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Letzter Bericht aus Bonn

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Der historische Erinnerungsbestand von sechzig Jahren Bundesrepublik Deutschland rekrutiert sich zum Großteil – zu knapp einem halben Jahrhundert – aus jener Zeit, die als „Bonner Republik“ in die Geschichte einging. Daß diese Vergangenheit ist, wird nicht zuletzt am gerade wiedereröffneten Kanzler-Bungalow ablesbar, der – einst von Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) in Auftrag gegeben – künftig als Museum dient.

In den entsprechenden Schlagwort-Katalog gehören die Adenauer-Ära, die Kanzlerschaft Willy Brandts, die Ära Schmidt und die – nicht enden wollende – Helmut Kohls. Verknüpft mit diesen personalen Abschnitten sind epochale Begriffe: Kalter Krieg, Mauerbau, Ostpolitik, 68er-Bewegung, RAF-Terror, Nato-Doppelbeschluß, Ostermärsche, Mauerfall und Wiedervereinigung. Gleichwohl bleibt die Frage, wie die politisch Verantwortlichen jener Zeit agierten, wenn die Kameras aus waren. Auch darf gefragt werden, warum die Geschichte ausgerechnet so verlief, wie wir sie heute kennen. Antworten darauf sucht die – im Hinblick auf das interviewte Personal – geradezu enzyklopädische TV-Dokumentation „Bonner Republik“, deren zweiter Teil kommenden Mittwoch (29. April, 23.30 Uhr, ARD) zur Ausstrahlung gelangt.

Der öffentlich-rechtliche Sendetermin zu nachtschlafender Zeit offenbart indes, daß der allseits und vollmundig verkündete Jubiläumsreigen wohl eher Pflichtübung ist als tatsächliche Reflexion – und möglicherweise Infragestellung? – des eigenen Gewordenseins. Um so verdienstvoller ist die parallel erfolgende, gleichnamige Buchveröffentlichung der auch für den Film verantwortlichen Autoren Heribert Schwan und Rolf Steininger. In dieser kommen – umfänglicher als in der TV-Dokumentation – die Protagonisten der Bonner Republik noch einmal zu Wort, beginnend bei Egon Bahr und endend bei Friedrich Zimmermann. Gewissermaßen am Anfang steht dabei ein Wortbruch, hatte doch der Oberbefehlshaber der anglo-amerikanischen Truppen, General Dwight D. Eisenhower, nach seinem Besuch des Konzentrationslagers Buchenwald 1945 verkündet, niemals wieder einem Deutschen die Hand zu geben. Acht Jahre später, zum ersten USA-Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer sah die Welt schon wieder anders aus. Im gleichen Jahr kommt es zum Arbeiteraufstand in Ost-Berlin und vielen anderen DDR-Städten.

Noch heute mit atemloser Spannung zu lesen sind die Erinnerungen von Egon Bahr, seinerzeit Chefkommentator und Chefredakteur des RIAS, der am 17. Juni 1953 eine entscheidende Rolle für den über Rundfunk verbreiteten Aufruf des Ostberliner Streikkomitees spielte. Im Hinblick auf den 13. August 1961 kommt Bahr – aufgrund seiner intimen Kenntnisse – zu dem ebenso verstörenden wie plausiblen Schluß, daß der Bau der Mauer von allen Alliierten letztlich „gewünscht und gewollt“ war.

Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister, sei erstmals in seinem Leben in das Gebäude der Alliierten Kommandantura gegangen und habe über „diese Scheißer“ geklagt, die sich nicht einmal trauten, Jeeps auf die Straßen West-Berlins zu schicken. Auch schwärmt Bahr von den Studenten jener Zeit, „fabelhafte junge Leute“, die da sagten: „Was unsere algerischen Kommilitonen können, können wir auch. Wir können (…) dieses Ding, Mauer genannt, schneller in die Luft blasen, als sie es jeweils wieder aufbauen können.“ Ernst Benda, späterer Bundesinnenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, erinnert sich derweil an die weitverbreitete Auffassung vieler Berliner damals, auch seiner eigenen, die Amerikaner hätten mit nicht-militärischen „Gewaltmitteln“ die Mauersteine beiseite und den Mauerbau aufhalten können.

In der Retrospektive erscheint dies zweifelsohne illusionär. Und doch, bei aller Faktizität, die der deutschen Nachkriegszeit bis zur Wiedervereinigung naturgegeben eignet, leisten die hier zusammengetragenen Binnenperspektiven der Macht zugleich die faszinierende Einsicht in die prinzipielle Offenheit von Geschichte. Dazu gehört die Erkenntnis, daß sie letztlich von Menschen gemacht – oder auch verschlafen wird. Das macht die hier vorgestellten Erinnerungen auch Jahrzehnte danach noch spannend, etwa in der Schilderung der von der SPD 1982 betriebenen Demontage ihres eigenen Kanzlers. Dabei war Schmidt, so der damalige Verteidigungsminister Hans Apel, eine in vielerlei Hinsicht einmalige Kanzlergestalt: Er „kam in die Kabinettssitzung und wußte alles ganz genau, normalerweise genauer als die Fachminister“. Die Verehrung und Bewunderung von „Schmidt-Schnauze“, die nahezu alle der hier Interviewten zum Ausdruck bringen, wird nicht nur an dieser Stelle deutlich.

Gewürdigt werden auch andere „Solitäre“ der bundesdeutschen Politikgeschichte, etwa der national gesinnte Sozialdemokrat der ersten Stunde, Kurt Schumacher, der einstige KPD-Mann Herbert Wehner oder CSU-Patriarch Franz Josef Strauß. Dessen Parteifreund Friedrich Zimmermann berichtet von einer Reise nach Lübeck, wo ihm plötzlich ein Schwanz Hunderter CDU-Mitglieder nachlief, die damals auf einen bundesweiten Antritt der konservativeren CSU hofften.

Kohl indes schildert ausführlich jenes „Schlüsselerlebnis“ im Juni 1989, als er mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow auf der Mauer am Rheinufer saß und Vertrauen bildete. Und doch genießt Deutschland letzteres bis heute nicht, so jedenfalls die Schlußfolgerung Egon Bahrs. Grund hierfür sei die bis heute andauernde „gespaltene Sicherheitslage“ in Deutschland: das Verbot, fremde Truppen oder Atomwaffen auf ehemaligem DDR-Territorium zu stationieren. Der damalige US-Außenminister James A. Baker formulierte es so: „Deutschland bleibt an der Leine. Deutschland bleibt kontrolliert.“ Bahr, einst Architekt der Ostverträge, lakonisch: „Das ist die Quelle der europäischen Stabilität.“

Heribert Schwan, Rolf Steininger: Die Bonner Republik 1949–1998. Propyläen Verlag, Berlin 2009, gebunden, 462 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

Foto:  Kennedy mit Brandt und Adenauer 1963, Reagan mit Schmidt und Weizsäcker 1982 in West-Berlin, Honecker und Schmidt bei KSZE-Konferenz 1975 in Helsinki: „Diese Scheißer“

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