Wann neigt sich das eigene Leben dem Ende zu? Bereits in der Antike träumten die Menschen davon, diese Frage selbstbestimmt beantworten zu können. In der griechischen Mythologie etwa besaß Medea das Wissen und die Fähigkeit, mithilfe von Kräutern einen Unsterblichkeitstrank zusammenzubrauen. Wenngleich magische Kräutermischungen heute eher in das Visier von Drogenfahndern geraten, der Wunsch nach ewiger Jugend besteht auch in unserer Gesellschaft. Açaí-Bowls, Grüner Tee und Debatten über Kuhmilch sind der zeitgenössische Beweis dafür.
Ein Entkommen gibt es im Ernährungs-Dschungel kaum noch. Trendgesteuert sucht die Menschheit nach den gesündesten Lebensmitteln, die die Lebensspanne verlängern sollen. Voraus geht die Idee, daß die Ernährungspalette für jeden Bereich des Körpers eine Verbesserung bereithält: Karotten für eine bessere Sehkraft, Hähnchen für den Muskelaufbau und Tomaten zur Entschlackung der Leber. Im Fokus steht dieses Jahr die Darmgesundheit. Das weiß auch fit!, das Gesundheitsmagazin der DAK: „Der Zusammenhang zwischen Darmgesundheit, Immunsystem und Wohlbefinden beschäftigt immer mehr Menschen. Daß dem Darm eine wichtige Rolle im Hinblick auf unsere Gesundheit zukommt, hat sich längst rumgesprochen.“
Die lebensverlängernden Zaubermittel heißen deshalb in diesem Jahr unter anderem Miso-Paste, die hauptsächlich zur Herstellung von Suppen eingesetzt wird, und Kimchi, ein koreanisches Gericht. Sie haben noch nie davon gehört? Keine Sorge, die Lebensmitteltrends bewegen sich meist abseits des Durchschnittsbürgers und haben oft eine geringe Lebensdauer. Teilweise werden sie sogar „gecancelt“.
Die Moral ißt mit
Ein trauriges Schicksal erlebt daher seit geraumer Zeit die Kuhmilch. Galt sie aufgrund ihres Calciumanteils früher noch als Garant für starke Knochen, steht sie seit einigen Jahren in der Kritik. Durch ihren Kalorienreichtum soll sie nicht nur zu Übergewicht führen, sondern das Leben sogar verkürzen: „Kuhmilch hat einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, die die Blutfettwerte und damit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen“, schreibt die Tierschutzorganisation Peta auf ihrer Homepage. Welch ein Jammer! Erst während der Mensch die Viehzucht entdeckte, schaffte es auch die Milch auf seinen Speiseplan. 8.500 Jahre später soll er sie bereits wieder streichen; liegt im Wort der Ernährungspropheten doch anscheinend der Schlüssel zur umfassenden Gesundheit. Um den Verlust erträglicher zu machen, schießen Alternativen wie Pilze aus dem Boden, beziehungsweise in die Supermarktregale. Hafermilch, Mandelmilch und Haselnußmilch heißen die neuen Zutaten zum morgendlichen Müsli.
Das Beispiel von Peta zeigt, daß auch der Absender der Heilsbotschaften immer genau unter die Lupe genommen werden sollte. Für eine Organisation, die der Massentierhaltung sowieso den Gar ausmachen will, ist es kaum verwunderlich, gegen tierische Milchprodukte Front zu machen. Die Essenstrends werden daher munter begleitet von Verbotsliebhabern, die vorschreiben möchten, was schon morgen auf dem Speiseplan steht.
Auch wenn es um den Traum des anhaltenden Jungseins geht, die Moral ißt mit. Vegetarische und vegane Empfehlungen bestimmen die medialen Ratschläge. So titelte das Veganer-Magazin VeganBlatt: „Für immer jung: Die 10 besten, verjüngenden Lebensmittel“. In der Auswahl finden sich etwa Nüsse, die mit einem hohen Anteil an Proteinen und gesunden Fetten glänzen können, oder auch Grüner Tee, der mithilfe von Antioxidantien beispielsweise die Hautalterung verlangsamen soll.
Gute Ernährung bringt guten Verdienst – für Influencer
Um die Auswahl zur Perfektion zu führen, fehlt lediglich die Erwähnung von Açaí-Bowls. Das Gericht, zubereitet mit nährstoffhaltigen Açaí-Beeren, findet sich an anderer Stelle massenhaft wieder. In den sozialen Medien wie Instagram propagieren sogenannte Influencer wie Pamela Reif die gesunde Lebensweise. Sie stellen Samen (ein weiterer Trend des Jungkochens), Nüsse und Beeren in ihren Beiträgen so zur Schau, daß sie damit nicht nur Tausende Likes bekommen, sondern auch lukrative Sponsorenverträge. Denn: Mit der bestmöglichen Ernährung darf selbstverständlich auch ein bestmöglicher Verdienst einhergehen.
Jedoch scheint sich nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung dem eingeschränkten Lebensstil verschrieben zu haben. Laut dem Meinungsinstitut Allensbacher bezeichneten sich 2021 nur knapp 1,6 Millionen Bundesbürger als Veganer, also nur zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Anzahl der Vegetarier liegt mit 7,5 Millionen zwar deutlich darüber, zugleich bedeutet das jedoch auch nur einen kleinen Anteil von neun Prozent aller Deutschen.
Es gibt Hoffnung für die Milch
Einfachere Tipps zur bestmöglichen Ernährung gibt etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Wichtig sei eine vielfältige Ernährungsweise, die durch Obst und Gemüse ergänzt wird. Auch tierische Produkte stehen auf der Liste und geringe Mengen Fleisch werden nicht ausgeschlossen. Es gibt selbst für die Milch noch Hoffnung: „Der regelmäßige Verzehr von Milch und Milchprodukten unterstützt die Knochengesundheit und ist darüber hinaus mit einem verringerten Risiko für Dickdarmkrebs verbunden.“ Zudem legten aktuelle Erkenntnisse nahe, daß der tägliche Verzehr von einer Portion fermentierter Milchprodukte wie Joghurt oder Buttermilch das Risiko für Diabetes Typ 2 senken könnte.
Die widersprüchlichen Empfehlungen beweisen, daß der Weg zur idealen Ernährung steinig ist. Bei aller Liebe zu Trends sollte dabei eine Erkenntnis nicht auf der Strecke bleiben: Am Ende des Weges steht der Tod eines jeden Menschen, ungeachtet davon, wie viele Açaí-Bowls er in seinem Leben verspeist hat.
Auch die griechische Mythologie führt uns das vor Augen. Als andere Menschen sich mit dem Wissen der Medea verjüngen wollten, veränderte sie die Formel des Tranks und führte sie damit schließlich nicht in das ewige Leben, sondern in den Tod. Die Erzählung ist alt, der Kern der Geschichte aktuell: Das Eifern nach allzeitigem Jungsein führt schließlich doch ins Grab.