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Und es gibt Gläubige der Zukunft

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Im Herbst 1930, kurz nach dem „Erdrutschsieg“ der NSDAP bei den Reichstagswahlen, erschien im Rowohlt-Verlag eine Broschüre mit dem Titel „Kommt ‚Das Dritte Reich?'“. Es handelte sich um eine hellsichtige Analyse von Führer, Partei, Ideologie und angestrebter politischer Ordnung; ein Deutschland unter nationalsozialistischer Herrschaft – so die Autoren Walter Oehme und Kurt Caro – würde zum Zwangsstaat, der Abweichler verfolge, die Juden unter Sonderrecht stelle und eine aggressive Außenpolitik treibe. Interessant ist die Tatsache, daß der Begriff „Drittes Reich“ 1930 schon so selbstverständlich auf die politische Zielsetzung der NSDAP bezogen wurde, daß eine Erläuterung völlig fehlte – und tatsächlich ist davon auszugehen, daß zu diesem Zeitpunkt jeder politisch Interessierte eine solche Verknüpfung annahm. Als Erklärung findet man häufig den Hinweis auf den Einfluß des Buches „Das dritte Reich“ von Moeller van den Bruck, das 1930 in einer neuen Auflage auf den Markt kam. Allerdings war die erste schon 1923 erschienen und kaum beachtet worden. Zwei Jahre später hatte Moeller Selbstmord begangen. Seine Haltung zur NSDAP war bestenfalls zwiespältig gewesen, die zu Hitler eindeutig negativ. Das hing mit einer Reihe grundlegender weltanschaulicher Differenzen zusammen – Moeller neigte außenpolitisch zur Anlehnung an die Sowjetunion, hielt die Rassenfrage für nachrangig und entwarf eine „organische Demokratie“ -, so daß er nie in den Kreis der „kanonischen“ Autoren des Nationalsozialismus aufrückte. Moellers Titel „Das dritte Reich“ bedeutete also keine Stellungnahme zugunsten der NSDAP – die hat die Zugkraft der Formel erst später entdeckt -, sondern war einer spontanen Entscheidung geschuldet. Das behauptete jedenfalls Max Hildebert Boehm, der zum Umfeld Moellers gehörte und überlieferte, daß Moeller ursprünglich an den Titel „Die dritte Partei“ oder auch „Der dritte Standpunkt“ – nämlich derjenige der Konservativen Revolution jenseits von Reaktion und Liberalismus – gedacht hatte. Nur wirkte der zu blaß, weshalb sich Boehm mit dem Vorschlag „Das dritte Reich“ durchsetzen konnte. In einem Brief von 1932 schrieb Boehm: „Moeller deutete selbst an, daß das Wort ursprünglich einen chiliastischen Sinn hatte und offenbar in der okkulten Literatur seine Geschichte hat.“ Auch ein Bezug auf die Idee des „dritten Italiens“ in der Propaganda des frühen Faschismus habe eine Rolle gespielt. Boehm fährt dann fort: „… ich glaube sagen zu können, daß für Moel­lers Wahl die Anlehnung an das italienische Beispiel bestimmend gewesen sein dürfte und daß bei ihm auch ein Einfluß der hegelianischen Dialektik nachwirkte. Auf den mystischen Klang hat er es, soviel ich weiß, nicht primär abgesehen gehabt.“ In allen Untersuchungen zur Wortgeschichte wird darauf hingewiesen, daß die Rede vom „Dritten Reich“ als einem Reich der Versöhnung der Gegensätze oder einem Reich der Vollendung bis in Zeit der orientalischen Hochkulturen zurückverfolgt werden kann; daß sich Belege oder Hinweise in der Bibel finden und in der antiken Literatur; und daß dieses Konzept spätestens mit der (häretischen) Geschichtsspekulation über das Kommen eines dritten, „tausendjährigen Reiches“ des Joachim von Fiore Einfluß auf die Vorstellungswelt des Abendlandes gewann, der sich fortsetzte in allen möglichen sektiererischen, maurerischen, aufklärerischen, romantischen, idealistischen Entwürfen. Moeller war dieser Hintergrund kaum im Detail bekannt, aber schon Anfang des Jahres 1921 hatte er einen programmatischen Aufsatz unter dem Titel „Das tausendjährige Reich“ veröffentlicht und in dem Zusammenhang auch von einem „dritten Reich“ gesprochen. Vielleicht ging seine Deutung des Begriffs im Sinn eines mobilisierenden nationalen Mythos zurück auf entsprechende Erwägungen Dostojewskis, dessen Werke Moeller in Übersetzung herausgegeben hatte und der von Moskau als „drittem Rom“ sprach, oder auf die Kenntnis von Vorstellungen im Kontext der „Ideen von 1914“. So hatte Thomas Mann 1915 in einem Aufsatz für das Svenska Dagbladet geschrieben, daß Deutschland den Krieg begrüßt habe, weil er der „Bringer seines Dritten Reiches“ sei: „Was ist denn sein Drittes Reich? – Es ist die Synthese von Macht und Geist – sie ist sein Traum und Verlangen, sein höchstes Kriegsziel – und nicht Calais oder ‚die Knechtung der Völker‘ oder der Kongo. Es gibt Reaktionäre in Deutschland: das sind die Getreuen des ersten Reiches, des geistigen. Es gibt Konservative: das sind die unbedingten Anhänger des zweiten, des Machtreiches. Und es gibt Gläubige der Zukunft: sie meinen das dritte …“. Manns Entwurf war ungleich politischer und konkreter als die Erwartung des Philosophen Gerhard von Mutius, der 1916 ein Buch unter dem Titel „Die drei Reiche“ veröffentlichte, dessen mystische Vorstellungen andererseits große Ähnlichkeit mit denen des Verlegers Eugen Diederichs aufwiesen, der in der Zeitschrift Die Tat noch im Dezember 1918 von einem „kommenden dritten Reich“ sprach, das mit einer neuen Innerlichkeit auch zu einer neuen Machtstellung Deutschlands führen sollte. Der Text löste eine heftige Debatte aus, die bis zum Sommer 1920 in den Spalten der Tat geführt wurde. Daß Diederichs auf seiner Vision eines „johanneischen Zeitalters“ beharrte, befremdete unter den gegebenen politischen und sozialen Umständen einen Teil der Leser sehr. In einer Art Schlußwort schrieb der Arbeiterdichter Karl Bröger, das „dritte Reich“ sei im Grunde eine Utopie, deren Verwirklichung zwangsläufig in den Kommunismus münden werde. Solche Vorbehalte fanden sich sonst vor allem auf konservativer Seite, wo man mit Unbehagen die Wiederkehr apokalyptischer Erwartungen, die eben noch in die Welt kleiner protestantischer Sekten verbannt zu sein schienen und nun nach einem dramatischen Gestaltwandel zur ideologischen Großmacht wurden. Die bolschewistische Bewegung – so die Interpretation – eignete sich die biblische Hoffnung auf ein paradiesisches Zeitalter des Friedens und der Gleichheit an und verknüpfte sie mit ganz diesseitigen Absichten. Solche Einwände haben die Entwicklung des Begriffs „drittes Reich“ zur einflußreichen Parole der „nationalen Opposition“ nicht aufhalten können, was ganz prosaisch damit zu erklären ist, daß auch dem schlichten Gemüt zu erklären war, daß nach einem „ersten“ (dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation), einem „zweiten“ (dem Bismarckreich) und einem „Zwischenreich“ (der Weimarer Republik) ein „drittes“ Reich zu erwarten stehe. Der entsprechende Gebrauch des Begriffs muß schon unmittelbar nach dem Ende der Monarchie verbreitet gewesen sein und hat sich später mit anderen Vorstellungen, insbesondere denjenigen Moeller van den Brucks, verknüpft. Es ist deshalb unwahrscheinlich, daß die Gründung der Zeitschrift Das dritte Reich im Umfeld des „Bundes Oberland“ – einer Kernorganisation der radikalen Rechten – 1924 schon auf Moellers Buch zurückzuführen war. Eine direkte Bezugnahme auf Moeller fand sich anfangs nur in der nationalistischen Intelligenz. Deren Abgrenzung zur NSDAP war bis Ende der zwanziger Jahre nicht scharf gezogen. Das gilt vor allem für den Umkreis der Brüder Gregor und Otto Strasser, die die Partei nach dem Verbot im Nordwesten auf eigene Faust reorganisiert hatten. Otto Strasser, der eigentliche ideologische Kopf, war nach seiner Abwendung von der Linken unter den Einfluß Moellers gekommen und von dessen Ideen nachhaltig beeindruckt worden. Das erklärt einen Teil seiner Differenzen mit Hitler, die schließlich 1930 zur Abspaltung des „linken Flügels“ der NSDAP führten. Die aus den Dissidenten gebildete Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten oder Schwarze Front bestimmte sich ausdrücklich als „Front der konservativen Revolution“ und nannte Moeller ihren „großen Erzieher“, aber in dem programmatischen Buch „Die Schwarze Front“ (1932) des Strasser-Vertrauten Richard Schapke trat der Begriff „drittes Reich“ fast vollständig zurück. Das hatte damit zu tun, daß die Parole zu diesem Zeitpunkt schon eindeutig der Partei Hitlers gehörte, was die Front mit ohnmächtiger Wut zur Kenntnis nahm, zumal die NSDAP diesen Erfolg einem Abtrünnigen, Joseph Goebbels, zu verdanken hatte. Goebbels war im Umfeld Strassers zuerst mit den Anschauungen Moellers in Berührung gekommen und hatte am 30. Dezember 1925 in seinem Tagebuch notiert: „Lektüre ‚Das dritte Reich‘ von Moeller van den Bruck. Erschütternd wahr. Warum stand er nicht in unseren Reihen.“ Knapp zwei Jahre später erschien Goebbels‘ erstes Buch unter dem Titel „Wege ins dritte Reich“ (1927). Goebbels, der seit dem Ende der zwanziger Jahre die Propaganda der Nationalsozialisten leitete, gelang es, die Formel „das dritte Reich“ für die Partei zu monopolisieren. Dagegen konnten weder Strasser noch die Jungkonservativen etwas tun, die sich als eigentliche Erben Moellers betrachteten. In der verzweifelten und aufgeputschten Stimmung zwischen 1930 und 1933 trug die Erwartung eines „dritten Reiches“ sicher zur Anziehungskraft des Nationalsozialismus bei. Allerdings hat Hitler selbst den Begriff nie benutzt und die Verwendung nach der Machtübernahme auch nur geduldet, nicht aktiv gefördert. Die Bezeichnung des NS-Regimes als „drittes Reich“ besaß deshalb keinen offiziellen Charakter und trat schon in den Friedensjahren allmählich zurück. Am 10. Juli 1939 kam es sogar zum ausdrücklichen Verbot der Verwendung in der Presse, und nach den großen militärischen Erfolgen hieß es am 21. März 1942, zukünftig solle der Begriff „Das Reich“ analog zum englischen „the empire“ verwendet werden, um „das neue Deutschland in all seinen Besitzungen vor der Weltöffentlichkeit als geschlossene staatliche Einheit“ zu bezeichnen. Im allgemeinen Sprachgebrauch der Anhänger wie der Feinde des Systems hat sich die Gleichsetzung allerdings erhalten, auch über dessen Untergang 1945 hinaus. Die Zahl der Abhandlungen, die diese Chiffre bis heute benutzt, ist Legion. Mit einem Wiederaufleben der Anziehungskraft wird dabei kaum gerechnet. Die düsteren Prognosen eines „Vierten Reiches“ nach der Wiedervereinigung haben sich als realitätsfern erwiesen. Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker. 2006 veröffentlichte er das Buch „Das Hakenkreuz. Symbol eines Jahrhunderts“ (Edition Antaios, Schnellroda, 192 Seiten, über 200 Abbildungen, 16 Farbtafeln, broschiert, 22 Euro). Foto: Broschüre von 1930: Hellsichtige Lageanalyse; Verlagsanzeige von 1923: Der geplante Titel klang zu blaß

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