Uwe Tellkamp wurde eine Lesung abgesagt. So etwas kommt schon mal vor. Gründe dafür kann es viele geben. Mangelndes Publikumsinteresse, Krankheit des Veranstalters oder eines wichtigen Teilnehmers, behördliche Anordnungen wegen Verstößen gegen die Brandschutzbestimmungen und so weiter und so fort. Nur selten mußte eine solche Literaturveranstaltung in der Vergangenheit abgesagt werden, weil der Lesende eine bestimmte Meinung hatte.
Vielmehr erwartete man von einem Angehörigen der schreibenden Zunft einst sogar, daß er ein Denker ist. Meinungsstarke, auch kontroverse Äußerungen, gehörten früher einmal sozusagen zur Berufsbeschreibung eines Literaten. In jüngster Zeit gilt selbständiges Denken aber, auch bei Berufsdenkern, immer mehr als Manko. Zumindest dann, wenn der Denker dabei zu einem falschen, weil unerwünschten Ergebnis kommt.
Der Kulturbetrieb hat mit Tellkamp gebrochen
Aus genau diesem Grund wurde jetzt eine für diesen Donnerstag geplante Zusage für die Lesung im Lingnerschloss in Dresden, wo Tellkamp aus seinem noch unveröffentlichten neuen Roman lesen wollte, zurückgenommen. Der dort ansässige Förderverein hat sich auf einmal an sein politisches Neutralitätsgebot erinnert. Vor allem haben sich die Verantwortlichen aber wohl daran erinnert, daß es sich bei dem erst ein- und dann wieder ausgeladenen Starschriftsteller um jemanden handelt, der den Ruf hat, ein Konservativer zu sein.
Außer Acht gelassen haben die neutralen Schloßwächter dagegen, daß es sich bei dem Buch, aus dem Tellkamp bei ihnen lesen sollte, nicht um ein politisches Manifest, sondern eben um seinen neuen Roman handelt. Wahrscheinlich hatten die Vereinsoberen Angst, daß darin politische Botschaften versteckt ein könnten, wohlwissend, daß sie intellektuell nicht in der Lage wären, diese zu erkennen.
Uwe Tellkamp gilt als einer der bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwartsliteratur. Vielfach mit Preisen ausgezeichnet, gehörten er und seine Bücher viele Jahre zu den absoluten Lieblingen, sowohl des Publikums als auch der Kritiker und der Kulturschickeria. Beim Publikum ist der Schriftsteller bis heute äußerst beliebt. Der bundesrepublikanische Kulturbetrieb hat dagegen zu weiten Teilen mit ihm gebrochen. Grund: Tellkamp will nicht mitmachen beim in diesen Kreisen so beliebten, einheitlichen Einprügeln auf alles was nicht links ist.
„Gemeinsame Erklärung 2018“
2017 gehörte er zu den Erstunterzeichnern „Charta 2017“, einer Online-Petition der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, die sich gegen die Ausgrenzung rechter und konservativer Verlage auf der Frankfurter Buchmesse richtete. Im folgenden Jahr setzte er dann noch einen drauf, indem er mit einwanderungskritischen Äußerungen von sich reden machte und das Fehlen einer echten Meinungsfreiheit seit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 kritisierte. In Deutschland gebe es einen „Gesinnungskorridor zwischen gewünschter und geduldeter Meinung“. Seine Meinung sei „geduldet, erwünscht ist sie nicht“, sagte Tellkamp damals.
Es geschah, was in solchen Situationen immer geschieht: Die breite linksliberale Medienöffentlichkeit bescheinigte dem Andersdenkenden, wie unrecht er mit seinen Thesen zur angeblich eingeschränkten Meinungsfreiheit doch habe, um dann, mit viel Aufregung und Schaum vor dem Mund, für jeden, der es sehen will, zu bestätigen, wie recht er hat. Der Suhrkamp Verlag distanzierte sich auf Twitter öffentlich von seinem Erfolgsautor und in den deutschen Feuilletons entbrannte ein regelrechtes Anti-Tellkamp-Feuer, das auch seine bis dato gefeierte Belletristik nicht unberührt ließ.
Der so gescholtene Autor tat, davon weitgehend unbeeindruckt, weiter das, was früher einmal zum Wesen eines Literaten und Intellektuellen gehörte. Er erlaubte es sich, einen eigenen Kopf zu haben und der Gesellschaft neue Denkanstöße zu geben. Gemeinsam mit Henryk M. Broder, Matthias Matussek, Thilo Sarrazin, Jörg Friedrich und Uwe Steimle gehörte er zu den Erstunterzeichnern der „Gemeinsamen Erklärung 2018“, in der es unter anderem heißt: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, daß die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Schriftstellerverband distanziert sich
Spätestens von diesem Zeitpunkt an war der Dresdner für seine einstigen Freunde und Schulterklopfer einer von „denen“ geworden. Ein Teil der „Neuen Rechten“. Der konservativen, reaktionären Szene. Ein Rechtspopulist. Ein Hetzer und geistiger Brandstifter. Der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) verurteilte die Erklärung und ließ die abtrünnigen Denker in einem vor Rührseligkeit triefenden und für einen Literaturklub unwürdig flachen und banalen Statement wissen, daß es „kein einziges Problem“ löse, „die Schwächsten … zu Sündenböcken“ zu machen.