Nach dem Systemabsturz des Sowjetkommunismus war es plötzlich wieder schick, von der „Totalitarismustheorie“ zu reden. Ihre Exponenten, die lange als „Kalte Krieger“ galten, weil sie „Systemvergleiche“ zwischen faschistischen, nationalsozialistischen und kommunistischen Herrschaftsformen anstellten, gehörten nach 1989 irgendwie mit zu den „Siegern der Geschichte“. So auch der Geschichtsphilosoph und politische Theologe Eric Voegelin, der 1901 in Köln geboren wurde, in Wien bis zu seiner Emigration lehrte und am 19. Januar 1985 in Palo Alto, USA starb.
Tatsächlich ließ sich in den 1990er Jahren ein steigendes, im Vorfeld seines hundertsten Geburtstages (2001) sogar lebhaftes Interesse am Werk des zeit seines langen Gelehrtenlebens eher randständigen Denkers registrieren (JF 28/2002). Das lag nicht zuletzt daran, daß er im „totalitären Zeitalter“ das Phänomen der „politischen Religion“ entdeckt hatte. Bis heute, dafür sorgt die tägliche Nachrichtenlage in Sachen „Islamismus“, hat das Thema nichts von seiner Brisanz eingebüßt.
Das Thema „politische Religion“ bleibt brisant
Trotzdem scheint der Kurswert Voegelins inzwischen wieder zu sinken. Wie eine Zäsur wirkt der Abschluß der deutschen Übersetzung seines zehnbändigen Hauptwerks „Ordnung und Geschichte“ (2004). Seitdem erschienen zwar noch eine Reihe von Studien, darunter jüngst Claus Heimes’ Vergleich der beiden „Ordnungsdenker“ Carl Schmitt und Voegelin. Doch ist die bloß antiquarische Dimension dieser Bemühungen kaum zu übersehen. Dagegen ist das zukunftsträchtige Potential von Voegelins Denken – die Problematisierung jener politischen Bindungskräfte, auf die „Verfassungen“ sich stützen, ohne sie generieren zu können – noch lange nicht ausgeschöpft.
Vielmehr hat sich realisiert, was auch wohlwollende Voegelin-Kenner früh als Rezeptionssperre ausmachten: der Subjektivismus des konservativen Moderne-Kritikers. Denn ausgerechnet ein mit neoscholastischem Furor auf die „Objektivität“ seiner Einsichten in „Seinsordnungen“ pochender, den neuzeitlichen „Relativismus“ verdammender Platoniker wie Voegelin mußte sich stets vorhalten lassen, fundamentale kantische Einsichten in die Grenzen menschlicher Vernunft zu ignorieren. Nur daher konnte er, ähnlich wie der „Naturrechtler“ Leo Strauss, einem naiven Ontologismus verfallen, der auf „Glaubensgewißheiten“ basierte, die bereits im 20. Jahrhundert außerhalb christlicher Reservate nicht mehr kommunizierbar waren.