Die phantastische Literatur schöpft ihren Bilderreichtum und ihre Mythen aus einem Reservoir magischer, mystischer, religiöser und mythischer Vorstellungen. Zwar haben Aufklärung, Positivismus, Rationalismus und Moderne all dies mit Macht verworfen und dabei zum Teil so gründlich aufgeräumt, daß das Geheimnisvolle, Zauberhafte und Eigentümliche fast gänzlich aus unserem Leben verschwunden ist, doch die Träume des Menschen, seine Ur-Ängste, aber auch seine Faszination am Unerklärlichen und Phantastischen lassen sich letztlich nicht ausrotten. Nur so ist der Erfolg zu erklären, den Fantasy-, Science-Fiction- und Horror-Romane und in ihrem Gefolge auch die jeweiligen Filmgenres mit ihren diversen Subgenres wieder genießen. Die Unterhaltungsepen der westlichen Kultur haben die Angst als notwendigen Bestandteil der Entwicklung des Menschen längst wieder erkannt. Dämonen, Hexen, Werwölfe, Vampire, Halbwesen und Zombies tauchen lemurengleich als Bedrohung aus der Dunkelheit auf, während Elfen, Feen, Gnome und Kobolde in den Trivialepen die gesellschaftliche Funktion bewährter Märchenwesen besitzen. Drachen, Dinosaurier, Riesenaffen und andere Fabelwesen bereichern den unerschöpflichen Themenvorrat der phantastischen Literatur und sind womöglich noch populärer als die „Gothic Novels“ und die Gespenstergeschichten der Schwarzen Literatur. Daß bei alldem höchstens ein gutes halbes Dutzend Themen immer wieder neu variiert wird, tut übrigens nicht zur Sache. Zu Beginn der achtziger Jahre rief der Wetzlarer Autor und Lektor Thomas Le Blanc die „Tage der Phantastik“ ins Leben, die heuer vom 7. bis 9. September unter dem Generalthema „Phantastik und Architektur“ stattfinden. In einer Ausstellung, die bis zum 7. Oktober läuft, zeigt der Architekt, Kunstmaler und Bildhauer Angerer der Ältere dazu eine Auswahl seiner in altmeisterlicher Lasurmalerei entstandenen Bilder von phantastischen Gebäuden und utopischen Räumen. Die „Tage der Phantastik“ nutzen alljährlich Schriftsteller, Verleger und Buchhändler, um gemeinsam über Möglichkeiten und Chancen eines literarischen Genres zu diskutieren, das in den Feuilletons der großen meinungsbildenden Medien so gut wie nicht vorkommt, sieht man einmal von Porträts und Rezensionen wieder aufgelegter Bücher des Horror-Klassikers H. P. Lovecraft oder Neuerscheinungen eines Stephen King ab, der jedoch seit dem großartigen „Salem’s Lot“ (1975) nichts vergleichbar Brillantes mehr geschrieben hat. Die Vorträge und Ausstellungen im Rahmen der „Tage der Phantastik“ trafen nicht nur auf das Interesse zahlreicher Leser, sondern bald auch der Stadt Wetzlar. So eröffnete 1989 in einem städtischen Gebäude die Phantastische Bibliothek Wetzlar ihre Pforten. Nachdem immer mehr Verlage dazu übergingen, ihre entsprechenden Neuveröffentlichungen der Bibliothek zur Verfügung zu stellen, und private Sammler ihre Nachlässe stifteten, wurden die begrenzten Räumlichkeiten bald zu klein. Jährlich kamen nun mehrere tausend Titel hinzu, Wissenschaftler, Schüler, Studenten und Fantasy-Liebhaber nutzten die Präsenzbibliothek, von der aus Platzgründen schließlich nur noch ein kleinerer Teil frei zugänglich war. Nach einer Zwischenstation in einer ehemaligen Druckerei ist die Phantastische Bibliothek heute in einem Gebäude des früheren Staatsbauamtes untergebracht. Die umfangreiche Sammlung ist inzwischen auf rund 150.000 Titel zu allen Genres der phantastischen Literatur angewachsen, die zum größten Teil aus Spenden und Nachlässen stammen. Sie hat sich damit nicht nur zu einer der weltweit größten ihrer Art entwickelt, sondern ist zu einem anerkannten Forschungs-, Bildungs- und Fortbildungszentrum geworden. Hier finden Tagungen und Seminare statt, an mit Computern ausgestatten Arbeitsplätzen wird für Dissertationen recherchiert, Kinder haben eine eigene Abteilung mit Spiel- und Leseecken, Literaturgesellschaften, Universitäten und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik sind Kooperationspartner. Von Märchen und Sagen aus verschiedenen Jahrhunderten über utopische Romane und die Literatur der Schwarzen Romantik bis hin zur klassischen Fantasy, zu unveröffentlichten Arbeiten und zur Trivialliteratur der modernen „Pulp Fiction“ im Heftchenformat reicht das Spektrum. In den Phantasiewelten der Wetzlarer Bibliothek existieren Mythologien, Mystizismus, Okkultismus und Utopien friedlich nebeneinander. Wer hier eintritt, läßt zwar nicht alle Hoffnung fahren, aber zumindest das immer langweiliger und öder werdende rationalistische Weltbild vor der Tür. Die diesjährigen 27. Wetzlarer Tage der Phantastik finden vom 7. bis 9. September statt. Thema: Phantastik und Architektur Die Ausstellung mit Werken von Angerer dem Älteren ist in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, Turmstraße 2O, vom 6. September bis zum 7. Oktober zu sehen. Öffnungszeiten: Mo. bis Do. von 14 bis 18 Uhr, mittwochs auch von 9 bis 12 Uhr. Telefon: 0 64 41 / 40 01-0 Foto: Bundeskartenhaus, gemalt vor der Bundestagswahl 2005 von Angerer dem Älteren: „Alles golden, alles herrlich und gut! Dieses Schloß bewohnen, Zimmer, Saal, Keller und Stall! (…) Find an nichts Freude mehr als an diesen Kartenschloß. Bedeutend Sinnbild meines verworrnen Lebens!“ (aus: Friedrich Maximilian von Klingers Drama „Sturm und Drang“, 1776)
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