Ihre aparten Gesichtszüge mit den leicht schräg gestellten unergründlichen Augen und den breiten Wangenknochen deuten auf eine slawische Herkunft hin. Und in der Tat ist Marina Vlady, die am 10. Mai 1938 unter dem wohlklingenden Namen Marina Catharina de Poliakoff-Baidaroff im französischen Clichy-la-Garenne geboren wurde, russischer Abstammung. Ihre adlige Familie flüchtete während der Oktoberrevolution nach Paris, und hier wuchs die Tochter eines Opernsängers und einer Ballerina auch auf. Schon als Kind trat sie unter dem Namen Marina Versois – ihre Schwester ist die nicht minder bekannte Filmschauspielerin Odile Versois – im Ballett der Pariser Oper auf. Bereits mit elf Jahren wurde sie für den Film entdeckt. Als verführerischer Teenager machte sie in französischen, italienischen und deutschen Filmen Karriere und avancierte in den fünfziger Jahren zum Idol einer ganzen Generation junger Mädchen. Für ihre erste größere Rolle in André Cayattes Gerichtsdrama „Avant le déluge“ („Vor der Sintflut“, 1954) wurde sie mit dem Prix Suzanne Bianchetti ausgezeichnet. Nach den aufreizenden Teenager-Rollen wandelte sich Marina Vlady nun zum blonden Vamp. Ihr schauspielerisches Können zeigte sie in André Michels „La Sorcière“ („Die blonde Hexe“, 1955) als geheimnisvolles schwedisches Waldmädchen Aino, das sich in einen französischen Ingenieur verliebt und schließlich von den Dorfbewohnern gesteinigt wird. Mit 17 Jahren heiratete Vlady ihren Kollegen Robert Hossein, mit dem sie auch mehrfach auf der Leinwand zu sehen war. Ende der fünfziger Jahre entstand so in familiärer Zusammenarbeit einer der größen Erfolge ihrer Karriere: „Toi … le Venin“ („Nachts fällt der Schleier“, 1959), die Geschichte von zwei alleinstehenden reichen Schwestern, von denen eine nymphoman veranlagt und zudem eine Mörderin ist. Ein junger Mann (Robert Hossein, der auch Regie führte und das Drehbuch schrieb) bemüht sich, das Rätsel um die beiden schönen Frauen (Marina Vlady und ihre Schwester Odile Versois) zu lösen, und kommt dabei einem üblen Intrigen- und Ränkespiel auf die Spur. Bis der Schleier endlich fällt, treibt der Film jedoch ein zünftiges psychologisches Katz-und-Maus-Spiel mit dem Zuschauer. Das Image des Sex-Stars konnte Marina Vlady in den sechziger Jahren schließlich ablegen. Dafür spielte sie in Marco Ferreris „Una Storia Moderna: L’Ape Regina“ („Die Bienenkönigin“, 1963) eine streng traditionell erzogene junge Ehefrau, die ihre Pflicht, bald Mutter zu werden, sehr ernst nimmt und dafür keine List und Anstrengung scheut. Sobald sie aber schwanger ist, weist sie ihren Mann, einen Autohändler mit ausschweifendem vorehelichen Liebesleben, zurück und denkt nur mehr an das kommende Kind. Dessen Taufe – so die rabenschwarze Pointe dieser umstrittenen Satire auf ein religiös bezogenes Matriarchat, das dem Mann nur noch Fortpflanzungsfunktion einräumt – wird der geplagte und enttäuschte Ehemann und Vater indes nicht mehr erleben. Für ihre Titelrolle der „Bienenkönigin“ wurde sie bei den Filmfestspielen in Cannes 1963 mit dem Preis für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. 1967 engagierte sie Jean-Luc Godard für „Deux Ou Trois Choses Que Je Sais D’Elle“ („Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“). Während der Arbeit für den Film gab sie auch Theatergastspiele in Rumänien und Rußland. Hier lernte sie bei den Moskauer Filmfestspielen den Liedermacher und Schauspieler Vladimir Vysockij kennen und lieben, den sie 1970 in dritter Ehe heiratete. Vysocki genoß zu dieser Zeit in der Sowjetunion als Rebell und Protestsänger eine fast unvorstellbare Popularität, doch sein exzessiver Lebensstil, er war schwerer Alkoholiker und Morphinist, richtete ihn schließlich zugrunde. Im August 1980 starb Vysockij an Herzversagen. Über 40.000 Moskauer gaben ihm das letzte Geleit. Neben ihrer umfangreichen Tätigkeit für das Fernsehen veröffentlichte Vlady 1987 die Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann, die in Rußland zum Bestseller wurden; in Deutschland kam das Buch vier Jahre später unter dem Titel „Eine Liebe zwischen zwei Welten – Mein Leben mit Wladimir Wyssozki“ in die Buchhandlungen. In ihrem vorläufig letzten Film, Ettore Scolas Meisterwerk „Splendor“ (1988), einer Hommage an das Kino als kulturellem und sozialem Ort, dessen märchenhafter Schluß noch einmal auf die großen Momente des Kinos verweist, sah man sie an der Seite Marcello Mastroiannis. Seitdem ist es ruhiger um Marina Vlady geworden, die jetzt ihren siebzigsten Geburtstag feiert. Ihr Zauber und ihre Schönheit haben indes nichts von ihrem Glanz verloren.
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