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Politische Korrektheit: Die neuen Jakobiner

Politische Korrektheit: Die neuen Jakobiner

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Politische Korrektheit
 

Die neuen Jakobiner

Kaum etwas erregt im Jahr 2013 mehr, als Verstöße gegen die politische Korrektheit. Zu beobachten ist eine Art Dialektik der Aufklärung. Denn zum Vorschein kommt die Intoleranz der Toleranten. Mit der Humorlosigkeit mittelalterlicher Sittenrichter stellen sie einen neuen Index auf – mit starker politischer Schlagseite. Ein Kommentar von Philipp Gut.
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Grünen-Chefin Claudia Roth: Mit der Humorlosigkeit mittelalterlicher Sittenrichter Foto: Flickr/Bündnis 90/Die Grünen mit CC-Lizenz https://tinyurl.com/dtuu3

Es geht Schlag auf Schlag, die Wogen der Entrüstung gehen wieder einmal hoch im Land. Kaum etwas erregt das bundesrepublikanische Gemüt im Jahr 2013 offensichtlich so sehr wie angebliche Verstöße gegen die Regeln der politischen Korrektheit. Was sind schon, zum Beispiel, die Abgründe des Euro-Debakels gegen den Inhalt eines Dirndls? Was ist die Unbezahlbarkeit des Sozialstaats gegen einen konsequent katholischen Abtreibungsgegner?

Die Fälle Brüderle (Sexismusdebatte) und Lohmann (Abtreibungsfrage) sind bloß die jüngsten Beispiele für das Erregungspotential, das bereits minimalen Abweichungen vom juste milieu des öffentlich vorgeschriebenen Tugendpfads innewohnt. Die selbsternannten Linienrichter der politischen Moral machen nicht einmal vor der Vergangenheit und den Monumenten deutscher Kultur halt. Die Schere im Kopf ist zur Schere am Papier geworden. Aus „Korrektheit“ wird Zensur.

Bald Löcher in der abendländischen Kunst und Literatur

Den Vogel schoß jüngst Verleger Klaus Willberg vom Stuttgarter Thienemann Verlag ab. Er will historische Ausdrücke wie „Negerlein“ aus seinen Kinderbüchern streichen. Erstes Opfer ist Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“. Verschont wird niemand: „Wir werden alle unsere Klassiker durchforsten“, ließ der Verleger verlauten. Willberg eifert dem Hamburger Verlag Friedrich Oetinger nach, der zuvor bereits „Pippi Langstrumpf“ von „Negern“ und „Zigeunern“ gesäubert hatte.

Machen die Beispiele Schule, werden in der halben abendländischen Kunst und Literatur Löcher klaffen. Das Liebesduett „Mann und Weib, und Weib und Mann“ aus Mozarts „Zauberflöte“ würde ebenso verstummen wie „Der Zigeunerbaron“ von Strauß. Auch Shakespeares „Othello, der Mohr von Venedig“ müßte künftig ohne Titelheld auskommen.

Zum Vorschein kommt die Intoleranz der Toleranten

Die Realität schreibt die beste Satire. Ginge es nicht um ernsthafte Konsequenzen, man könnte darüber lachen. Der preußische Historiker Leopold von Ranke würde von einem „eunuchischen“ Diskurs sprechen: Alles, was dem neuen Jakobinertum der politischen Korrektheit widerspricht, wird umgehend geahndet und kupiert.

Dabei verkennt der kollektive Wächterrat, der sich in politischen Parteien ebenso bildet wie in Medien, Internetforen, auf Twitter und Facebook, die Ironie des Phänomens: Zum Vorschein kommt die Intoleranz der Toleranten. Zu beobachten ist eine Art Dialektik der Aufklärung. Die „Progressiven“, Linken, Netten verwandeln sich vor den Augen des erstaunten Zeitgenossen in Karikaturen repressiver Machtapparate.

Als ich – um ein persönliches Beispiel zu nennen – kürzlich in der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ über die Fakten des steigenden Kriminaltourismus von professionellen Roma-Diebesbanden sprach, verweigerte Grünen-Chefin Claudia Roth Handschlag und Gruß. Aus ihren Augen blitzte blanker Haß. Was nicht sein soll, gibt es nicht. Redeverbote und Tabus verstellen die Sicht auf die Realität.

Die Humorlosigkeit mittelalterlicher Sittenrichter

Wer gegen die ungeschriebenen Vorschriften verstößt, über den gehen wahre „shit storms“ nieder. Dabei kommen die unflätigsten Angriffe nicht selten aus der ach so aufgeklärten Ecke, etwa der Homosexuellen-Lobby oder der Feministinnen. Die Minderheiten von gestern flüstern heute dem „Mainstream“ ein. Sie inszenieren sich nach wie vor als Opfer – sozusagen das Geschäftsmodell linker Politik –, auch wenn sie längst die Deutungshoheit erlangt haben. Ihr kurzes Gedächtnis überrascht: Mit der Humorlosigkeit mittelalterlicher Sittenrichter stellen sie einen neuen Index auf – mit starker politischer Schlagseite.

Das Maß der Korrektheit ist die linke bis linksliberale veröffentlichte Meinung. Sie ist ein später Triumph des „Marsches durch die Institutionen“, den die 68er-Intellektuellen angetreten haben. Die Einseitigkeit sticht ins Auge: Manager als „Abzocker“ zu beschimpfen oder Investmentfirmen als „Heuschrecken“, gehört heute zum guten Ton. In Deutschland, aber auch in den Nachbarländern.

Die Schweizer Jungsozialisten beispielsweise entwarfen Plakate mit nackten Spitzenmanagern wie dem eben zurückgetretenen Novartis-Chef Daniel Vasella. Kam es jemandem in den Sinn, hier einen Verstoß gegen die politische Korrektheit anzumahnen? Monierte jemand „Sexismus“? Natürlich nicht. Die selbsternannten Hüter der öffentlichen Moral, die so virtuos die Grenzen des Erlaubten abzirkeln, entpuppen sich als Hüter der Doppelmoral.

Für mehr Gelassenheit und den Geist echter Freiheit

Warum so verkrampft? Warum so intolerant? Warum so humorlos? Der jakobinische Eifer und die neue Bannstrahl-Mentalität passen schlecht zu einer Gesellschaft, die sich bei jeder Gelegenheit ihrer Pluralität und Offenheit rühmt. Einem konservativen Katholiken zum Vorwurf zu machen, daß er konservativ-katholische Werte vertritt, ist – mit Verlaub – Humbug. Reicht es denn nicht, daß geschätzte 90 Prozent der Deutschen in puncto Abtreibung eine andere Haltung einnehmen als der katholische Fernsehmann Martin Lohmann? Müssen in diesem Land immer 100 Prozent her?

Ich plädiere für mehr Gelassenheit und den Geist echter Freiheit. Eine Gesellschaft, die abweichende Meinungen mit Sanktionen bedroht und die Schere selbst an harmlose Kinderbücher ansetzt, beweist die Souveränität eines Sklaven. Damit fallen die aufgeklärten westlichen Staaten und Gesellschaften hinter ihre eigenen Maßstäbe zurück.

Denkbar wäre ja auch, daß man sich hart streitet, ohne unliebsame Positionen mit Tabus und Sprechverboten zu belegen. Als Gegengift empfehle ich: mehr Sportlichkeit, mehr Widerspruchsgeist, mehr Humor.

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Dr. Philipp Gut ist stellvertretender Chefredakteur und Inlandschef der Schweizer Weltwoche. Zudem veröffentlichte er eine preisgekrönte Studie über „Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur“ (S. Fischer, 2008).

JF 08/13

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