Anzeige
Anzeige

Neue JF-Reihe: Konservative Klassiker: Russel Kirk über Ruhe und Wandel

Neue JF-Reihe: Konservative Klassiker: Russel Kirk über Ruhe und Wandel

Neue JF-Reihe: Konservative Klassiker: Russel Kirk über Ruhe und Wandel

New York Anfang des 20. Jahrhunderts, eingefangen vom amerikanischen Maler George Bellows („Men oft the Docks“): Für Konservative ist das Verhältnis zum historischen Wandel eine Kernfrage Bild: picture alliance / Photoshot | -
New York Anfang des 20. Jahrhunderts, eingefangen vom amerikanischen Maler George Bellows („Men oft the Docks“): Für Konservative ist das Verhältnis zum historischen Wandel eine Kernfrage Bild: picture alliance / Photoshot | -
New York Anfang des 20. Jahrhunderts, eingefangen vom amerikanischen Maler George Bellows („Men oft the Docks“): Für Konservative ist das Verhältnis zum historischen Wandel eine Kernfrage Bild: picture alliance / Photoshot | –
Neue JF-Reihe
 

Konservative Klassiker: Russel Kirk über Ruhe und Wandel

Wie eine Bombe schlägt das Buch „The Conservative Mind“ über die Geschichte des Konservatismus in den Vereinigten Staaten 1953 ein. Autor ist der bis dahin völlig unbekannte Russel Kirk, der seither zu den großen Intellektuellen des Landes zählt. Die JF hat seine Einführung in den Konservatismus übersetzt.
Anzeige

In der Artikelreihe „Vergessene Klassiker konservativer Zeitkritik“ stellt die JUNGE FREIHEIT fremdsprachige Grundlagentexte des Konservatismus vor. Den Anfang macht der amerikanische Philosoph Russell Kirk (1918–1994). Mit seinem Schaffen hat dieser maßgeblich zum konservativen Revival in den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Sein 1953 erschienenes Opus magnum „The Conservative Mind“ machte den Sohn eines Eisenbahnarbeiters über Nacht landesweit berühmt. In der mehrere hundert Seiten langen Abhandlung rekonstruierte Kirk die Geschichte des englischsprachigen Konservatismus vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, was diesem neues Selbstbewußtsein verlieh. 1989 wurde er für sein Lebenswerk von US-Präsident Ronald Reagan ausgezeichnet. Die JUNGE FREIHEIT hat Auszüge aus seinem „Concise Guide to Conservatism“ (Regnery Publishing) übersetzt.

Die wohl anschaulichste Definition eines Konservativen findet sich bei Ambrose Bierce im „Devil’s Dictionary“: „Ein Konservativer ist ein Staatsmann, der sich für den Erhalt bestehender Übel einsetzt. Ihm entgegengesetzt ist der Liberale, der diese durch andere Übel ersetzen will.“ Und tatsächlich steht der Konservative für ein Gefühl der Zuneigung zur Vergangenheit, für die Kraft der Ruhe in der Gesellschaft. Der Liberale hingegen feiert die Zukunft und den Wandel in ihr. Weil er eine tiefgreifende Veränderung der bestehenden Ordnung herbeisehnt, ist er meistens etwas aktiver als sein konservativer Gegenspieler.

Für gewöhnlich ist es der Liberale, der Streitschriften veröffentlicht und Massenbewegungen organisiert. Der Konservative hingegen neigt – solange er nicht durch drohende Umstürze aufgeschreckt oder durch den Verfall der Gesellschaft alarmiert wird – eher dazu, auf die gesellschaftlichen Kräfte der Gewohnheiten und Bräuche zu vertrauen. Es ist eben diese Neigung, die John Stuart Mill dereinst als Vorwand gedient hat, um die Konservativen als „Partei der Dummköpfe“ zu bezeichnen.

„Wenn Konservative Narren sind, bin ich dann konservativ, weil ich ein Narr bin?“

Ganz in diesem Sinne entschuldigt sich der junge Lord Silverbridge aus dem Roman „The Duke‘s Children“ von Anthony Trollope bei seinem Vater dafür, daß er der konservativen Partei beigetreten ist: „Ich weiß, daß ich im Vergleich mit sehr vielen anderen Menschen ein Narr bin. Vielleicht bin ich deshalb ein Konservativer. Die Radikalen sagen immer, daß alle Konservative Narren sind. Wenn aber Konservative Narren sind, dann müssen Narren wie ich im Umkehrschluß doch konservativ sein.“

Wenn der nachdenkliche Konservative durch die Wucht der Ereignisse aber dennoch zu ernsthaften Überlegungen und entschiedenem Handeln veranlaßt wird, so entwickelt er schon sehr bald eine seine Widersacher verblüffende Wirksamkeit. Für diese energische Schaffenskraft sind Männer wie Cicero während des Zusammenbruchs der römischen Republik, Falkland während der englischen Bürgerkriege, Burke während der Französischen Revolution oder auch John Adams in den ersten Tagen der amerikanischen Republik die anschaulichsten Beispiele.

Die Partei der Dummköpfe

Und auch heutzutage kann man beobachten, daß die von der Bedrohung durch den totalitären Staat auf den Plan gerufenen Konservativen eine beträchtliche Wirkung entfalten. Natürlich gibt es auch dumme Konservative, genauso, wie es auch dumme Liberale und wie es dumme Radikale gibt. Das heißt aber noch lange nicht, daß man die Konservativen allein schon deshalb als „die Partei der Dummköpfe“ bezeichnen könnte. In der Debatte wurde angemerkt, daß Konservatismus im Grunde eine Form der Freude sei. Der Konservative ist felsenfest davon überzeugt, daß das Leben trotz aller seiner Widrigkeiten letztlich eine gute Sache ist. Und daß die Gesellschaft ihren vielen Fehlern zum Trotz doch vernünftig eingerichtet ist.

Da der Konservative also sowohl sein Leben als auch die Gesellschaft, in der er lebt, liebt, verweigert er sich der besinnungslosen Sehnsucht des Radikalen, der Welt ein neues Antlitz zu verleihen. Der Konservative denkt nicht, daß wir in der schlechtesten aller möglichen Welten leben. Und er geht auch nicht davon aus, daß es möglich ist, aus dieser eine perfekte Welt zu machen. Die Konservativen sind nur insofern die Partei der Dummköpfe, insofern die Radikalen auf der anderen Seite die zwanghafte Partei sind. Das soll heißen, daß die Konservativen nur in dem Grad zu Trägheit und Stumpfsinn neigen, in dem die Radikalen ihrerseits zu Tobsucht und Unzufriedenheit tendieren. „Normalerweise reicht es für den Konservativen aus, einfach nur dazusitzen und nachzudenken“, bemerkt der späte F.J.C. Hearnshaw. Und er beschließt seine Beobachtung mit den Worten: „Manchmal genügt es dem Konservativen aber auch schon, einfach nur dazusitzen.“

Von konservativen Schafen und radikalen Grashüpfern

Burke hat die Konservativen seiner Zeit einmal mit einer Schafherde verglichen, die unter britischen Eichen weidet. Neben den Millionen aufgeregt zirpender Grashüpfer um sie herum wirken die Schafe ziemlich schüchtern und im Grunde fast schon etwas dümmlich. Aber wenn es um ein Zeichen echter Stärke geht, dann sind die radikalen Grashüpfer nichts im Gegensatz zur konservativen Herde. So wie damals ist es im Grunde noch immer. Eine wachsende Anzahl von Konservativen merkt mittlerweile, daß es für sie nicht mehr ausreicht, einfach nur still dazusitzen. Sie fühlen sich dazu getrieben, nachzudenken sowohl als auch zu handeln.

Und ich für meinen Teil denke, daß ihr Tun und Lassen bald schon eine recht beträchtliche Wirkung entfalten wird. Dummheit ist der Hauptvorwurf, den man den Konservativen gemeinhin macht. Dabei ist mit dieser Anschuldigung eigentlich nur der einfache Umstand bezeichnet, daß Konservative nicht an die Kraft abstrakter Pläne, komplizierter Gesetzesvorlagen und grandioser Massendemonstrationen glauben, wenn es darum geht, aus dieser Welt ein Paradies zu machen.

Fortschritt in Großbuchstaben

Ein anderer Vorwurf, der immer wieder gegen die Konservativen erhoben wird, betrifft deren angebliche Feindschaft dem Fortschritt gegenüber. Und diese Anklage ist im Grunde genauso substanzlos wie die vorherige. Denn auch sie beruht im Grunde auf einer unzureichenden Bekanntschaft mit konservativen Ideen. Sobald man tiefer in die Welt konservativer Prinzipien hinabsteigt, wird man unweigerlich feststellen, daß man es die ganze Zeit über mit einem radikalen Zerrbild des Konservatismus zu tun hatte.

Der Konservative widersetzt sich nicht dem Fortschritt als solchem. Er bezweifelt nur, daß es so etwas wie einen allumfassenden – gleichsam in Großbuchstaben gesetzten – mystischen Fortschritt auf der Welt gibt. Wenn sich eine Gesellschaft in gewisser Hinsicht weiterentwickelt, so verfällt sie für gewöhnlich zur selben Zeit in einer anderen. Der Konservative weiß, daß jede gesunde Gesellschaft aus zwei Elementen zusammengesetzt ist, die Coleridge einst als Ruhe und Wandel bezeichnet hat.

Der Ruhezustand in der Gesellschaft wird durch die anhaltenden Wertvorstellungen und Interessen hergestellt, die unserem Leben eine Ordnung und Dauer verleihen. Ohne diesen gesellschaftlichen Frieden versiegen die tiefen Quellen, aus denen sich unser Zusammenleben speist. Dann gleiten wir unweigerlich in einen Zustand der Anarchie ab. Der Wandel wiederum ergibt sich aus dem Bestreben der talentierteren Naturen in unserer Gesellschaft, diese zu reformieren und zu verbessern. Ohne diesen Antrieb versinkt ein Volk unweigerlich in Stillstand und verfällt einer ägyptischen oder peruanischen Lethargie.

Aus dem Fenster springen, um schneller unten zu sein

Der intelligente Konservative versucht daher, den wachsenden Druck des gesellschaftlichen Fortschritts mit dem Verlangen nach Ruhe in der Gesellschaft zu versöhnen. Er denkt, daß der Liberale und der Radikale mit ihren fragwürdigen Plänen für eine strahlende Zukunft das großartige Erbe gefährden, das uns unsere Vorfahren hinterlassen haben. Damit beweisen sie in den Augen des Konservativen nur ihre Blindheit den gerechten Ansprüchen des gesellschaftlichen Beharrungsvermögens gegenüber. Der Konservative tritt also, um es kurz zu fassen, für einen wohl überlegten und maßvollen Wandel ein. Dabei widersetzt er sich dem abstrakten Kult des Fortschritts, für den alles Neue notwendigerweise besser ist als das Alte.

Der Konservative sieht ein, daß stete Veränderung eine gelungene Gesellschaft auszeichnet. Er trägt dafür Sorge, daß nichts in einer Gesellschaft jemals wirklich alt und nichts vollkommen neuartig ist. Für ihn ist das die beste Methode, um das gesellschaftliche Leben zu bewahren. Wieviel Wandel eine bestimmte Gesellschaft braucht und wie dieser Wandel letztlich beschaffen sein muß, hängt dabei immer ganz von dem Zeitgeist ab, der in der fraglichen Gesellschaft herrscht und von den besonderen Umständen, die sie kennzeichnen.

Es ist einer der großen Fehler der Radikalen, daß sie den Wandel auch dann als einen unverzüglichen und zerstörerischen erreichen wollen, wenn er in allmählicher und gemäßigter Form längst eingesetzt hat. Ein Beispiel hierfür ist die Französische Revolution: Die Franzosen waren, wie Tocqueville über seine Landsleute schreibt, „schon auf halben Wege die Treppe heruntergelaufen, als sie es sich plötzlich anders überlegten und aus dem Fenster sprangen, um schneller unten zu sein“.

Sich vom Wandel nicht täuschen lassen

Der Konservative läßt sich vom Wandel hingegen selbst dann nicht beirren, wenn dieser allumfassend erscheint. Er weiß, daß einige der bedeutsamsten Dinge auf der Welt unveränderlich bleiben. Und er hält es darum auch für hochgefährlich, etwas zu verändern, was sich einfach nicht verbessern läßt. In den Augen des Konservativen können wir weder die menschliche Natur noch die zehn Gebote, noch unsere Verfassung zum Besseren verändern. Die einzige Form der menschlichen Besserung ist die innerliche, die der Mensch aber für sich selbst erreichen muß. Wir werden auch keinen anderen als den göttlichen Maßstab in Fragen der menschlichen Tugenden finden. Und ein anderer Staat als der, den uns unsere gemeinsame Geschichte und unser besonderes Temperament geschenkt hat, steht uns auch nicht zur Verfügung.

Russell Amos Kirk (1918–1994), Philosoph aus den Vereinigten Staaten, schrieb neben wegweisenden Studien zur amerikanischen Politik auch mehrere Romane. Sein Denken war insbesondere dem Werk des britischen Konservativen Edmund Burke verpflichtet.
Kurzbiographie: Russell Amos Kirk (1918–1994), Philosoph aus den Vereinigten Staaten, schrieb neben wegweisenden Studien zur amerikanischen Politik auch mehrere Romane. Sein Denken war insbesondere dem Werk des britischen Konservativen Edmund Burke verpflichtet.

Im Angesicht all dieser Tatsachen bekehrt sich der Konservative zu der Einsicht, daß alle wesentlichen Entdeckungen in Moral und Politik bereits stattgefunden haben. Seiner Ansicht nach tun wir gut daran, an diesen Entdeckungen festzuhalten, anstatt sie auf der Suche nach neuen Errungenschaften wieder aufzugeben. Was Burke den Verfechtern der neuen Moral und Politik schon im achtzehnten Jahrhundert entgegnet hat, sagt der Konservative auch hundertfünfzig Jahre später immer noch: „Wir wissen, daß wir uns keiner bahnbrechenden Entdeckung rühmen können. Und daß in Fragen der Moral, der Staatskunst und der menschlichen Freiheit auch keine weiteren Entdeckungen mehr ausstehen. All diese Ideen wurden lange bevor wir auf die Welt gekommen sind bereits in ihrem ganzen Umfang ergründet. Und sie werden auch dann noch allseits bekannt sein, wenn sich der Totenschleier auf unsere wahnwitzigen Vermutungen legt und der stumme Grabstein unserer frechen Geschwätzigkeit ein Ende bereitet.“

Die „Demokratie der Toten“

Wenn man zwischen den beiden wählen müßte, so würde sich der gesellschaftliche Frieden schon sehr bald als wesentlich bedeutsamer herausstellen als der Fortschritt in der Gesellschaft. Zwischen Gewohnheiten und Einrichtungen, die allseits bekannt sind, und solchen, die unbekannt sind, ist es immer weise, das Alte und Vertraute dem Neuen vorzuziehen. Randolph von Roanoke rief einem völlig verblüfften Repräsentantenhaus einst die berühmten Worte zu: „Meine Herren! Ich habe den Stein der Weisen gefunden! Dieser besteht in einem einzigen Satz: nämlich dem, niemals ohne guten Grund eine Sache aus der Ruhe zu bringen.“

An dem kunstvoll gefertigten Stoff, den wir unsere Gesellschaftsordnung nennen – diesem Mischmasch aus moralischem Brauchtum, Vereinbarungen unter Politikern, Gewohnheiten der Rechtsprechung und Handelsbeziehungen – wurde über viele Jahrhunderte lang in einem schmerzhaften und schweißtreibenden Prozeß voller Erfolge und Mißerfolge gewebt. Er ist das Produkt einer lange gereiften Einsicht und das Ergebnis der Erfahrungen und Meinungen vieler aufeinanderfolgender Generationen. Kurz, er ist die „Demokratie der Toten“.

Wenn wir dieses Machwerk einmal zerstört haben, so wird es uns kaum mehr möglich sein, es wiederherzustellen. Ich wiederhole mich also gerne, wenn ich noch einmal darauf hinweise, daß wir, vor die Wahl gestellt, den Ruhezustand der Gesellschaft ihrer Veränderung vorziehen sollten.

Die großen Prinzipien überdauern

Oftmals ist es aber gar nicht nötig, diese Wahl überhaupt zu treffen. Häufig haben wir es in der Hand, einen maßvollen Fortschritt mit den Vorzügen der bestehenden Gesellschaft zu kombinieren. Der umsichtige Konservative wird diese Verpflichtung, die Neigung zur Bewahrung mit der Fähigkeit zur Reform zu vereinen, nicht vergessen. Unsere riesenhafte Nation, die Vereinigten Staaten, sind der vorläufige Höhepunkt einer spektakulären Entwicklung.

Einer Entwicklung, die wesentlich in den Bahnen der Tradition verläuft. Wir haben uns im Laufe unserer Geschichte fast all die moralischen Vereinbarungen und gesellschaftlichen Einrichtungen bewahrt, mit denen unsere Republik einst angefangen hat. Das ist das konservative Ideal einer angemessenen Beziehung zwischen gesellschaftlichem Fortschritt und geschichtlicher Ruhe. Die großen Prinzipien überdauern. Es ist immer nur deren Anwendung, die sich verändert.

Übersetzung von Florian Werner

JF45/23

New York Anfang des 20. Jahrhunderts, eingefangen vom amerikanischen Maler George Bellows („Men oft the Docks“): Für Konservative ist das Verhältnis zum historischen Wandel eine Kernfrage Bild: picture alliance / Photoshot | –
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag