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Pankraz, der Fürst und die Würde der Gorillas

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Ehre, wem Ehre gebührt. Kein geringerer als Fürst Albert II. von Monaco hat vorige Woche in Rom im Namen des Unesco das kommende Jahr zum „Jahr des Gorillas“ ausgerufen. Es wird also kein allgemeines „Jahr der Menschenaffen“ geben, auch kein spezielles des Orang-Utans oder des Bonobos, obwohl Orang und Bonobo in ihrem Bestand ebenfalls schwer bedroht sind. Allein der Gorilla wird auf dem Podest stehen, stellvertretend natürlich auch für alle anderen Arten der höheren Primaten, aber doch deutlich herausgehoben aus der Schar der übrigen.

Das hat zunächst ganz aktuelle Gründe. Der im Kongo wütende grausame Bürgerkrieg würgt nicht nur Menschen sonder Zahl, er trifft in furchtbarer Weise auch die Gorillas, die dort ihre Heimat haben. Wo Menschenleben nichts gelten, gelten Gorillaleben noch viel weniger. Die „Silberrücken“ werden abgeknallt, wo immer sie ins Visier geraten. Sie dienen den Bürgerkriegsbanden als willkommene Aufbesserung der Verpflegung, und mit ihren Fellen lassen sich zudem noch gute Geschäfte machen. Allzu verständlich, daß die Artenschützer Zeter und Mordio schreien.

Aber die Privilegierung der Gorillas, ihre Erhöhung zum Symbol des tragischen Artensterbens, rührt gewiß nicht nur daher, daß sie zur Zeit an der Spitze der Mordliste stehen. Von den Silberrücken, ihrer Erscheinung und ihrem Verhalten, geht vielmehr ein Fluidum aus, das uns Menschen, wahrscheinlich sogar die Mörder, ganz eigenartig berührt und zur Hochachtung zwingt. Diese Tiere strahlen nichts weniger als Würde aus, und zwar Würde im anspruchsvollsten, im geradezu philosophischen Sinne. Der australische Philosoph Peter Singer hat es pointiert so ausgedrückt: „Jeder Silberrücken benimmt sich so, wie sich alle Menschen benehmen — sollten.“

Biologisch, evolutionstheoretisch gesehen stehen uns die Schimpansen und Bonobos eindeutig näher als jede Gorilla-Unterart. Die genetische Ausstattung (DNA) von Schimpansen und Mensch ist faktisch identisch. Schimpansen sind ungemein lebhaft, laut, kommunikationsgeil, sexuell aufgedreht, neugierig, aggressiv, genau wie wir Menschen. Aber etwas fehlt ihnen, was uns weitgehend auch fehlt, aber was wir gerne hätten: die wahre Würde, die spontane Balance zwischen (Stammes-)Gesetz und individuellem Antrieb, zwischen innen und außen, oben und unten.

Gorillas verfügen über diese Würde, über diese Balance. Sie sind keineswegs pur instinktgeleitet wie viele andere Tierarten. Sie haben — hierin den Schimpansen mindestens ebenbürtig — einen Willen und eine ahnende Vorstellung von Persönlichkeit, doch sie wissen auch, was sich im Interesse des Ganzen gehört und wo die eigenen Grenzen liegen. Schon beim Beobachten spielender Gorillakinder merkt man das. Gar nun der Anblick eines ausgewachsenen silberrückigen Familienvorstands überzeugt vollends. Da ist höchste Führungskunst, Autorität gepaart mit Höflichkeit und Verständnis für die Bedürfnisse anderer.

Man kann schon verstehen, daß Peter Singer und einige andere Moralphilosophen die (höchst unbequeme) Frage aufwerfen: Wer hat mehr Würde und Anspruch auf Respektbezeugung, ein großhirnlos zur Welt gekommener oder sonstwie in seinen Entscheidungsmöglichkeiten schwerstbehinderter Mensch — oder ein souverän operierender Gorilla-Familienvorstand? Müssen wir wirklich in jedem Menschenwesen, wie auch immer es verfaßt sein mag, die Würde respektieren, und können wir wirklich jedem anderen Lebewesen die Würde absprechen?

Was soll denn eigentlich respektiert werden, woran wird die Würde festgemacht? Wirklich am „Menschen“? Oder vielleicht doch an der „Person“, wie das heutige Ethiker vorschlagen? Aber wo endet der Mensch, wo beginnt die Person? Sind beide miteinander identisch? Gibt es personale Würde auch jenseits des Menschen? Hat ein ausgewachsener und in der Verantwortung für seine Familie stehender Silberrücken keinen Anspruch auf personale Würde?

In Deutschland sind solche Fragen weitgehend tabuisiert. Redner, die sie öffentlich zu stellen wagten, werden von den Podien geholt, verprügelt, mit Ausweisung oder Gefängnis bedroht, wie es Peter Singer vor einiger Zeit in Heidelberg geschah. In der angelsächsischen Welt dagegen ist längst eine ausgedehnte Debatte zum Thema „Mensch und/oder Person“ im Gange. Pankraz erinnert an Namen wie Richard Swinburne, Derek Parfit, Bernard Williams.

Richard Swinburne argumentiert ganz im Stile von Kants praktischer Vernunft, wonach wir das Würdigsein einfach postulieren müssen, um Personalität und würdigen Umgang miteinander überhaupt möglich zu machen. Die Person, sagt er, ist nichts als der Inbegriff sittlicher Notwendigkeit, eine „intelligible, immaterielle Entität“. Pankraz findet das überzeugend, aber es bleibt dabei durchaus die Frage, ob diese Entität, diese „Seele“, dem Menschen vorbehalten bleibt oder ob sie doch auch dem so überaus würdig wirkenden Silberrücken zukommt.

Darüber äußert sich Swinburne nur diffus und dilatorisch. Das mag gutgehen und den sittlichen Standards entsprechen, solange wir uns beides „leisten“ können: sowohl die teure, weil würdige Fürsorge für die großhirnlosen Babys als auch die teuren, weil würdigen Feldzüge zum Schutze der Gorillas. Was aber, wenn das eines Tages nicht mehr der Fall sein sollte? Das ist ja, just in Ansehung zentralafrikanischer Zustände, keine unrealistische Perspektive.

Bemerkenswert bei alledem jedenfalls, daß als mögliches Beispiel einer nicht menschlichen und dennoch in jeder Hinsicht würdigen Person von allen Beteiligten nicht der schlaue und umtriebige Schimpanse ins Feld geführt wird, sondern der bedächtige, durch und durch konservative Gorilla. Auch die römische Artenschutzkonferenz mit Fürst Albert II. als Gorilla-Paten folgte ja diesem Schema. Nicht irgendwer aus der langen Strecke der vom Aussterben bedrohten Arten wurde zum Symbol nobilitiert, sondern der wahrhaft Würdige. Fürst Albert ging keineswegs unter sein Niveau.

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