Das Finkenbachfestival, auch „Woodstock im Odenwald“ genannt, ist Angehörigen der jüngeren Generationen vermutlich kein Begriff mehr. Dabei wird es am 8. und 9. August dieses Jahres sogar eine kleine Sensation geben: das Comeback der deutschen Band Guru Guru, einem Urgestein des Krautrock. Krautrock? Ja, auch diesen Begriff muß man den Zoomern vermutlich erstmal erklären …
Am Ende der sechziger Jahre entdeckten Musikpioniere in Westdeutschland nämlich eine bis dahin ungehörte Spielart von Rockmusik. Sie verließen die ausgelatschten Trampelpfade des Rock ’n’ Roll und experimentierten mit psychedelischen Sounds und ebensolchen Substanzen. Beeinflußt wurden sie von Bands wie Hawkwind und Pink Floyd sowie dem avantgardistischen Krach-Komponisten Karlheinz Stockhausen. Daraus erwuchs ein eigenes Genre.
Damals bewarb eine Musikagentur mit Sitz in Frankfurt am Main ihre Künstler in einer US-Musikzeitschrift mehr oder weniger ironisch als „Krautrock“ – abgeleitet von „Krauts“, jenem Wort, mit dem britische und amerikanische Soldaten im Krieg ihre teutonischen Gegner bedacht hatten. Die britische Musikpresse übernahm das Etikett mit dem Tonfall von Hohn und Häme, schließlich galt Rockmusik „made in Germany“ als etwas völlig Unmögliches. Die deutschen Musiker selbst hatten – für Deutsche eher ungewöhnlich – noch kein Schubladen-Schlagwort für ihre neue Welle gefunden.
In West-Berlin verwob sich die Szene mit der linken APO
Wenn, dann bezeichneten sie den neuen Sound als „kosmische Musik“. Und so hörte sich das Ganze auch an: Sphärische Klänge, sich wiederholende Sequenzen, elektronische Töne, mysteriöse Texte. Musikstücke von über zwanzig Minuten Länge waren keine Seltenheit. Bald kokettierte man allerdings in einer Art ironischem Stolz mit dem Label „Krautrock“.
„Wir waren auf der Suche nach unserer eigenen Identität. Es war uns ein Bedürfnis, etwas Eigenes zu machen“, erklärt Lothar Stahl, Bassist der Formation Embryo, in einer Buchdokumentation. So obskur wie die Musik war auch die Namensgebung der Formationen: Amon Düül, Popul Vuh, Guru Guru, Wallenstein, Ash Ra Tempel, et cetera.
Die Gruppe Wallenstein gründete sich übrigens als Blitzkrieg. Der Name erschien der Plattenfirma jedoch zu brisant, so wich man auf den Militär aus dem Dreißigjährigen Krieg aus, dessen große Biographie von Golo Mann gerade erschienen war. Besonders in West-Berlin verwob sich die Musikszene mit der linksradikalen Polit- und Drogensekte der „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO).
Popul Vuh schufen die Filmmusik für Werner Herzog
So wie diese in einer heißen Dauer-Debatte über den „richtigen“ Kommunismus steckte, kam es auch in der Krautrockszene zu Richtungsstreit. Zum Beispiel bei Amon Düül: Da man sich nicht auf ein musikalisches Konzept einigen konnte – die einen wollten leicht experimentiellen Rock spielen, die anderen rein avantgardistische Experimentalmusik – ,bestanden fortan zwei Bands desselben Namens: „Amon Düül“ und „Amon Düül II“…
Andere waren erfolgreicher: Die Münchner Popul Vuh schufen die Filmmusik von Werner Herzog-Klassikern wie „Nosferatu“ (1979), „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972) oder „Herz aus Glas“ (1976). Die Berliner von Tangerine Dream konnten sich in England durchsetzen und traten sogar im Londoner Victoria Palace auf. Dabei wurde ihre Musik von einem „Video-Synthesizer“ visuell unterstützt. Jedes Konzert war Improvisation, es war kein Auftritt wiederholbar.
Die Krautrockvertreter experimentierten viel mit Effektgeräten und elektronisch erzeugten Klängen. Effekte wie Echos oder Loops mußten damals analog generiert werden. Das historische Equipment ist anhand des Studios von Can zu besichtigen, das im Rock- und Popmuseum im westfälischen Gronau ausgestellt ist. Can erlangten mit ihren Spontankompositionen internationale Beachtung. Viele spätere Künstler wie Westbam zählten Can zu ihren Einflüssen. Die Band produzierte 1970 die Musik zur fiktiven Reality-Show „Das Millionenspiel“ um eine Menschenjagd. Die Skandalsendung schrieb Fernsehgeschichte.
Krautrock war kein bißchen amerikanisch oder cool
Auch Kraftwerk verbuchten internationale Anerkennung. Die vier Düsseldorfer trieben die Abkehr von klassischen Instrumenten hin zu maschinellen Klängen auf die Spitze. Ihr Elektro-Pop gilt als Urahn des Techno und inspirierte spätere Top-Künstler wie die Briten Depeche Mode. Im Filmklassiker „The Big Lebowski“ von 1998 betrachtet der Hauptdarsteller das Plattencover einer fiktiven Band namens „Autobahn“ – eine augenzwinkernde Hommage an Kraftwerk.
Das internationale Publikum faszinierte am Krautrock gerade, daß er kein bißchen amerikanisch cool war, sondern ernsthaft, intellektuell-versponnen, romantisch, höchst innovativ. So wurden die Krautrocker im Ausland genau als das wahrgenommen, was sie eigentlich keinesfalls sein wollten: Eine typisch teutonische Angelegenheit, inklusive ideologischer Aufladung und Richtungsstreit um eine „reine Lehre“. Heute, über ein halbes Jahrhundert nach 1968, ist der Mief der linken Politisierung verflogen und Krautrock ein spannendes genuin eigenes Kapitel der deutschen Musikgeschichte.