Zu den qualitätsvollsten Sachbuchnovitäten gehören gewiß die neuen Philosophiehandbücher Alfred Kröners. Mit stoisch-professionellem Sinn für die Ernsthaftigkeit geregelten Denkens bereichern sie unseren Handapparat aufs glücklichste. Sie sind hier gemeinsam zu betrachten, markieren sie thematisch doch sowohl Beginn (Plato) als auch Gegenwart (Moderne) theoretischer Grundsatzreflexion und der generellen Frage nach dem Wissen. Sind dessen Anfänge im klassischen Griechenland eindeutig bestimmbar, sieht sich die Darstellung der aktuellen Situation herausgefordert durch globale Entgrenzung und einen hybriden kulturellen Pluralismus. Das erzwingt eine überlegte Auswahl und Zusammenstellung von Motiven; die „geistige Situation der Zeit“ bedeutet also nicht passive Wiederspiegelung, vielmehr aktive Profilierung. An diesem Punkt wird das vorliegende Unternehmen diskutierbar und notwendig strittig, denn ein symbolischer Reflex der Theoriegeschichte seit 1900 kanonisiert bestimmte Denkmodelle, schließt andere aus. Zunächst die gute Nachricht: Beide im Verein entstandenen Bände zur Moderne zeichnen sich aus durch mustergültiges Niveau, gestalterisch wie inhaltlich. Die Behandlung erfolgt monographisch, jedes Kapitel ist fünfteilig angelegt: Biographie, Werkeinführung, Erörterung zentraler Themenkomplexe, Rezeption und Literaturverzeichnis. Durchweg wird man tiefschürfend informiert, erhält die einzelnen Konzepte differenziert, doch klar umrissen. Man überprüfe selbst diejenigen Profile, in deren Denker man Zeit und Energie investiert hat. Konzise Darstellung und analytische Zuspitzung verdichten sich je zum systematischen Kurzporträt. Nun die problematische Seite: Der dogmatische Punkt des Herausgebers betrifft sein Philosophieverständnis. Das steht ganz unter der Suggestion totaler Verwissenschaftlichung und heutiger amerikanischer Hegemonie: „Verwestlichung“ als geschichtliches Fatum. Also triumphieren in seinen Bänden Postmoderne und vor allem analytische Philosophie. Repräsentieren von den 34 Denkern des 20. Jahrhunderts immerhin noch 10 deutsche („kontinentale“) Themen, ist diese Szene im Gegenwartsband (von 113 Denkern) auf Spurenelemente verdampft. Neben französischen Poststrukturalisten (Glucksmann, Lyotard) wird die Darstellung vollständig dominiert von allen Spielarten anglo-amerikanischer analytischer (Sprach-) und – zu kleinerem Teil – Moral-Philosophie. Dort werden uns neben prominenten Vertretern (Carnap, Quine, Popper) auch apokryphste Figuren aufgetischt – die falsche Aufmerksamkeit jedoch mit gravierenden Defiziten erkauft. Schon das vergangene Jahrhundert privilegiert Wissenschaftstheorie (Wiener Kreis), dann ethischen Utopismus (Bloch, Levinas, Derrida) und politische Sozialphilosophie (so Rawls, Rorty, Habermas), kennt aber noch Existenzdenken (Jas-pers, Heidegger, Sartre), Hermeneutik (Gadamer) und politische Nonkonformisten (Strauss, Schmitt, Arendt). Doch von metaphysischem Systemdenken, Religionsphilosophie, Anthropologie, Kultur- und Geschichtsdenken keine Spur! Ohne ein Wort ist alle christliche Philosophie entsorgt: Gilson, Maritain, Tillich, J. Pieper oder Guardini. Dann Gehlen, Plessner – unsichtbar! Ebenso chancenlos Benedetto Croce oder Max Scheler, obwohl gerade letzterem große schulbildende Bedeutung zukommt. Fatal nicht zuletzt der Ausschluß jener Köpfe, die einen schöpferischen Austausch von Ost und West anstrebten, so Mircea Eliade, Karlfried Graf Dürckheim oder Sarvepalli Radhakrishnan. Man wird keinen so universellen Kenner indischer Überlieferung wie auch der europäischen zugleich finden wie diesen – Professor aus Oxford! Das Bild schließt sich, wenn im Gegenwartsband die Vertreter des Neuen Denkens völlig fehlen (Fritjof Capra, Ken Wilber), ja selbst moderat akademische „Abweichler“ wie Peter Sloterdijk oder Günter Rohrmoser. All das offenbart ein steriles Theorieverständnis. Kurz: Nida-Rümelin affirmiert und zementiert einen rationalen Reduktionismus extremen Zuschnitts. Der schreibt sich von der traditionellen Metaphysikkritik der Briten und Franzosen her, also einem „negativen“ Freiheitsverständnis, das Denken nur als Begrenzungsgeschäft versteht. Solcher „Antitotalitarismus“ hat nun „Ideologiekritik“ selbst totalisiert; die dekonstruiert alles und jedes, wird ubiquitär und kulminiert in den postmodernen Prinzipien absoluter Differenz, eines totalen Pluralismus und „schwachen“ Denkens – gegen Kohärenz und Identität. Das läßt sich auch als radikale Renaissance von Nominalismus und Sophistik lesen. Eine ursprüngliche Kritik beider gab bereits Plato, der den Kult der empirischen Einzelheit, die Schrumpfung von Wahrheit auf soziale Bedingungen und Funktionalisierung des Wissens abwies. Insofern formuliert die Ideenlehre als Wesenserkenntnis der Dinge ein ewiges Gegenmodell zur aktuellen Vernunftreduktion (bei explosiver Ausweitung ephemerer Informationsstrategien). Einen respektablen Leitfaden durchs platonische Denken bietet jetzt Erlers Lexikon, das historisch-philologische Information mit systematischer Deutung verbindet. Biographie, Chronik, Überlieferung und Textgeschichte, Bibliographien, Glossar, Personen- und Themenregister rahmen die eigentlichen Werkanalysen ein, die nicht nur die prominenten, sondern auch die apokryphen Texte Platons erschließen und dabei theoretischen Gehalt, literarische Struktur und Wirkungsgeschichte verknüpfen. Fingerzeige erhält nicht zuletzt der Konservative, entspricht doch Platos Lehre vom göttlichen Nomos der Welt und der erinnernden Erkenntnis (anamnesis), die sich auf unwandelbare Seinsstrukturen bezieht, auch seinem Instinkt. So wird ihn die Anweisung des Politikos kaum überraschen: „In der Jetztzeit als Periode gottferner Unordnung“, so Erler, „hat der Staatsmann nach Platon durch Überwindung der Vergessenheit und Orientierung an absoluten Maßstäben zur Ordnung zurückzuführen.“ Julian Nida-Rümelin, Elif Özmen (Hrsg.): Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. XXXII. Alfred Kröner, Stuttgart 2007, gebunden, 733 Seiten, 25 Euro Julian Nida-Rümelin, Elif Özmen (Hrsg.): Klassiker der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Alfred Kröner, Stuttgart 2007, broschiert, 278 Seiten, 12,90 Euro Michael Erler : Kleines Werklexikon Platon. Alfred Kröner, Stuttgart 2007, broschiert, 131 Seiten, 8,90 Euo Foto: Auguste Rodin, Der Denker, Bronze, 1882: Verwestlichung der Philosophie als geschichtliches Fatum