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Kritik an Interview-Aussagen: „Viva Hate“ – Morrissey erhitzt erneut die Gemüter

Kritik an Interview-Aussagen: „Viva Hate“ – Morrissey erhitzt erneut die Gemüter

Kritik an Interview-Aussagen: „Viva Hate“ – Morrissey erhitzt erneut die Gemüter

Morrissey
Morrissey
Morrissey: Heute ein ein „cult artist“ Foto: picture alliance / empics
Kritik an Interview-Aussagen
 

„Viva Hate“ – Morrissey erhitzt erneut die Gemüter

Die britische Pop-Legende Morrissey hat der Presse den Kampf angesagt und veröffentlichte ein aufsehenerregendes Interview auf seiner eigenen Webseite. Londons Bürgermeister sei unfähig, sich zu artikulieren, Theresa May inkompetent und London ein Hort von Mord und Terror, heißt es etwa darin. Die Aufregung über seine Aussagen ist dennoch übertrieben. Der „cult artist“ benennt Probleme, die in seinem Heimatland allzu oft verschwiegen werden.
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Londons Bürgermeister Sadiq Khan ist unfähig, sich zu artikulieren. Theresa May ist inkompetent. London ist ein Hort von Mord und Terror. Diese und andere Ansichten äußerte die britische Pop-Legende Morrissey in einem jüngst auf seiner Webseite veröffentlichtem Interview. Und weiter: Die traditionellen Parteien der Konservativen und Labour sind nutzlos und schädigen Groß-Britannien. Das Schächten von Tieren ist barbarisch. Hitler war ein Linker. Gräueltaten von Einwanderern werden im Interesse der Political Correctness ignoriert.

Der Brexit wird von der EU behindert. Islamismus ist ein Problem. Meinungsfreiheit besteht praktisch nicht mehr. Alles und jeder ist heute rassistisch, denn das erspart eine ernsthafte Diskussion. „Viva Hate“ total, wie schon sein erstes Soloalbum aus dem Jahr 1988 hieß. Wie bei allen öffentlichen Äußerungen des Sohns irischer Einwanderer zogen auch diese Entrüstung und Verurteilung nach sich. Morrissey sei ein Rechtspopulist, ein Rassist- und gar ein „Ex-Dandy“, wie das deutsche Branchenmagazin Rolling Stone befand.

Ein Leben als Provokateur

Der Kenner allerdings reibt sich verdutzt die Stirn, das kenne man doch. Steven Patrick Morrissey ist seit seinem Debüt 1983 mit seiner damaligen Band The Smiths nicht nur als herausragender Songschreiber, sondern auch als unerschrockener und gewitzter Verfechter des freien Wortes bekannt. Legendär sind seine verbalen Salven gegen die britische Monarchie, Margaret Thatcher und belanglose Pop-Musik, sein Leiden am Verschwinden britischer Lebensweise wie auch sein radikaler Einsatz für Tierrechte.

Vorwürfe des Rassismus und Nationalismus verfolgen ihn schon seit 30 Jahren. So posierte Morrissey 1992 mit dem Union Jack und zeigte in „National Front Disco“ Mitgefühl mit einem jungen Neo-Nazi, den er als verlorenen Jungen darstellt. Spätere Songs wie „Irish Blood, English Heart“ halfen dem Image nur noch – ungeachtet der Tatsache, daß Morrissey zu diesem Zeitpunkt England schon lange den Rücken gekehrt hatte. Die aktuelle Aufregung steht demnach nur für Kontinuität. Überhaupt, genau zu lesen lohnt sich.

Austeilen nach allen Seiten

Denn auch der rechte Flügel muß den Zorn des erklärten Veganers spüren. UKIP habe sich selbst abgeschafft, Nigel Farage eine Enttäuschung. Das politische System ist ein „moral disaster“, Wahlen vergeblich.

Die Tories seien genauso schlimm wie Labour, denn auch sie unternähmen nichts gegen die Beschneidung von Mädchen oder Kinderehen, bewahrten nicht die britische Identität. Wie auch dieses Interview zeigt, sind vor allem Tierrechte im Fokus des Kindes aus der Arbeiterschicht von Manchester. Seine Kritik an religiös begründeten Schlachtmethoden nimmt breiten Raum ein. Liest man weitere Aussagen jüngster Zeit, teilt er ebenfalls die hysterische Reaktion vieler Linker gegenüber Präsident Donald Trump: Er würde ihn zum Wohle der Menschheit umbringen. So ist die derzeitige Aufregung etwas befremdlich, bedenkt man Morrisseys Vergangenheit.

Schon in den 80ern sah er sich als Prophet des „4th Gender“, einer Alternative zu Mann und Frau. Als Teenager begeisterte sich der Nord-Engländer für Ideen des radikalen Feminismus und kokettierte mit seiner unbestimmten Sexualität. Männliche Ikonen wie James Dean oder Terence Stamp sind bis heute Bestandteil seiner Ikonographie, verewigt auf Plattencovern und Bühnenbildern. Ein wenig Recherche würde verraten, daß „Moz“ den selbsterklärten Progressiven unserer Tage doch einiges bieten könnte. Erstaunlich ist indes seine plötzliche Milde gegenüber dem britischen Königshaus.

Im Auge des Betrachters

Das Interview selbst ist eigentlich wenig spektakulär. Morrissey beklagt, immer noch vorrangig mit The Smiths assoziiert zu werden, und die angeblich generelle Unfairness der Presse. Der Interviewer, mutmaßlich ein Fan, stellt wenig kritische Fragen und schmiert Morrissey Honig um den Mund. Nach Jahren der Negativerfahrung gebe er der Presse keine Auskunft mehr, sondern kommuniziere allein über seine Kanäle. Kritische Nachfragen sind also auch künftig nicht zu erwarten. Der heutige Morrissey ist als „cult artist“ anzusehen – ein Künstler, der vor allem auf seine eingeschworene Fangemeinde vertraut. Mittlere Hits wie aktuell „Spent The Day In Bed“ gelingen ihm noch, aber Klassiker wie „Every Day Is Like Sunday“ oder gar die Kostbarkeiten der Smiths sind nicht mehr dabei.

In Zeiten der absterbenden Relevanz des Pop ist auch ein Morrissey vor allem öffentliche Figur, welche öffentliches Interesse generieren muß. In diesem Zusammenhang muß er doch gelobt werden: Er benennt Probleme, die in seinem Heimatland allzu oft verschwiegen werden und flüchtet nicht in allgemein verträgliche Allgemeinplätze, er legt Finger in viele Wunden und sagt das Unsagbare. Daß er dabei die Sensibilitäten der Pop-Kenner ignoriert, ist nur im guten Sinne des notorischen Provokateurs. Wie ernst man seine Aussagen letztendlich nehmen soll, ist seinen Fans und Kritikern überlassen. Why don’t you find out for yourself?

Morrissey: Heute ein ein „cult artist“ Foto: picture alliance / empics
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