Als Komponist ist Richard Wagners Sohn Siegfried sicherlich eine tragische Erscheinung. Seine 18 Bühnenwerke müssen es sich seit hundert Jahren gefallen lassen, ständig mit denen des Vaters verglichen zu werden, wobei sie zwangsläufig schlechter bewertet werden. Dazu kommt noch ein Verdikt aus den eigenen Reihen. Siegfrieds Witwe Winifred verhinderte nach dem Tod ihres Gatten 1930 die weitere Verbreitung seiner Werke, ja vernichtete sogar zwei vollständige Opern. Etwa seit zwanzig Jahren läßt sich eine zaghafte Siegfried-Wagner- Renaissance beobachten, ausgelöst durch den Regisseur und Siegfried- Wagner-Biographen Peter P. Pachl. Ihm ist es zu verdanken, daß seit Mitte der neunziger Jahre einige der Opern nicht nur erfolgreich aufgeführt wurden, sondern auch Gesamtaufnahmen auf CD erscheinen konnten.
Jüngste Produktion ist nun „Der Schmied von Marienburg“ (Marco Polo 8.225346-48), komponiert 1920, mit Kürzungen erstaufgeführt 1923 in Rostock und später letztmals 1938 in Berlin. Erst am 28. Juni 2008 wurde die Oper dann in einer halbszenischen Form in Danzig wieder und zum ersten Mal ungekürzt aufgeführt Das Werk, das am Vorabend der Schlacht von Tannenberg (Juli 1410) angesiedelt ist, bei der das Heer des Deutschen Ritterordens von den Polen und Litauern vernichtend geschlagen wurde, ist keineswegs eine pompös-historische Große Oper deutschnationalen Zuschnitts. Denn zum Zeitpunkt der Handlung befindet sich der Ritterorden bereits im Niedergang und wird sogar wegen seines repressiven Systems bekämpft. Nach der Berliner Aufführung 1938 meinte der Kritiker Erich Dörlemann, daß die „neue nationale Volksoper sich auf wesentlich anderer Ebene einer stoßkräftigen, rhythmisch packenden (…) Musik bewegen müsse, im Sinne jener massenumspannenden stählernen Romantik (…)“. Siegfrieds hochkomplexer und hochartifizieller Stil und insbesondere die Gesamthandlung in ihrem Kampf des Individuums gegen ein repressives System ist freilich dafür kaum geeignet. Ebenso der komplizierte, wenngleich logische Inhalt des Werks, der sich aus mehreren Handlungssträngen zusammensetzt, unter anderem geht es um den Bruch des Ordensgelübdes der Keuschheit und um gestörte Vater- Tochter-Verhältnisse.
Der klanglich hervorragende Live-Mitschnitt der Danziger Aufführung bietet mit dem von Pachl geleiteten ppp-Musiktheaterensemble grundgediegene Interpreten auf, die sich alle seit Jahren um die Wiederbelebung des Siegfried Wagnerschen Werks verdient machen. Karl Schneider in der Titelrolle ist ein mehr als passabler Heldentenor, Rebecca Broberg, seit langem die dramatische Siegfried- Wagner-Interpretin, und vor allem Johann Winzer als Teufel sind hier herausragend. Frank Strobel leitete die Danziger Baltische Philharmonie, wobei man spürte, daß sich die polnischen Musiker mit Inbrunst dem für sie ganz neuen und bestimmt nicht einfach zu spielenden Werk öffneten. Siegfried Wagners Stil ähnelt im „Schmied“ jenem Richards etwa der „Götterdämmerung“, allerdings verzichtet er auf dessen komplexe Leitmotivtechnik und gibt dafür den Ariosi breiteren Raum. Für alle Freunde der Oper abseits ausgetretener Repertoiregeleise ist diese preisgünstige Aufnahme auf drei CDs ein Muß.