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Vom Eierwieger zum Publikumsliebling

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Geboren am 24. April 1909 in Neisse, als „Stadt der Kirchen“ auch das „schlesische Rom“ genannt, starb Bernhard Grzimek im März 1987 in Frankfurt am Main, der Stadt der Banken. Anfangs- und Endpunkt eines Lebens, die gegensätzlicher nicht hätten ausfallen können, und doch ist solcher Kontrast für eine ostdeutsche Biographie, die zwei Weltkriege umspannt, eher die Regel als die Ausnahme.

Ohne die Katastrophen des 20. Jahrhunderts wäre der studierte Veterinär und Zoologe Bernhard Grzimek mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nie in die Sphäre des Weltruhms vorgestoßen, den er sich als Anwalt der afrikanischen Tierwelt erwarb. Denn erst der besondere Resonanzboden, den vor allem die westdeutsche Kriegsverlierer-Gesellschaft nach 1945 bot, macht die enorme Popularität des von Grzimek propagierten Naturschutzgedankens verständlich. Bis in die Ursprünge der Formierung der Grünen und bis zur heutigen hohen Akzeptanz des „Umweltschutzes“ sind diese kollektiven Dispositionen wirksam, die inzwischen nicht nur hierzulande, sondern, man denke an den „Klimaschutz“, weltweit einen Maßstab politischen Handelns bilden.

Das alles ist untrennbar mit Grzimeks Namen verknüpft, wenn auch die meisten der über Vierzigjährigen sich nur noch an einen freundlichen älteren Herren erinnern, der sie in sanftem schlesischen Singsang allmonatlich, dienstags viertel nach acht, via Bildschirm mit „Meine lieben Freunde“ anredete, ein zumeist „possierliches Studiotier“ präsentierte und ihr Gewissen für die Bewahrung der Schöpfung zu wecken versuchte.

Die Verknüpfung der individuellen Lebensleistung Grzimeks – von 1945 bis zu seiner Pensionierung 1974 leitete er den Frankfurter Zoo – mit den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Ermöglichung hätte man sich von der ersten umfassenden Biographie zum hundertsten Geburtstag erwartet. Zumal, wenn sie wie die Arbeit von Claudia Sewig aus dem Nachlaß und den Quellen der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft entstanden ist. Was die Redakteurin des Hamburger Abendblatts indes nach vier Jahren zwischen zwei Buchdeckeln vereint hat, wiederholt für die Zeit bis 1945 Grzimeks Autobiographie „Auf den Mensch gekommen“ (1974) und schreibt für seine zweite Lebenshälfte planlos den Terminkalender des umtriebigen Naturschutzmanagers ab, ein bißchen Schlüssellochguckerei inbegriffen.

So erfahren wir einiges über den Galan und Schwerenöter, der wie Bel Ami nicht treu sein konnte, mit einer „Nebenfrau“ zwei uneheliche Kinder zeugte und der sich nach dreißig Ehejahren scheiden ließ, um die Witwe seines 1959 über der Serengeti mit dem Flugzeug abgestürzten Sohnes Michael zu heiraten. Unumgänglich für eine Journalistin des Jahrgangs 1972 natürlich auch die Sondierung einer womöglich „braunen“ Vergangenheit ihres Helden. Erleichtert stellt sie da fest: Grzimek sei kein „Rassist“ gewesen, Mitglied der NSDAP seit 1937 zwar, aber ohne das geringste Engagement – nach dem Krieg wird er von einer Spruchkammer in die Gruppe der Entlasteten eingereiht –, ein Mitläufer eben, der nur tat, was für die Karriere unabdingbar war.

Und die kann man bis 1945 wahrlich nicht gerade beachtlich nennen. Muß man dabei doch hinabsteigen in die Niederungen der Hühnerzucht und der „Eierüberwachung“, für die der Tiermediziner Grzimek als Sachverständiger im Landwirtschaftsministerium und seit 1934 im Reichsnährstand zuständig war. Obwohl aus diesem engsten Betätigungsfeld entnommen, scheitert Grzimek 1936 mit dem Versuch, sich mit einer von der Fakultät als „wissenschaftlich unzureichend“ zurückgewiesenen Arbeit wie „Gewichtsverlust und Luftkammervergrößerung von Eiern in handelsüblichen Packungen, sowie über den Einfluß des Waschens von Eiern“ an der Berliner Universität zu habilitieren. Zwischen der Eierüberwachung im Interesse der Autarkie anstrebenden NS-Agrarpolitik und dem Oscar-gekrönten Dokumentarfilm „Serengeti darf nicht sterben“ (1959) lagen also noch Welten. Sie rücken auch nicht näher, wenn Sewig auf einige Veröffentlichungen hinweist, die den Feierabend-Autor Grzimek unter die erfolgreichen Tierschriftsteller („Wir Tiere sind ja gar nicht so“, 1941) des Dritten Reiches einreihen.

Damit hätte es nämlich auch nach Kriegsende mehr oder weniger bescheiden sein Bewenden haben können, wenn das „Erlebnis Afrika“ nicht als Karrierekatapult gewirkt hätte. Nur findet man darüber nichts bei der naiv-faktenhubernden Claudia Sewig. Aufklärung gestattet hingegen eine instruktive jüngere, auf eine Grzimek-Monographie von Franziska Torma (2004) aufbauende Studie von Johannes Paulmann über den Zusammenhang von „Kolonialismus, Zeitkritik und wissenschaftlichem Naturschutz in Bernhard Grzimeks Tierfilmen in den 1950er Jahren“ (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 2008).

Paulmann zufolge ist der Publikumserfolg zunächst der Bücher, die Grzimek über seine afrikanischen Tierexpeditionen veröffentlichte, dann der abendfüllenden Dokumentarfilme „Kein Platz für wilde Tiere“ (1956) und „Serengeti darf nicht sterben“ wesentlich bedingt durch die „Identitätssuche der Deutschen nach dem NS-Faschismus“.

In der Umbruchsituation, in der sich die deutsche Gesellschaft während der Adenauer-Zeit befunden habe, bot die per Buch und Film ihr nahegebrachte afrikanische Welt eine Chance, „deutsche Identität“ neu zu verhandeln. Grzimek inszenierte die Bedrohung der Lebensräume ostafrikanischer Großwildtiere als Angriff der „niedrigen“ europäischnordamerikanischen „Zivilisation“ auf unberührte „Paradiese“ der „Natur“. Sich mit ihrem Landsmann identifizierend, „besannen Deutsche sich auf höhere Werte und konnten damit gute, scheinbar unpolitische Seiten ihrer Nation wiederentdecken“. In der zunehmenden „Sensibilität für ökologisches Denken“ spreche sich ein tiefgreifender „postfaschistischer“ Bewußtseinswandel aus. Nicht mehr die Raumnot der Menschen, sondern diejenige der Tiere sei als politisches Problem wahrgenommen worden.

Die moralisch nun hoch im Kurs stehende Sorge um den Lebensraum der Tiere war die Kehrseite des Abschieds vom deutschen Mythos des „Volks ohne Raum“. Das schloß die Zustimmung zu Grzimeks Credo ein, zur Rettung der Natur sei eine Stabilisierung, besser noch eine Reduktion der Weltbevölkerung unumgänglich notwendig. Angesichts ihrer seit 1970 stetig sinkenden Geburtenziffer scheint die von Grzimek gestiftete neue Identität der Deutschen in eine auf Lebensraum gänzlich verzichtende Selbstzerstörung umzuschlagen.

Claudia Sewig: Der Mann, der die Tiere liebte. Bernhard Grzimek. Biographie. Verlagsgruppe Lübbe, Bergisch-Gladbach 2009, gebunden, 447 Seiten, 64 Abbildungen, 24,95 Euro

Fotos:  Bernhard Grzimek während der Dreharbeiten zu „Kein Platz für wilde Tiere“ (1956): Der Film läuft an diesem Sonnabend (25. April) um 12.03 Uhr in der ARD, Bernhard Grzimek (1909–1987) vor dem Giraffengehege im Frankfurter Zoo: Anläßlich seines hundertsten Geburtstags präsentiert das oberschlesische Landesmuseum in Ratingen (Nordrhein-Westfalen) bis zum 30. August eine große Sonderausstellung zu Leben und Werk des Zoologen, Tierarztes, Naturfilmers und Verhaltensforschers. Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main zeigt bis zum 16. August Fotografien rund um die Dreharbeiten in Afrika sowie zahlreiche Ausschnitte aus seinen Filmen. Und im Zoologischen Garten Frankfurt ist eine Fotoausstellung zu sehen. Der Eintritt dort kostet 8 Euro (ermäßigt 4 Euro).

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