie hin.

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Daß es andernorts in Deutschland zuweilen nicht viel anders läuft, sieht man am BVG-Geschwisterkind Deutsche Bahn, an Konzernen wie VW, Edeka und Adidas oder an manchem Politiker im Bundestag. Mal brüstet sich eine Supermarktkette damit, daß rechts im Regal bei ihr kein Platz sei, obwohl die Lebensmittelpreise längst astronomische Höhen erreichen. Mal beschwört der Bundeskanzler die nahende Vollbeschäftigung, obwohl die Bundesrepublik in eine beispiellose Wirtschaftskrise hineinschlittert.

BVG, SPD und Edeka verbindet ein und dieselbe Ideologie

Die zunehmende Entfremdung von Anspruch und Wirklichkeit führt nun aber erstaunlicherweise gerade nicht dazu, daß die BVG, Edeka oder so manche Partei als heuchlerisch oder verblendet entlarvt würde. Vielmehr werden die eigenen Slogans zum bevorzugten Mittel verklärt, um Mißständen abzuhelfen. Die BVG will die allgegenwärtige Kriminalität im Bahnverkehr durch „bunte“ und möglichst inklusive Werbekampagnen bekämpfen, die der Berliner Senat durch Aufklärungsplakate über Alltagsrassismus flankiert.

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Für den perplexen Außenstehenden wächst bei dieser Beobachtung oftmals der Eindruck, daß hier offenbar das Problem mit der Lösung, das Mittel mit dem Zweck und die Ursache mit der Wirkung verwechselt wurde. Tatsächlich hat diese Verwechselung aber Methode. Sie muß im weltanschaulichen Idealismus der herrschenden Klassen gesucht werden, der sich auf den philosophischen Nenner bringen läßt, daß „das Bewußtsein das Sein bestimmt“. Dieser Idealismus feiert derzeit Hochkonjunktur.

Sämtliche gesellschaftlichen Krisen und Verwerfungen der letzten paar Jahre wurden von der deutschen Bourgeoisie mit malignen Bewußtseinstäuschungen in Zusammenhang gebracht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) etwa wurde nicht müde, die zahllosen Proteste während des Corona-Lockdowns als Ergebnis von medizinischem Halbwissen und von Verschwörungstheorien zu verunglimpfen. Und die BVG ist mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) der Überzeugung, daß die Idee der offenen Gesellschaft bald auch den Kleindealer am Kreuzberger Gleisdreieck von seinem zwielichtigen Geschäftsmodell abbringen wird.

Mit Marx und Engels falsches Bewußtsein entlarven

„Diese Forderung, das Bewußtsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d. h. es vermittelst einer anderen Interpretation anzuerkennen“, schrieben Marx und Engels bereits 1845 über diesen ideologischen Reflex. In ihrem bei so manchem Bier und vielen Zigaretten entstandenen Gemeinschaftswerk „Die deutsche Ideologie“ machten sich die beiden Revolutionäre ausgiebig über ihre intellektuellen Zeitgenossen lustig, die die deutsche Gesellschaft in ihren Artikeln und Aufsätzen bis ins Groteske hinein entstellten.

Sowohl der Anarchist Max Stirner als auch der Liberale Bruno Bauer abstrahierten in ihren Beiträgen zur Politik derart von der tatsächlichen Situation im damaligen Deutschland, daß am Ende nur eine lächerliche Karikatur der realen Verhältnisse dabei herauskam. Für Marx und Engels waren diese Karikaturen aber nicht einfach nur zum Lachen. Vielmehr sahen sie darin den ernstgemeinten Versuch ihrer Kollegen, sich ideell mit der bestehenden Gesellschaft abzufinden und ihrem unvernünftigen Treiben sozusagen nachträglich eine Räson zu verleihen. Somit war die Kehrseite des Idealismus entdeckt: daß er nämlich als philosophischer Steigbügelhalter der ohnehin schon Mächtigen dient.

Als Antwort auf diesen intellektuellen Selbstbetrug entwickelten Marx und Engels ihren berühmt-berüchtigten „historischen Materialismus“. Dieser wurde zwar im Laufe des 20. Jahrhunderts durch zahlreiche vulgärmarxistische Auslegungen stark kompromittiert, pocht aber als eine von wenigen Theorieströmungen nach wie vor auf die Notwendigkeit einer prosaischen Betrachtung der Gesellschaft, frei von Mystik und Ideologie.

Konservative stehen vor einer Rechts-links-Dialektik

Daß dieses falsche Bewußtsein unser Zusammenleben heute genauso fest im Griff hat wie einst im Vormärz, beweisen nicht zuletzt die luxuriösen Werbekampagnen der BVG. Mit einer eigenen Modekollektion samt Fotoshootings und Präsentation auf dem roten Teppich brachten die Berliner Verkehrsbetriebe ihr „Muster der Vielfalt“ zuletzt öffentlichkeitswirksam an den Mann und die Frau.

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Stars konnten sich auf der feuchtfröhlichen Party in einem eigens hergerichteten Abteil der U-Bahn ablichten lassen, das so ganz anders aussah als die echten BVG-Waggons auf den Gleisen der Hauptstadt – nämlich sauber, sicher und schön. An dieser Stelle wird die ganze Abgründigkeit, aber auch die ganze Komik der modernen idealistischen Ideologie deutlich: Ein Sitzpolster in der U-Bahn kann die Welt verändern, solange es mit dem „Muster der Vielfalt“ daherkommt. Wie man sich setzt, so liegt man.

Die konservative Opposition zu dieser Realkomödie wird daher über kurz oder lang auch einige in der Tradition von Marx und Engels stehende materialistische Motive in ihre Arbeit aufnehmen müssen. Der Lernstoff ist reich und zieht sich von Lukacz über Gramsci bis Althusser. Verweigert sie sich dieser historischen Dialektik – rechts von links, links von rechts zu bespielen –, ersetzt sie am Ende nur eine idealistische Narretei durch eine andere, das „Muster der Vielfalt“ durch ein „Muster der Freiheit“ oder ein „Preußen-Muster“. Alles Formen derselben idealistischen Komödie.

JF 18/23

Ideologien sind so echt, daß man sich sogar auf sie setzen kann: Das „Muster der Vielfalt“ auf den Sitzen der BVG-Bahnen Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer
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