Am 28. November 1783 wurde in Weimar die 24jährige unverheiratete Dienstmagd Johanna Catharina Höhn mit dem Schwert enthauptet. Im April des gleichen Jahres hatte sie in einem Anfall von Panik ihr Kind unmittelbar nach der Geburt getötet. Verurteilt wurde sie nach einem Gesetz, das selbst der damalige Herzog Carl August für veraltet hielt. Deshalb konsultierte er im Oktober 1783 sein Geheimes Conseil — vier Männer. Zwei stimmten für Tod, einer für Amnestie. Der vierte, Johann Wolfgang von Goethe, war das Zünglein an der Waage. Nach anfänglichem Zögern fand er, daß es „räthlicher seyn mögte die Todtesstrafe beyzubehalten“. Mit diesem Satz war das Schicksal des jungen Mädchens aus Tannroda besiegelt. Ihr Leichnam wurde nach der Exekution in das anatomische Theater des Professor Loder in Jena gebracht. Der beklagte sich, daß man die Delinquentin zu gut genährt habe. Bei derartigem Leibesumfang sei sie für seine Studien von geringem Nutzen. Seit Goethes Apologie der Todesstrafe in Friedrich Luchts Veröffentlichung „Die Strafrechtspflege in Sachsen-Weimar-Eisenach“ (1929) dokumentiert wurde, läßt sie bis heute keine Ruhe mehr; geführt wird die Kontroverse in den letzten Jahren vor allem in den Goethe-Jahrbüchern und der Neuen Juristischen Wochenschrift. Zahllose Goethe-Forscher sind geschockt, versuchen es zu erklären, verweisen auf Goethes Absicht, poetische „Geister und die iuristische Praxin“ zu trennen. Wollen ihn entschuldigen, indem sie Goethes zeitgleiche Flucht zu Charlotte von Stein als Ausdruck schlechten Gewissens interpretieren. Empfinden seine einfühlsame Schilderung des Gretchen als Widerspruch zu diesen Worten. Dabei wird übersehen, daß er gerade in „Faust I“ seinem Todesurteil ein Denkmal setzt. Als Gretchen sich im Kerker entscheidet, nicht zu fliehen, sondern das Todesurteil anzunehmen, erklärt Mephisto sie für verloren. Aber eine „Stimme von oben“ kontert: „Ist gerettet!“ Diese Stimme ist natürlich Gott. Gretchens Akzeptanz der eigenen Tötung wird als Erlösung proklamiert. Goethe-Biographen, die diesen finsteren Aspekt seiner Persönlichkeit ignorieren, haben ihren Forschungsgegenstand verfehlt. Weiterführende Literatur: Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn. Kindesmorde und Kindesmörderinnen im Weimar Carl Augusts und Goethes. Die Akten zu den Fällen Johanna Catharina Höhn, Maria Sophia Rost und Margarethe Dorothea Altwein. Hrsg. und eingeleitet von Rüdiger Scholz, Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, kartoniert, 176 Seiten 19,80 Euro