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Roulade reloaded: Dörfliches Leben sichern

Roulade reloaded: Dörfliches Leben sichern

Roulade reloaded: Dörfliches Leben sichern

Das Foto zeigt einen Landgasthof in Prichsenstadt in Bayern. Gerade auf dem Land sind derartige Höfe wichtig für das gesellschaftliche Leben.
Das Foto zeigt einen Landgasthof in Prichsenstadt in Bayern. Gerade auf dem Land sind derartige Höfe wichtig für das gesellschaftliche Leben.
Ein Landgasthof im Bayerischen Prichsenstadt: Gerade im ländlichen Raum sind solche Betriebe wichtig für das gesellschaftliche Leben Foto: picture alliance / imageBROKER | Lenz, G.
Roulade reloaded
 

Dörfliches Leben sichern

Seit Jahren kämpfen die traditionellen Landgasthöfe ums Überleben. Doch es gibt auch eine hoffnungsvolle Gegenbewegung. Mit neuen Konzepten und radikal regionalen Produkten feiern einige Wirte eine Wiederauferstehung und die deutsche Küche.
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Klassische Landgasthöfe sind die Dinosaurier der Gastronomie, kurz nach dem Asteroideneinschlag. Noch um die Jahrtausendwende pilgerten ganze Familien sonntags zu den Bauernhof-Restaurants vor der Stadt, um deftige regionaltypische Spezialitäten zu genießen. Sommertags saß man auf der Gartenterrasse, im Winter vor dem Kamin. Je nach Wetterlaune stand der Parkplatz voller Autos oder Fahrräder.

Das ist Geschichte, zahlreiche Landgasthöfe kämpfen ums Überleben. Diese Entwicklung begann lange vor Corona. Die Ursachen sind fehlende Nachfolger, keine Fußläufigkeit sowie veränderte Eß- und Ausgehgewohnheiten. Allerdings muß man auch einräumen, daß sich viele Betriebe an der deutschen Küche mit Convenience-Produkten wie Fertigsoßen aus der Tüte übel vergangen haben.

Nun kommen noch akute Personalnot und wuchernde Bürokratie hinzu. Immer kafkaesker werdende Dokumentationspflichten sorgen dafür, daß der Wirt mehr Zeit am Schreibtisch als bei seinen Gästen verbringt. Fast alle Landgasthöfe sind inhabergeführt, viele Wirte – meist Ehepaare – stehen kurz vor dem Rentenalter. Die kleinen Betriebe werfen nicht genug Ertrag ab, um für Nachfolger attraktiv zu sein. Zudem bieten immer mehr Einkaufszentren Restaurants mit Verweilqualität, so daß die Kunden nach dem Einkaufen auch gleich zum Essen bleiben.

Seit 2000 hat jeder dritte Dorfkrug geschlossen

Gibt ein Gastronom auf, gibt es meist kein Zurück mehr: Die Immobilien werden dann oft zu Wohnungen umgebaut. Damit enden in vielen Fällen jahrhundertealte Traditionen. Nach Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes hat seit 2000 mehr als jeder dritte der typischen Dorfkrüge geschlossen. Hochzeits- und Trauergesellschaften, Kegelclubs und Vereine sind dann heimatlos, das Dorfleben stirbt mit. Mit den Speisekarten verschwindet auch die „gutbürgerliche“ Küche: Statt Rouladen und Geschnetzeltem bleibt nur Pizza-Döner-Burger-Thai an der Landstraßenbude.

Gelegentlich geistern vollmundige Politiker-Initiativen zur Rettung der Landgasthöfe durch die Landtage, wie beispielsweise in Baden-Württemberg, wo sich SPD und CDU in Forderungen nach einem Stopp des Gasthofsterbens übertrafen. Aber wo es keine Betriebsnachfolger gibt, helfen auch keine Investitionskredite.

Doch es gibt einen Silberstreif, einen Funken Hoffnung. Junge, mutige Gastronomen wagen sich an die Wiederbelebung gastronomischer Institutionen und erfinden sie einfach neu! Mit regionalen Produkten, modern interpretierter Heimatküche, Retro-Charme und vor allem Herzblut punkten die „runderneuerten“ Traditionslokale als Ausflugsziele für junge Familien und Fans herzhafter „Wie bei Oma“-Gerichte. Küchen-Klassiker wie der Sonntagsbraten, aber auch saisonale Wildgerichte mit dokumentierter Herkunftsgeschichte, ausgesuchte Spirituosen-Spezialitäten und vor allem persönliche Authentizität sind die Zutaten für ein gelungenes Comeback. Die wachsende Landlust und Umzugsfreude vieler entnervter Städter hilft.

Veganes Essen und E-Bike-Station locken neue Gäste

Erfreuliche Erfolgsbeispiele gibt es in vielen Regionen: In Hörnerkirchen bei Elmshorn hat Frank Breitfeld mit viel Elan und frischen Ideen den Gasthof Bokelseß übernommen und seinen mutigen Schritt bisher nicht bereut. Das Gasthaus Schwanen in Reichelsheim/Hessen hat sich einen Ruf als Genießertreff erarbeitet und kombiniert Spezialitäten aus dem Odenwald lässig mit Mittelmeerakzenten.

In Wenholthausen im Sauerland geht Julia Seemer mit hausgemachter Limo, selbstgebackenem Kuchen und Eis aus der benachbarten Manufaktur in die Offensive – sehr zur Freude von Touristen und Nachbarn. Im Niedersächsischen Oederquart hat sich Familie Witt in ihrem Gasthof „Zur Post“ mit zusätzlichen veganen Speisen und einer Ladestation für E-Bikes auf neue Gäste eingestellt.

Im westfälischen Greven führt Christoph Wauligmann nach Stationen in Sternerestaurants nun die Küche des elterlichen Landgasthofs in sechster Generation und brutzelt lieber Bodenständiges. In Grube in Ostholstein übernahm der Koch Sven Würrer trotz Strukturschwäche den 150 Jahre alten Gruber Hof und wird dafür von seinen Gästen gefeiert. Sein Rezept: Einfache Speisen für jeden Geschmack, aber bei hoher Qualität. Außerdem bietet Würrer regelmäßig kleine Attraktionen wie Spanferkel-Grillen, die von der Dorfgemeinschaft begeistert angenommen werden.

Die Beispiele zeigen: Der Landgasthof ist nicht tot – er ist jetzt nur ein anderer. Das schafft Zuversicht, daß gastliche Oasen mit Namen wie „Zum Ochsen“, „Zum grünen Kranz“ oder „Zur Linde“ auch in kommenden Zeiten als Zentrale des nicht-urbanen Lebens erhalten bleiben. Denn Netflix und Lieferdienst sind kein Ersatz.

JF 27/23 

Ein Landgasthof im Bayerischen Prichsenstadt: Gerade im ländlichen Raum sind solche Betriebe wichtig für das gesellschaftliche Leben Foto: picture alliance / imageBROKER | Lenz, G.
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