Die Debatten um die Grenzen des Sagbaren und die Auswirkungen der sogenannten „Cancel Culture“ reißen derzeit nicht ab. Vor knapp zwei Wochen hatte auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) zu einer Live-Diskussion auf Youtube geladen, die sich des Themas annahm. Was darf man heute noch sagen? Was ist schon nicht mehr erlaubt? Wie gehen die Betroffenen damit um? Zu Gast waren unter anderem Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) und die Chefredakteurin des Philosophie Magazins, Svenja Flaßpöhler. Moderiert wurde die Diskussion vom YouTuber und Autor Gunnar Kaiser, der kürzlich gemeinsam mit dem Journalisten Milosz Matuschek einen „Appell für die Meinungsfreiheit“ gestartet hatte.
Die Diskussion verlief ruhig, sachlich und bot einige interessante Denkansätze. So weit, so unspektakulär. Einige Tage später aber meldeten sich anonyme Twitter-User und markierten den Account der FNS. „Kaiser ist quer abgebogen und nach rechts so weit offen, daß man einen Flugzeugträger darin parken könnte“, behauptete ein Nutzer. „Wow. Ist dem so, FNS?“, fragte ein anderer.
Die sich liberalen Ideen verpflichtete Friedrich-Naumann-Stiftung bleibt stumm
Am 11. Dezember ging die Stiftung tatsächlich darauf ein. Man prüfe die Hinweise. Am gestrigen Montag fiel dann die Entscheidung: „Wir haben die Person Gunnar Kaiser aus gegebenem Anlaß sehr intensiv überprüft und müssen zur Kenntnis nehmen, daß Herr Kaiser mit rechtspopulistischem und verschwörungstheoretischem Gedankengut arbeitet.“ Harte Vorwürfe, die jedoch mit keinem Beleg unterfüttert wurden. Auch Nachfragen von Twitter-Usern blieben erfolglos. Die sich liberalen und freiheitlichen Ideen verpflichtete FNS blieb stumm und versuchte den einsetzenden Shitstorm auszusitzen.
Wir haben die Person Gunnar Kaiser aus gegebenem Anlass sehr intensiv überprüft und müssen zur Kenntnis nehmen, dass Herr Kaiser mit rechtspopulistischem und verschwörungstheoretischem Gedankengut arbeitet. Es ist unser Versäumnis, dass wir bei der Auswahl der…(1/2)
— Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (@FNFreiheit) December 14, 2020
Kaiser gab auf seinem Telegram-Kanal an, „von der Friedrich-Naumann-Stiftung weder befragt noch mit konkreten Vorwürfen konfrontiert“ worden zu sein. Er werde sich für die Anschuldigungen, „die so unbegründet wie hanebüchen sind“, nicht rechtfertigen. Zugleich belustigte er sich über die FNS, die sich von Twitter-Trollen „wie eine Kuh am Nasenring durch die Manege“ ziehen lasse.
Tatsächlich ist Gunnar Kaiser alles andere als rechts, sondern gilt als klassischer Libertärer. In einem ausführlichen Video legte er sich etwa mit der Identitären Bewegung an und kritisierte ihren kollektivistischen Grundgedanken. Der Unterschied zu Linken ist bei ihm jedoch: Er redet mit Rechten. So etwa lieferte er sich auch mit IB-Frontmann Martin Sellner einen sehenswerten Schlagabtausch, der qualitativ die meisten Formate im öffentlich-rechtlichen TV um Längen übertraf. Gesprächsbereitschaft scheint heutzutage jedoch bereits verdächtig zu sein. Gleichzeitig tritt Kaiser in seinen Videos immer wieder als scharfer Kritiker der Corona-Maßnahmen auf. Ob hier der Grund für den Vorwurf „verschwörungstheoretisch“ liegt? Die FNS schweigt weiter beharrlich.