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Sexismus-Debatte: Regt euch bitte ab!

Sexismus-Debatte: Regt euch bitte ab!

Sexismus-Debatte: Regt euch bitte ab!

Sexismus-Debatte
 

Regt euch bitte ab!

Es geht schon längst nicht mehr um den peinlichen Flirt von Rainer Brüderle mit einer Journalistin. Die Diskussion um Sexismus in Deutschland zeigt: Mit dieser Debatte soll eine bedeutsame Unterkategorie der politischen Korrektheit, die sexuelle Korrektheit ins öffentliche Bewußtsein implementiert werden.
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Ein älterer Mann ist an der Bar von einer jungen Frau angesprochen worden. Sie wollte diskutieren, er wich auf Komplimente aus und erdreistete sich, ihre Hand zu küssen. Ein Jahr später macht sie dies der Öffentlichkeit bekannt. Weil der Mann Rainer Brüderle heißt und gerade das Amt des FDP-Parteichefs im Auge hatte, hat die Journalistin damit nicht nur einen politischen Coup gelandet. Sie hat eine Debatte entfacht, die den Begriff „Alltagssexismus“ als Massenphänomen skandalisiert. Seit 1976, da erschien Marielouise Janssen-Jureits Wälzer „Sexismus“, ist dieser Terminus in der Welt.

Seit einiger Zeit erleben wir seine empörungsbefeuerte Auferstehung: Frauen organisieren „Slutwalks“, Schlampenmärsche, um zu demonstrieren, daß ihre Unantastbarkeit auch in halbnacktem Zustand gelte. Barbusige Aktivistinnen („Femen“) streiten für ähnliches. Die Piratenpartei übt sich in Selbstkritik, weil sie sexistische Redeweisen toleriert hat. Seit Jahren gibt es in Deutschland regionale Seiten der amerikanischen Kampagne „ihollaback.org“ („ich schnauz zurück“), wo gefühlte Opfer von „street harassment“ (öffentlicher Belästigung) Handybilder von „Tätern“ publizieren können. Die Sensibilität für „Sexismen“ ist hoch, und es ist bezeichnend, daß sich die Klagen nicht auf gängige Übergriffe südländischer Proletencliquen, sondern auf die „subtileren“ Flirtversuche weißer Männer beziehen.  

Keine pikante Intimgeschichte

Gerechterweise wäre zu sagen: Die Stern-Journalistin Laura Himmelreich hat den tolpatschigen Flirtversuch nicht als Skandal an die große Glocke gehängt. Sie hat die Sache anekdotisch eingebaut in ein Doku-Porträt über Brüderle, in dem sie den Politiker als „Mann von vorgestern“ zeichnet. Eine solche Vorgehensweise ist legitim und üblich. Reportagen, die farbkräftig sein wollen, notieren oft solche Dinge: daß die Hand des Gesprächspartners zittert, daß das Gegenüber geräuschvoll gähnt, daß der Anzug spannt.

Himmelreich hat keine pikante Intimgeschichte publik gemacht. Wer in der Öffentlichkeit steht, sollte sich im öffentlichen Raum auch nach Mitternacht adäquat verhalten. Im konkreten Fall wie ein Herr und nicht wie ein Böckchen! Da Brüderle der Frau weder K.-o.-Tropfen eingeflößt, noch sie mit strafrechtlicher Relevanz angerührt hat, dürfte man seine Schmeicheleien als läßlichen Faux-pas einordnen. Das tun allenfalls seine Parteifreunde – und die machtlose Masse, die gewöhnliche Medienkonsumentin, die selbst ganz gut weiß, wie man unelegante Komplimente souverän handhabt.

Sexuelle Korrektheit statt Politischer Korrektheit

Lauter ist der Empörungsschrei, der nun wie Donnerhall aus Redaktionsräumen brandet und die Stimmen derjeniger, die in der Manier Pawlowscher Hunde aufspringen. Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter initiierten einen Rundruf unter dem Schlagwort „#aufschrei“: Abertausende Frauen berichten stichwortartig über „sexuell diskriminierende“ Vorfälle, über Lehrer, die auf den Ausschnitt starrten, über Taxifahrer, die Studentinnen als „Mädels“ ansprachen. Auch die twitternde Herrenwelt fühlt sich „als Mann richtig schlecht“ oder schwankt „zwischen einer Sauwut, tiefer Traurigkeit und Scham.“

Spiegel-Online-Chefin Patricia Dreyer (die zuvor für die Bild Artikel schrieb, die locker als sexistisch durchgehen dürften) sieht eine feministische Morgenröte dämmern: „Bei allen politisch-gesellschaftlichen Debatten, die über Frauen geführt wurden – ob Gleichberechtigung, Abtreibung, Herdprämie, Frauenquote – eine fehlte bisher: die große Debatte um alltäglichen Sexismus. Beginnen wir sie endlich.“ Hiermit soll eine bedeutsame Unterkategorie der politischen Korrektheit, die sexuelle Korrektheit ins öffentliche Bewußtsein implementiert werden. Gemeint ist die wirkungsmächtige Schnittmenge zwischen Feminismus und politischer Korrektheit. Während feministische Vorgaben in amtliches Vorgehen und öffentliche Sprache mustergültig eingegangen sind, steht nun der Annäherungsmodus im Fokus.      

Es geht nicht um Geschmack

Wie erkennt man die Grenze zwischen Kompliment und unstatthaftem Verhalten? Die „Piratin“ Anke Domscheit-Berg, dazu befragt, hätte sagen können: Indem er sich fragt, wie angemessen seine Frau das Verhalten fände, wäre sie anwesend. Immerhin ist Brüderle seit über 30 Jahren verheiratet. Inwiefern ein plumper Flirt sich mit dem Stand als Ehemann verträgt, stand bezeichnenderweise nicht zur Debatte. Domscheit-Berg verwies auf die „Ausnutzung des Machtgefälles“ und darauf, daß bei eingeschaltetem Hirn klar sein müsse, wie gering das Interesse einer knapp Dreißigjährigen am Flirt mit einem Älteren sein könne.

Ach! Ist es das? Altersmäßig deviante Paarbeziehungen kennen wir gerade von Prominenten gut. Zahlreiche Politiker wie Sigmar Gabriel, Joschka Fischer, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Franz Müntefering sind verheiratet mit Frauen extrem jüngeren Alters, die allesamt in der öffentlichen Hierarchie unter ihnen standen. Die Anbahnung von oben (männlich) nach unten (weiblich) hat Tradition, einerlei wie geschmackvoll das erscheint. Die notorische Antifeministin Camille Paglia hat in ihren Büchern zum Thema sexuelle Anbahnung beizeiten alles gesagt, was zum Thema Flirt und Sich-belästigt-Fühlen zu sagen ist. Man sollte sie gerade aktuell wieder lesen.

JF 6/13

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