Als am 21. Februar 1962 im Zürcher Schauspielhaus der Vorhang für „Die Physiker“ hochging, befand sich die Welt mitten im Kalten Krieg. Dieser war nichts anderes als eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs mit anderen Mitteln auf anderen Ebenen und mit anderen ideologischen Zielen zwischen zwei Supermächten und einer Handvoll Möchtegern-Mächten, von denen eine jede Großmachtträume hegte. Da setzte Dürrenmatt an, ebenso ironisch wie prophetisch die Zeichen an der Wand der Zeit deutend … So schrieb er eine Komödie, die auf den ersten Blick in ihrer Absurdität völlig überzeichnet zu sein scheint. Dürrenmatts genialer dramatisch-dramaturgischer Trick: Er wählte als Gattung die Komödie, und benannte darin das Motiv, das diesem Kalten Krieg (und somit auch dem Bühnengeschehen selbst) letztlich zugrunde lag: die Jagd nach den letzten Erkenntnissen (und tödlichen Formeln) der modernen Physik und Mathematik. Und was ist besser geeignet als eine Komödie, in der ein so phantasievoller Dramatiker wie Dürrenmatt den Auslöser einer ebenso fiktiven wie realen, also die gesamte Menschheit bedrohenden Welt-Tragödie folgerichtig in ein Irrenhaus verlegt hat? Natürlich ist dieses Irrenhaus mit seinen drei „verrückten“ Patienten (Einstein, Newton und Johann Wilhelm Möbius) nichts anderes als das Spiegel- und Zerrbild einer korrupten, moralisch durch und durch verkommenen Profit-Gesellschaft, in der sich zunehmend auch die Wissenschaft wie eine Hure benimmt: Sie verkauft sich an den Meistbietenden (siehe Nordkorea, siehe Iran und China und Pakistan und so weiter). Es gibt sie also, diese Orte, wo Demagogen und fanatisierte Massen ihren infantilen Traum von der Atombombe und von Weltherrschaft träumen – was auch auf den in den „Physikern“ angedeuteten Verlust von Ethos und Moral, von Verantwortung und auf den geringen Widerstand der Wissenschaftler gegen den Mißbrauch ihrer Erfindungen durch Politik und Militärs zurückzuführen ist. Das ist der immer noch aktuelle Themen- und Gärstoff, aus dem Dürrenmatts „Physiker“ zusammengesetzt sind. Am Stuttgarter Theater der Altstadt (das sich unter seiner charismatischen Hausherrin Susanne Heydenreich in den letzten Jahren zu einem der experimentierfreudigsten und beliebtesten Theater in der Schwabenmetropole mauserte) hatte Dürrenmatts Klassiker in der Inszenierung von Wolfgang Klar im Januar heftig beklatschte Premiere. Das Publikum war entzückt und betroffen zugleich. Es war entzückt von einem erfreulichen und höchst unterhaltsamen Theaterabend (getragen von einem vorzüglichen Ensemble in allerbester Spiellaune). Entzückt auch, weil Wolfgang Klar (aktuelle Details wie zum Beispiel den „Ackermann-Gruß“ sehr wohl und pointiert an der richtigen Stelle einbringend) ansonsten auf alle unnötigen Modernismen und Regie-Mätzchen verzichtet hatte, diesen Dürrenmatt also weder geistig dürr noch szenisch matt auf die Bühne brachte. Zudem hatte der Regisseur den Mut, das schwarz-humorige Spiel in einem fast schon aufreizend „gedehnten Adagio“ laufen zu lassen, womit er dem irrationalen Ambiente seines Irrenhauses (Bühnenbild: Peter Thiede) eine beängstigende Hybris und den darin agierenden und mordenden Figuren besonders komisch-pathologische Konturen verlieh. Und somit die Gültigkeit der Dürrenmattschen Botschaft bestätigte, die sich vielleicht mit einem Einstein-Zitat (gemeint ist der „echte“ und nicht der Bühnen-Einstein) auf den Nenner bringen läßt: „Wenn ich die Folgen geahnt hätte, wäre ich Uhrmacher geworden.“ Das wurde vom Publikum im ausverkauften Haus verstanden, und das war der Grund dafür, daß ein jeder im Saal neben der Begeisterung über einen anregenden, „ehrlichen“ Theaterabend auch zutiefst betroffen war. Foto: „Die Physiker“: Ohne Mätzchen Nach der Vorstellung am 10. Februar um 20 Uhr werden „Die Physiker“ im Stuttgarter Theater der Altstadt, Rotebühlstraße 89, erst wieder im Juni dieses Jahres aufgeführt. Tel.: 07 11 / 61 55 34 64, www.theater-der-altstadt.de