Der in Amerika lebenden Publizistin und Beauftragten für Operntratsch Manuela Hoelterhoff verriet der junge Tenor Roberto Alagna einmal, er wolle die Partie des Herzogs aus Verdis „Rigoletto“ unter anderem des „Parmi veder le lagrime“ wegen nicht mehr singen. Das sei „eine sehr schwierige Arie und nicht gut fürs Publikum. Es erkennt nicht, wie schwierig sie tatsächlich ist.“ Was Alagna meinte: Das Stück, in dem der Herzog über das Verschwinden der von ihm umworbenen Gilda nachgrübelt, ist selbst für einen Tenor sehr hoch gesetzt, bietet aber kaum Aufhänger, um sich beifallheischend in Szene zu setzen. Es lebt mit seiner gleichfalls intimen einleitenden Szene „Ella mi fu rapita!“ vor allem von der Gestaltungsfreude eines Sängers. Dazu ist nicht jeder Tenor in der Lage oder willens – und so werden Szene und Arie nicht selten wenig inspiriert herunter geplärrt. Daß der deutsche Tenor Jonas Kaufmann auf seiner Decca-Debütscheibe „Romantic Arias“ gerade nicht auf die üblichen „Rigoletto“-Schlager „Questa o quella“ oder „La donna è mobile“ zurückgreift, sondern Stimme und Gestaltung dem geschmähten Tenorstück aus dem zweiten Akt widmet, ist bezeichnend für diesen jungen Sänger, der sicher nicht die schönste aller Tenorstimmen hat, aber schon jetzt groß ist in intensiver vokaler Anverwandlung von Stimmungen, Farben und Zwischentönen. Sagte man dem Theologen Romano Guardini nach, er „küsse“ mit seiner stilmächtigen Rhetorik „jedes Wort“, so könnte man von Kaufmann behaupten, er küsse bei den dreizehn Stücken jede Phrase: tenorale Feinkost ohne den Geschmacksverstärker billiger Effekthascherei. Und ohne auch nur einen der hier versammelten Opernauszüge in eine Ansammlung schön gesungener Noten zu zerlegen. Kaufmann schwelgt im Fluß der Melodie. Bemerkenswert ist die Repertoirebreite des Tenors: Er bietet einen Querschnitt aus dem deutschen, italienischen und französischen Musiktheater, wobei sich die einzelnen Kulturkreise auch gegenseitig befruchten. Da wird sofort klar, warum beispielswegen Friedrich Flotows „Martha“ einst nicht nur in Deutschland, sondern (in italienischer Textfassung) weltweit Triumphe feierte: „Ach! So fromm“ klingt – mit vorbildlicher Legatokultur belebt – so, als hätte der melodie-selige Bellini selbst dem deutschen Meister die Feder geführt. Hervorzuheben ist auch die feinsinnige Begleitung seitens der Prager Philharmoniker unter Marco Armiliato – Dirigent und Orchester leisten hier weit mehr als nur Dienst nach Vorschrift. Der gemeinsame künstlerische Ernst aller Beteiligten führt dazu, daß „Romantic Arias“ nicht einfach als Standard-Arienprogramm daherkommt. Die Beiträge von Verdi, Puccini, Wagner, Weber, Flotow, Massenet, Gounod und Berlioz nehmen quasi den Charakter von Mini-Dramen an. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Kaufmanns Tongebung ist gelegentlich kehlig und beim ersten Hören gewöhnungsbedürftig. Die Stimme erinnert etwas an Rudolf Schock, dessen mitunter angestrengt klingendes Singen sich ebenfalls nicht im reinen Wohllaut ergoß. Bis zu einem gewissen Punkt läßt sich die Einschränkung aber auch ins Positive wenden: Kaufmann klingt keineswegs wie die weitere Ausgabe eines reinen Wohllaut-Tenors, wie sie auch heute noch, dem Himmel sei durchaus Dank, die Bühnen bevölkern. Der 1969 in München geborene Sänger hat ein sehr eigenes vokales Profil, dem zu wünschen ist, daß es nicht vorzeitig durch die Versuchung zur raschen, ganz großen Karriere verschlissen werde. CD: Jonas Kaufmann, Romantic Arias, Decca 475 9966 1. Im Februar singt Kaufmann Werke aus der CD bei Konzerten in München, Herkulessaal (24.02.) und Hamburg, Laeizhalle (28.02.)