Schon von weitem sticht der „Lulatsch“, der Schornstein des ehemaligen Heizkraftwerks Nord, den Besuchern der Stadt Chemnitz ins Auge: Mit über 300 Metern erhebt sich die alte Esse über Industriebrachen und Umspannwerke am Stadtrand des „sächsischen Manchester“. Schon 2013 hatte der französische Konzeptkünstler Daniel Buren damit begonnen, das Kronjuwel des heutigen „Purple Path“, eines Kunstwanderwegs quer durch Westsachsen, farbenfroh zu gestalten.
Nach dem zweiten Farbring von oben, in kräftigem Lila gehalten, erwarb selbiger Pfad auch seinen Namen. Was Buren dem Publikum mit seiner Installation beweisen wollte: Fabrikmetropolen müssen nicht zwangsweise grau sein – und die Stadt Chemnitz bleibt auch nach ihrem industriellen Niedergang noch bunt und lebensfroh. So die Theorie.
Tatsächlich stand die westsächsische Großstadt vor etlichen Herausforderungen, um in diesem Jahr zur „Kulturhauptstadt Europas“ – ein Titel, vergeben von der Europäischen Union – ernannt zu werden. Immerhin erstritten sich auch Touristenmagnete wie Magdeburg und Nürnberg einen Platz in der Endauswahl. Und wer Chemnitz einmal selbst bereist hat, der weiß: Weder architektonisch noch kulturell sticht die Stadt am gleichnamigen Fluß in besonderer Weise hervor.
Die politische Schlagseite ist nicht überraschend
Vereinzelt finden sich zwar hübsch restaurierte Kirchen und schmucke Gründerzeithäuser. Doch Glas- und Betonfassaden im Allerweltsstil durchbrechen selbst in der Innenstadt allerorts das ästhetische Ensemble der Chemnitzer Baugeschichte. Daß Chemnitz den begehrten Kulturtitel trotzdem errungen hatte, mochte sogar viele Sachsen überrascht haben.
Was weniger überraschte, war die der Nominierung folgende politische Schlagseite der Festveranstaltungen. „Selbstverständlich sind wir stolz darauf, daß unser Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas auserwählt wurde“, erklärt Thomas Kirste, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag. „Allein der Fokus der Veranstalter auf dezidiert linke Projekte gibt dem Kulturjahr einen fragwürdigen Beigeschmack. Es ist zu bezweifeln, daß die Veranstalter hierdurch dem internationalen Publikum einen unverfälschten Blick auf unseren freiheitlich-konservativ geprägten Freistaat gewähren – oder doch eher die Ideologie der Realität vorziehen.“
Mit über 90 Millionen Euro wurden die Vorbereitungen zur Festivität von der öffentlichen Hand gefördert, darunter allein 25 Millionen Euro vom Freistaat Sachsen. Im Sächsischen Landtag entbrannte am 13. Februar eine lebhafte Debatte über die Schwerpunkte der Ausrichtung.
Antworten liefern sollte die „Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 GmbH“
Und während die AfD sich gegen die gezielte politische Vereinnahmung des Geschehens von links verwehrte, forderten die Grünen gerade dies: „Mit den Mitteln der Kunst“ solle „ein starker Gegenimpuls“ erzeugt werden, so die Grünen-Abgeordnete Claudia Maicher, selbstverständlich nur gegen rechten Extremismus. Auch die Frage, was der Stadt Chemnitz von ihrem teuer erkauften Titel für die Zukunft bleibt, wenn die Veranstaltungsreihe im November ihre Tore schließt, fand in der Debatte keine Beantwortung.
Antworten liefern können sollte eigentlich – nach fünf Jahren Vorbereitungszeit – die „Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 GmbH“. Im Frühjahr 2020 gegründet, firmiert die stadteigene Gesellschaft symbolhaft in einer restaurierten Fabrikhalle, leitet von hier aus das Kulturhauptstadtjahr und besitzt, vom Steuerzahler finanziert, sogar einen eigenen Pressestab.
Das offizielle Leitbild lautet „Offenheit und Toleranz“
Als kommunales Unternehmen, so beschied der Bundesgerichtshof bereits 2017 infolge einer „Correctiv“-Klage, ist diese Gesellschaft zur Beantwortung von Presseanfragen verpflichtet. Eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT zu nachhaltigen und politischen Aspekten der Veranstaltung blieb jedoch auch zwei Wochen später noch unbeantwortet; die auf telefonische Nachfrage versprochene Rückantwort erfolgte ebenfalls nie.
Erst ein spontaner Vorortbesuch verschaffte Klarheit: Man wisse nichts über Besucherzahlen und Besucherzufriedenheit, so der Pressereferent, oder auch die finanzielle Ausstattung. Ob unvorbereitet oder schlicht nicht gesprächsbereit? Man kann nur raten. Eine nachgereichte Website proklamierte erwartbar ein Leitbild von Toleranz und Offenheit, von Diversität und Gendersprache mit Doppelpunkt. Ganz dieser Linie treu, glänzen im Bücherregal der hauseigenen Leseecke Karl Marx’ gesammelte Werke.
Zurück in der Chemnitzer Innenstadt, wo sich ein älteres französisches Ehepaar über die monumentale Karl-Marx-Büste, den berühmten „Nischel“, erheitert. Vor dem Antlitz des Trierer Kommunisten fand wie zufällig im Februar auch die Eröffnungsfeier statt. Eine Begrünung des Vorplatzes zu Marx’ Ehren hatte der Chemnitzer Stadtrat allerdings abgelehnt. Protegiert wurden dafür schon in den Vorjahren mehrere Ausstellungen aus dem Umfeld der „Antifa“, auch aus sächsischen Steuertöpfen.
Das Fest hat auch positive Seiten
Und selbst in der sehenswerten, weil schockierenden Exhibition zur NSU-Terrorgruppe, deren Akteure in Chemnitz untergetaucht lebten, dürfen die obligatorischen Seitenhiebe auf die AfD nicht fehlen. Schließlich wurde die Partei nur vier Jahre nach dem Ende des NSU gegründet.
Bei all der Politisierung des Kulturhauptstadttitels durch die Veranstalter lassen sich beinahe die positiven Aspekte der Chemnitzer Festivität vergessen: Die zahlreichen Ausstellungen zur Industrie- und Bergwerkgeschichte, betrieben von 38 umliegenden Gemeinden.
Eine koreanische Künstlerin gedenkt ihres erkrankten Mannes
Der „Purple Path“, dessen Glanzstück sicher die Vaseninstallation von Young-Jae Lee in der St. Jacobi-Kirche darstellt. Die Koreanerin gedenkt mit ihren zerbrochenen Vasen in eindrucksvoller Weise der Alzheimererkrankung ihres Mannes.
Und natürlich die Gemäldeausstellung „European Realties“ im Museum Gunzenhauser, wo sich neben bedeutenden europäischen und US-amerikanischen Malern des Neorealismus auch zahlreiche deutsche Vertreter mit, wenn auch nicht Chemnitzer, doch zumindest sächsischen Wirkungsorten finden, so wie Otto Dix, Kate Diehn-Bitt und, als mahnendes Beispiel der deutschen NS-Geschichte, Gerhard Keil. Der Fokus auf diese Ausstellungen stünde Chemnitz deutlich besser im nachhaltigen Umgang mit seinem Kulturtitelerbe.