Rasta-Frisuren bei weißen Musikern und Konzertabsagen: Wer diesen Zusammenhang verstehen möchte, sollte in die Schweiz schauen. Erneut hat in Bern ein Veranstalter ein geplantes Konzert der Reggae-Mundart-Band „Lauwarm“ abgesagt und die Musiker mit Rastalocken ausgeladen, wie die Schweizer Tageszeitung Blick unlängst berichtete. Doch welcher Grund genau zur „Absage in letzter Minute“ geführt hat, sei derzeit nicht bekannt.
Mutmaßlich sind es wohl weiterhin die Frisuren der Künstler, die von „woker“ Seite aus in der Kritik stehen. Die Geschichte an sich ist nicht neu: Erst Ende Juli hatte ein anderer Veranstalter in Bern einen Auftritt der Band unterbrochen. Zuvor hatten sich Gäste des Konzerts an der Tatsache gestört, daß weiße Reggae-Musiker überhaupt Rasta-Frisuren tragen. Dies sei eine Aneignung der Bräuche ehemaliger afrikanischer Sklaven, beschwerten sie sich gegenüber dem Veranstalter, der dem Wunsch Folge leistete und der Band das weitere Musizieren verwehrte.
Wieder wegen der Haare?
Nun wird die Schweizer Band „Lauwarm“ erneut Opfer der „Cancel Culture“. Wieder in Bern, wieder wegen der Haare. „Leider spielen wir heute nicht an der Lorraine-Chilbi. Wir wurden ‚gecancelled‘“, teilte ein Sänger der Musikgruppe in den sozialen Medien mit. Mittlerweile habe die Band Ausweichmöglichkeiten gefunden und Konzerte in anderen Schweizer Städten gespielt. Dort lief dem Zeitungsbericht nach alles glatt, es habe keine Beschwerden gegeben. „Die Jungs haben das gestern super gemacht“, wurde der Veranstalter in Solothurn zitiert. „Die Stimmung war großartig, es gab keinerlei Probleme, niemand fühlte sich unwohl.“
Wer sich bei Auftritten weißer Raggae-Musiker mit „schwarzen“ Dreads unwohl fühlt, hat wohl meist folgenden historischen Hintergrund im Kopf: Sogenannte Dreadlocks, Rasta-Frisuren, auch Rastalocken genannt, gehen historisch auf die Sklaverei in den Vereinigten Staaten sowie auf die Rastafari-Bewegung in Jamaika zurück. Dort begannen in den 1930er Jahren die sozial benachteiligten Rastafaris ihre Haare dementsprechend zu tragen, vor allem als Ausdruck religiöser Verehrung und als Zeichen des Widerstands gegen die damalige, britische Kolonialmacht.
Fälle „woker“ Ausladungen häufen sich
Die Fälle ausgeladener Musiker aus „woken“ Gründen häufen sich, nicht nur in der Schweiz. Weil er als Weißer Rastalocken trägt, durfte der österreichische Musiker Mario Parizek Mitte August nicht in einem Kulturlokal in Zürich auftreten. Die linken Veranstalter hatten das Konzert mit der Begründung kurzfristig abgesagt, der Künstler betreibe „kulturelle Aneignung“. Da nützte es dem Österreicher nichts, daß er sich nach eigener Aussage seine Dreadlocks als 13jähriger habe wachsen lassen, um in seinem Heimatdorf gegen Rechts zu protestieren. „Heute werde ich von der linken Ecke deshalb diskriminiert“, teilte er in den sozialen Medien mit.
Für Schlagzeilen sorgte im März auch die deutsche Musikerin Ronja Maltzahn. Ihr geplanter Auftritt auf einer Demonstration für den Klimaschutz bei „Fridays for Future“ in Hannover wurde kurzfristig von einer Ortsgruppe der Bewegung abgesagt. Dreadlocks bei weißen Menschen seien nämlich eine Form der kulturellen Aneignung, hieß es damals in der Begründung, und würden das „antikolonialistische und antirassistische Narrativ“ der Klimaproteste konterkarieren.
„Schade, daß meine helle Hautfarbe anstößig ist …“
„Schade, daß wir aufgrund von äußerlichen Merkmalen davon ausgeschlossen werden“, kommentierte die Musikerin aus Niedersachsen daraufhin in den sozialen Netzwerken die Absage. Sie bedauerte, daß „meine Dreadlocks und meine helle Hautfarbe anstößig sind für das Thema kulturelle Aneignung. Wir machen Musik in sieben verschiedenen Sprachen und sind ein buntes Team aus 15 Musiker aus verschiedenen Nationalitäten, mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen“. Persönlich stehe sie dennoch weiterhin für die Ziele der Klimaprotestbewegung ein.
Insbesondere letztere Aussage zeigt das Dilemma der Linken in dieser Debatte auf. Für „woke“ Teile im linken Lager dürfen Menschen mit heller und weißer Hautfarbe per sé keine Rasta-Frisuren tragen, weil sie eben keine Nachfahren der schwarzen Sklaven sind. Damit haben sie nach „woker“ Logik, im Übrigen als Nachkommen früherer weißer Kolonialherren, ihr Recht auf die „kulturelle Aneignung“ schwarzafrikanischer und jamaikanischer Gebräuche qua Geburt verwirkt. Doch damit treffen sie direkt Mitglieder des eigenen ideologischen Lagers: Ob nun die Musikerin, die sich trotz Konzertabsage weiterhin für Gender- und Klima-Themen einsetzt oder der Musiker, der sich seine Dreadlocks im „Kampf gegen Rechts“ hat wachsen lassen. Die Linke stolpert damit über ihre eigenen Füße.